Kapitel 37

189 7 0
                                    


Peters Sicht

„Wo warst du denn, Lolla? Ich habe dich überall gesucht! Keiner wusste, wo du hingegangen bist."

Lolla schaute mich erschrocken an, denn es klang bestimmt ärgerlicher, als ich es gemeint hatte. Nur hatte ich mir die letzten Stunden wirklich Sorgen um sie gemacht, nachdem Domen gesagt hatte, dass sie sich einfach umgedreht hatte und weggegangen war.

„Ich war doch nur bei Thomas!", verteidigte sich Lolla nun heftig. „Muss ich jetzt etwa allen immer sagen, wo ich bin oder was? Ich bin seine Assistentin. Ist doch logisch, dass ich hier bin!"

Was war denn in sie gefahren? War sie etwa sauer auf mich? Ihr Tonfall klang ziemlich angespannt. Okay, ich hätte vielleicht echt darauf kommen kommen, bei Thomas vorbei zu schauen. Doch mein Kopf war jetzt bei der Tournee sowieso voll gepackt bis oben hin, da hatte irgendwie mein logisches Denken ausgesetzt. „Das Gelände ist ziemlich groß und keiner aus dem Team wusste, wo du bist, Lolla, deshalb habe ich mir Sorgen gemacht. Hey Thomas", begrüßte ich nebenbei unseren Teamarzt, der sich ziemlich unwohl zu fühlen schien.

„Hey Peter, ich lasse euch dann mal alleine", murmelte er, schob seine Hornbrille hoch und ging schnellen Schrittes davon.

„Warst du etwa heute Mittag hier? Hast du wenigstens etwas zum Mittag gegessen?", schaute ich Lolla besorgt an, die ihre Stirn gerunzelt hatte.

„Ja, habe ich. Wieso machst du denn so einen Aufstand?"

„Bitte?" Hatte ich mich verhört oder warf Lolla mir gerade tatsächlich vor, dass ich mir Sorgen um sie gemacht hatte? Ich merkte, wie sich meine Stirn zusammenzog, denn das war nun nicht wirklich fair von ihr. Schließlich hätte sie mir auch einfach sagen können, wo sie gewesen war. „Ich habe dich die letzten drei Stunden auf dem gesamten Gelände gesucht! Was habt ihr denn die ganze Zeit gemacht?"

„Was interessiert dich das denn? Ich arbeite und bin genauso wie du nicht nur zum Vergnügen hier, Peter Prevc. Wenn du genauso wie Domen der Ansicht bist, dass mein einziger Zweck ist, als deine Freundin auf dich zu warten, dann kannst du dir das abschminken."

Völlig verwirrt verstand ich nun überhaupt nichts mehr. Domen? Mein kleiner, chaotischer Bruder? Was hatte der damit zu tun? Zu mir hatte er nichts gesagt.
„Ich habe mich doch nur gewundert, dass ich dich nirgendwo finde. Schließlich dachte ich, wir machen noch einen Spaziergang durch den Wald oder so etwas", bemühte ich mich, versöhnlich zu lächeln und blickte Lolla in die Augen. Und schon verrauchte mein Unmut, der sich gerade aufgebaut hatte. Irgendwie sah sie total durch den Wind aus. Hatte meine Suche sie jetzt so aus dem Tritt gebracht? „Was ist denn los, mein Mädchen?", ging ich einen großen Schritt auf Lolla zu und nahm sie fest in meine Arme. Als ich bemerkte, wie sich ihr ärgerliches Gesicht auflöste und in ein Trauriges verwandelte, drückte ich ihren Kopf gegen meine Brust und gab ihr einen Kuss auf die Haare. „Dass du arbeitest, darauf hätte ich selber kommen können, aber ich hatte einfach nicht damit gerechnet. Schließlich ist keiner von uns verletzt und du wolltest doch mit Domen und Tilen die Schanze angucken gehen. Wieso bist du einfach weggelaufen?" Vorsichtig umfasste ich mit meinen Händen ihren Kopf und spürte, dass sie ganz kalte Ohren hatte.
„Und wieso trägst du nichtmal eine Mütze? Es ist Winter!", wunderte ich mich, zog meine grüne Sponsorenmütze vom Kopf und setzte sie ihr auf.

Sie nahm sofort den Kopf von meiner Brust und wollte sich meine Mütze wieder vom Kopf ziehen.
„Ne, ne, ne", lachte ich. „Die behältst du schön auf, Eisklümpchen. Lass uns trotzdem zum Hotel zurück gehen. Wir verpassen sonst das Abendbrot."

Langsam gingen wir in der Dunkelheit nebeneinander her.

„Verrätst du mir, was los war oder muss ich raten?", fing ich vorsichtig wieder mit dem Thema an, denn mich überraschte es wirklich, dass Lolla sang- und klanglos - wie Domen gesagt hatte -, gegangen war. Die verstanden sich doch sonst blendend. Wieso wollte Lolla da lieber arbeiten? Auch wenn ihr die Arbeit Spaß brachte. Schließlich war sie noch nie bei einem Skispringen gewesen, da sollte man doch annehmen, dass die Schanze interessanter sei als dieser Latein-Kram.

„Raten klingt lustig", sah ich den Hauch eines Lächelns auf ihrem Gesicht. Doch es war nicht mal ein Hauch, eigentlich war ich nur der Meinung, dass das Grau in ihren Augen ein bisschen heller geworden war.
Mittlerweile fing ich an, mir Sorgen zu machen. Was war denn passiert? Etwas mit ihrer Familie? Hatte sie irgendwas erinnert?

„Lolla", bemühte ich mich, ruhig zu bleiben und den drängenden Unterton aus meiner Stimme zu entfernen. Diese Ungewissheit machte mich ganz kirre. „Kannst du mir bitte sofort sagen, wieso du lieber den ganzen Nachmittag in diesem dunklen Gebäude verbracht hast, anstatt mit meinem Bruder und Tilen die Schanze zu erkunden? Oder mit mir keinen Spaziergang machen wolltest?"

Nun blieb Lolla stehen und schaute mich endlich an. „Hat Domen ehrlich gesagt, dass ich einfach weggegangen wäre? Einfach so? Denkst du das auch?"

„Keine Ahnung, was ich denken soll! Mir erzählt ja keiner was", langsam wurde ich richtig verzweifelt. Wieso sprach Lolla nicht einfach Klartext? Ich wollte ins Hotel, Abendbrot essen und dann schlafen, damit ich zumindest einigermaßen fit sein würde für morgen. Auf jeden Fall stand: „Nachts in der Kälte rumstehen und mit meiner Freundin diskutieren" definitiv nicht auf der Wunschliste. „Was hätte Domen denn sonst sagen sollen?", unternahm ich einen letzten Angriff.

Spöttisch lachte sie laut auf. „Vielleicht, dass er mich vor Kamil Stoch als „Peters Freundin" bezeichnet hat? Von wegen: keine Öffentlichkeit und so.
Erinnerst du dich noch an unser Gespräch, als Max dabei war? Genau das hier wollte ich vermeiden! Nur noch zu deiner Freundin degradiert zu werden. Als hätte ich keine andere Funktion mehr. Da kann ich auch eine Pappmaschee-Figur von mir machen lassen, die dann als deine Freundin auftreten kann. Max hatte auch Unrecht, von wegen: „Dein Status bleibt doch gleich, Lolla, er wird nur ergänzt." Klar, das sieht man ja jetzt. Als ob die mich jemals als eigenständige Person ansehen. Nein, ich bin jetzt für die ausschließlich deine Freundin!"

Wie ein Vulkan, der plötzlich ausgebrochen war und jetzt wieder ruhte, hörte sie auf zu reden und es legte sich Stille über die Dunkelheit. Domen hatte zu den Polen gesagt, dass Lolla und ich zusammen waren? Was fiel diesem Kerl nur ein? Schließlich wusste er genau, worum es ging beim Skispringen und dass wir es niemandem außer dem Team sagen wollten. Das hieß: keine anderen Nationen. Wobei ich nicht sagen konnte, dass es mich überraschte. Ich war solche Aktionen von Domen gewohnt. Gut fand ich sie nicht, doch man konnte ihn und sein loses Mundwerk kaum im Griff halten. Trotzdem ging es nicht, dass er so sorglos damit umging. Innerlich stellte ich mich schon auf ein Gespräch mit ihm ein. Spaßig würde anders sein.

Lollas völlig überzogene Reaktion, die bei jedem, der sie nicht kannte, wirklich gruselig gewirkt hätte, war aber wegen etwas ganz Anderem, das spürte ich sofort in der Art und Weise, wie sie gerade geredet hatte und auch dass sie vorhin weggelaufen war, passte dazu. Sie störte sich gar nicht so sehr an der Öffentlichkeit - würde ich zu Kamil gehen und ihn bitten, nichts darüber zu sagen, wobei er das eh nicht tun würde, würde Domens Unsinn gar keine Konsequenzen haben.
Dank Max konnte ich Lollas Reaktion zumindest etwas deuten: Sie fühlte sich durch Domens Worte unbewusst in ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bedrängt und sah eine Gefahr darin, dass man sie nicht mehr als normale Person, sondern nur noch in Zusammenhang mit mir betrachtete. Ohne Max hätte ich das jetzt nicht gewusst, wir würden uns streiten oder es wäre wieder Funkstille gewesen, weil keiner von uns Beiden eigentlich wusste, was los war. Ich konnte Max wirklich dankbar sein.

So legte ich meine Hände auf Lollas Schultern und dreht sie zu mir, damit sie mir in die Augen sah. Doch sie guckte auf den Boden. Ihre Abwehrreaktion. Vorsichtig und ganz sanft legte ich einen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an, sodass sie mir gezwungenermaßen in die Augen blickte. „Lolla, es ist alles in Ordnung! Keiner würde jemals daran zweifeln, dass du wegen der Medizin hier bist und nicht meinetwegen. Oder zumindest nicht ausschließlich meinetwegen", versuchte ich sie aufzuheitern und lächelte das schiefe Lächeln, von dem ich wusste, dass sie es liebte. Komischerweise konnte ich nur bei Lolla auf diese Art und Weise lächeln. „Ich rede mit Kamil, damit wir sicher sein können, dass kein anderer davon erfährt. Die würden so etwas eh nie herum erzählen. Und dann ändert sich gar nichts, okay?", beruhigte ich sie.

Erleichtert sah ich Lolla nicken und ihre Gesichtszüge entspannten sich ein wenig. Vielleicht hatte ich es geschafft und damit ihre Reaktion durchbrochen. „Mit Domen rede ich auch, das kann echt nicht sein, dass er so bescheuert ist und denkt, er könne erzählen, was er wolle. Und mir dann nichtmal von sich aus sagen, was der Grund war, dass du weggegangen bist. Aber du musst mir eins versprechen, Lolla!", eindringlich sah ich ihr in die Augen. „Wenn du wieder dieses Gefühl bekommst...", fing ich an, unterbrach jedoch, weil ich meine Worte richtig wählen wollte. „Wenn du dich schlecht fühlst, dich irgendwas an früher erinnert oder du jemanden zum Reden brauchst, dann komm bitte zu mir, Lolla! Ich weiß, dass Max dein bester Freund ist und das auch bleiben wird. Und dich viel besser deuten kann, als ich es wahrscheinlich je vermag. Aber ich bin nicht nur dein Freund, sondern auch ein Freund. Verschließ dich mir gegenüber nicht und hör nicht auf, mit mir zu reden. Wenn du nicht mit sprichst und mir erzählst, was los ist, dann kann ich dir nicht helfen. Schließlich kann ich nicht deine Gedanken lesen."

Etwas bangend beobachtete ich Lolla, weil ich nicht wusste, wie sie meine Worte aufnahm. Vielleicht hatte ich es alles noch schlimmer gemacht, indem ich auf ihre Vergangenheit anspielte. Wie gerne hätte ich Max's Erfahrungsstamm, wie man in solchen Situationen am besten mit ihr umging. Doch anscheinend war mein Versuch nicht schlecht gewesen, denn Lolla lächelte.

„Du bist doch sonst so ein einsilbiger Typ", grinste sie und boxte mir leicht in den Bauch. Dankbar strich ich ihr mit dem Daumen über die Wange und gab ihr einen zarten Kuss, der sich anfühlte, als wäre ich süchtig und würde endlich das bekommen, was ich begehrte. Irgendwie war man das ja auch, wenn man einen Menschen liebte. Oder nur ich war so, keine Ahnung.

„Aber nicht bei dir", lachte ich leise, als unsere Lippen sich voneinander lösten. Lolla rückte meine Mütze auf ihrem Kopf zurecht, nahm meine Hand und wir gingen weiter in Richtung Hotel. Kurz schaute ich auf meine Uhr, vermutlich würden wir es gerade noch pünktlich zum Abendbrot schaffen. Sonst hätten wir mit Sicherheit Aufsehen erregt und ich wollte nicht, dass meine Trainer dachten, ich würde mich durch Lolla vom Springen ablenken lassen. Auch wenn ich es de facto tat. Doch ich würde mich morgen bei der Quali konzentrieren und dann würde es schon gehen. Dass das kein Dauerzustand sein konnte, merkte ich selber an mir.

Wir gingen ein paar Minuten schweigend nebeneinander her und ich hing meinen Gedanken nach, da sagte Lolla, als das Hotel schon in Sichtweite war: „Danke, Peter! Ich merke gerade selber, dass ich wieder überreagiert habe und alleine wäre ich da vermutlich nicht so schnell wieder herausgekommen. Es tut mir Leid."

Freudig drückte ich Lollas Hand. „Du hast eben reagiert, wie nur Lolla reagieren würde. Solange du mit mir redest, ist alles gut."

„Du hörst dich schon an wie Max", lachte sie herzlich und ich musste mitlachen, denn wenn sie glücklich war, konnte ich mich gar nicht dagegen wehren.

Wir hatten das Hotel erreicht und gingen direkt in den Speisesaal. Lolla hatte meine Hand losgelassen - vermutlich wollte sie nicht, dass wir nur als Pärchen wahrgenommen wurden -, aber das war in Ordnung für mich. Da wir die Letzten waren, gab es eh nur noch zwei Plätze beim Betreuer-Team. So konnten wir zumindest in Ruhe Gemüsesuppe essen, ohne dass ich mich schon mit Domen auseinander setzen musste. Denn ich wollte, dass er sich entschuldigte.
Eigentlich hatte ich auch keine Lust darauf, denn so etwas raubte immer Kraft, da er mit Sicherheit nicht besonders einsichtig sein würde. Ihm das durchgehen lassen, wollte ich allerdings auch nicht. Wozu war man schließlich der ältere Bruder? Und er konnte nicht ständig, wenn ich ihn bat die Klappe zu halten, mich vollkommen ignorieren.
Mit einem Ohr hatte ich anfangs zugehört, wie Lolla mit Thomas über irgendwas redete, dass sich „Gravity sign" nannte, aber da ich keine Ahnung hatte, worum es ging und sie irgendwann ins Deutsche abdrifteten, gab ich es schnell auf. Stattdessen ging ich im Kopf kurz den morgigen Tagesablauf durch, den ich - wie immer - morgens mit einem kurzen Lauf starten würde. Das machte ich schon seit Jahren; nur ganz langsam und locker, damit ich keine Kraft verbriet, aber ich musste den Kopf frei bekommen, meine Muskeln aufwärmen und meine Konzentration finden. Danach würde der Tag mit Dehnen, Aufwärmen, den Trainingssprüngen und der Quali mehr als gefüllt sein.

„Domen", rief ich meinem kleinen Bruder auf dem Flur nach dem Abendessen hinterher, als dieser schon in sein Zimmer gehen wollte.

„Was?", drehte er sich um. Tilen, der neben ihm gegangen war, verschwand im Zimmer, so waren wir die Einzigen im Flur, doch es war trotzdem ein komisches Gefühl, daher senkte ich meine Stimme: „Was sollte das vorhin mit Kamil?"

„Ach das?", Domen schüttelte mürrisch seinen Kopf. „Gar nichts, war mir nur rausgerutscht. Kamil und die anderen sagen nichts, also nix passiert", er war schon dabei, sich umzudrehen, doch ich hielt ihn schnell an der Schulter fest.

„Hey!"

„Was ist denn noch, Peter? Es ist nichts passiert, okay? Ich weiß, dass ich nächstes Mal die Klappe halten soll. Jetzt lass mich schlafen gehen."

Ich merkte, wie sich meine Stirn zusammenzog, denn ich fand das nicht gut, wie er mit mir redete. „Es geht um's Prinzip, du gehörst zur Familie und wenn ich..."

Domen unterbrach mich und seine braunen Augen waren zusammengekniffen. „Du musst mir keine Standpauke halten, Peter! Du bist ja nicht meine Mutter!", benutzte er meinen Lieblingssatz, um meine Argumentation zu entkräften. Wir konnten beide gut und ausdauernd diskutieren. Wenn wir wollten.

„Domen, darum geht es mir überhaupt nicht! Du kannst mich beleidigen, wie du willst, aber du hättest darüber nachdenken können, wie es Lolla bei der Sache ging. Wieso hast du mir vorhin nicht gesagt, weswegen sie weggegangen ist?" Fragend blickte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Sie ist doch bestimmt eh schnurstracks zu dir gelaufen und hat es dir erzählt!" Nun blickte mich Domen trotzig an. Ich kannte diesen Blick.

„Ist sie nicht, ich wusste bis kurz vor dem Essen überhaupt nichts davon. Bis ich sie gefunden und mit ihr gesprochen habe."

„Ich habe mich schon bei ihr entschuldigt, wenn es dir darum geht!"

Domen verstand wirklich gar nichts und es schien ihm auch egal zu sein, zumindest tat er so und verdrehte die Augen. „Das ist bei ihr nicht angekommen. Ehrlich, ich bin ziemlich enttäuscht davon, wie du mit der Sache umgehst."


„Dann sag ihr halt, dass ich mich nochmal entschuldige und dass es mir Leid tut. Ist Prediger Peter endlich fertig? Wir bekommen noch Ärger, weil wir hier immer noch rumstehen", bekam Domen eine nörgelige Stimme. Manchmal war es echt anstrengend mit ihm. Da lobte ich mir Cene, der hätte einfach seine Klappe gehalten und dann hätte ich kein Problem. Weder mit Lolla, noch mit Domen.

„Das kannst du ihr schön selber sagen", entschied ich und drehte mich in Richtung meines Zimmers mit Jernej um.

„Okay Peter, ich sag es dir ganz ehrlich, was mich stört: Es geht die ganze Zeit nur noch um euch beide. Das ganze Team, jeder muss immer auf euch Rücksicht nehmen. Bei dir heißt es nur noch: Lolla hier, Lolla da. Wieso macht ihr so ein dämliches Geheimnis darum, wenn ihr eh schon halb verheiratet seid? Wieso tut Lolla, als hätte ich sie zum Tode verurteilt, nur weil mir das aus Versehen gegenüber Kamil rausgerutscht ist? Ich meine, es ist doch kein Staatsgeheimnis und keinem ist etwas passiert. Es ist unfair, dass ich schon wieder am Pranger stehe."

Sieh mal einer an! Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann Domen das letzte Mal ähnlich mit mir geredet hatte. Er senkte seine Stimme und klang ziemlich tief, beinahe etwas unheimlich: „Weißt du Peter, du bist mein großer Bruder, aber wann hast du dich das letzte Mal für mich auch nur ansatzweise interessiert? Vielleicht hätte ich in dieser Saison auch mal deine Unterstützung brauchen können? Vielleicht ist dir aufgefallen, dass es bei mir überhaupt nicht mehr läuft? Dass die Schule schon wieder Stress macht? Ach ne, der geniale Peter ist ja zu beschäftigt mit seiner ach so tollen Freundin! Und wenn etwas schief läuft, bin ich eben wieder schuld. So wie immer. Der kleine Bruder hat es verbockt!"

Sprachlos sah ich Domen in dem schummerigen Licht des Flurs an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Stimmten seine Worte? Hatte ich ihn vernachlässigt, weil ich in Gedanken ständig bei Lolla war? Nervten wir das Team schon mit unseren kleinen Auseinandersetzungen und Extra-Regeln? Es stimmte, andere Springen machten da wesentlich weniger Aufwand um ihre Beziehung. Allerdings waren deren Freundinnen nicht im Team. „Domen, es tut mir Leid. Das wollte ich dir nicht vermitteln. Du weißt, dass Cene und du und Ema und Nika mir mindestens genauso wichtig sind! Es soll nicht immer nur um Lolla und mich gehen. Ich wusste nicht, dass du mit mir reden wolltest. Sonst bist du schließlich immer total genervt, wenn ich dich mal frage, wie es dir geht!"

„Du sollst es auch nicht wissen, sondern merken. Aber nein, du bist ja immer nur damit beschäftigt, Lolla hinterherzulaufen. Findest du nicht, dass du dafür zu alt bist, Bruderherz? Sie redet schließlich nicht mal mit dir und erzählt, was Sache ist. Das ist schon traurig."

Total vor den Kopf gestoßen sah ich meinen kleinen Bruder an. Das wurde mir gerade echt zu viel, was Domen mir vorwarf. Hatte ich irgendetwas übersehen in der letzten Zeit? Schließlich dachte ich, dass alles gut laufen würde. Klar, beim Skispringen würde ich mich mehr durchkämpfen müssen, doch ansonsten? Eigentlich war ich recht zufrieden gewesen in der letzten Zeit und nun warf mir Domen so etwas vor. Lief ich wirklich meiner Freundin hinter und hatte nur noch Augen für sie? Redete Lolla nicht ehrlich mit mir? Wusste Domen irgendetwas?

„Siehst du?", Domen blickte mich merkwürdig grüblerisch an. Ich hatte nicht gewusst, dass in diesem chaotischen Jungen so tiefgründige Gedanken steckten. Wo war mein kleiner Bruder geblieben? „Eigentlich bin nicht ich derjenige, der sich entschuldigen muss, sondern ihr. Was kann ich dafür, dass ihr daraus ein Staatsgeheimnis macht?"

Seufzend wand ich meinen Blick ab und fuhr mir durch die Haare. Sie standen mit Sicherheit wieder in alle Richtungen ab, doch es war mir egal. Auf einmal war ich furchtbar müde und fühlte mich nur noch erschöpft. Ich musste unbedingt schlafen gehen!

„Domen, entschuldige dich morgen bitte einfach bei ihr, okay? Ich habe keine Lust deinetwegen mit Lolla einen Streit anzufangen und ich verspreche dir, dass ich darüber nachdenke, was du gesagt hast."

„Schon wieder geht es nur um euch", murmelte Domen leise, drehte sich weg und ging in Richtung seines Zimmers. Die Sache schien beendet zu sein.

Da Lolla auf keinen Fall wollte, dass ich bei ihr schlief, damit ich mich konzentrieren konnte, wand ich mich in Richtung des Zimmers, das ich mir mit Jernej teilte.

„Sorry, dass ich das zu Kamil gesagt habe, Peter", hörte ich da auf einmal leise hinter mir, drehte mich noch um, doch die Zimmertür hinter Domen war schon ins Schloss gefallen.

Achselzuckend ging ich schlafen. Domen musste man manchmal wirklich nicht verstehen. Und was Lolla anging, konnte ich morgen darüber nachdenken. Wenn ich die Quali nicht völlig vergeigte.


Über den Dächern der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt