Kapitel 2

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„Ach sei doch still, du dummes Ding", meckerte ich mein Handy an.

Ich schlug die Augen auf. Es schien schon hell zu sein. Mist, wieso klingelte mein Wecker erst so spät? Ich nahm mein Handy in die Hand „00386 17463827 ruft an" stand da.
Welche slowenische Nummer rief mich denn an? Meine slowenischen Freunde hatte ich eigentlich alle eingespeichert.

„Lolla von Bergmann", ging ich an mein Handy.

„Hallo Frau von Bergmann. Dr. Kovačević mein Name. Sie hatten mir gestern Abend eine Email geschrieben und ich wollte mich gleich bei Ihnen melden."

Ruckartig setzte ich mich kerzengrade im Bett hin. Und haute mit voller Wucht meinen Kopf gegen meine geliebte, aber unnachgiebige, schräge Wand.

„Aua", rief ich und rieb mit meiner freien Hand über meine Stirn. Das würde eine Beule geben.

„Alles gut bei Ihnen? Soll ich nochmal später anrufen."

„Nein, alles gut. Ich habe mich nur gestoßen, entschuldigen Sie bitte. Danke, dass Sie mich anrufen. Aber wieso sprechen Sie Deutsch?"

Ein herzliches Lachen erklang von der anderen Seite der Leitung. „Meine Eltern kommen aus Deutschland und sind mit mir dann ausgewandert. Meine Mutter hat aber immer Deutsch mit mir gesprochen. Aber ich kann auch gerne die Sprache wechseln, wenn Sie möchten", sagte er den letzten Satz auf Slowenisch.

Da ich aber völlig geplättet war, verstand ich natürlich nichts. „Ähhm was?"

„Wir bleiben mal lieber bei Deutsch. Am Telefon ist das sonst sehr schwer. Was ich Sie eigentlich fragen wollte: Haben Sie Zeit und Lust bei uns im Stützpunkt vorbeizukommen? Ich würde Sie gerne kennenlernen und mal schauen, wie Sie ein paar einfache medizinische Untersuchungen durchführen. Ist das in Ordnung für Sie?

„Ja...Ja, natürlich. Wo soll ich denn hinkommen und wann?"
Dass ich überhaupt noch ein Wort rausbekam, erstaunte mich sehr. Er beschrieb mir den Weg, den ich gut in ungefähr 15 Minuten mit dem Fahrrad erreichen konnte.

„Ist heute für Sie in Ordnung oder zu spontan? Um 15.00 Uhr?"

Halleluja, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich hatte zwar keine Uni heute, dafür aber Sprachkurs bis 14.00 Uhr. Doch diese Chance wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen. Also sagte ich zu und bedankte mich.
Ich sprang aus dem Bett und in die Dusche. Nach diesem Gespräch war ich voller Adrenalin und schon ein bisschen aufgeregt. Was für leichte medizinische Sachen wollte er mich denn vorführen lassen? Ob er mich wohl abfragte? Mist, aus der Vorklinik hatte ich viel vergessen. Gerade, was Anatomie und Physiologie anging. Vor allem: An wem sollte ich das denn vorführen? Wir hatten ja keinen Patienten. Hoffentlich nicht an ihm! Mir graute es vor der Vorstellung einem Doktor, der so viel von seinem Fach verstand - sonst wäre er nicht Teamarzt geworden - , Blut abnehmen zu müssen. Er wusste schließlich ganz genau, wie ich etwas zu machen hatte.

Ich rubbelte mir schnell die frisch gewaschenen Haare trocken, zog mir eine schwarze Jeans an und eine schlichte blau-karierte Hemdbluse an. Wenn ich etwas nicht wollte, dann wie eine Schickimicki-Tussi rüberkommen, die keine Ahnung hatte. Ich tuschte mir nur die Augen, denn mein bester Freund in Deutschland sagte immer, dass würde meine grauen Augen betonen. Beim Gedanken an Max wurde ich traurig. Mist. Ich lächelte meinem Spiegelbild zu und nahm mir vor, mich nicht verunsichern zu lassen.
In meinen Rucksack warf ich meinen Kittel, mein Stethoskop und meinen Stauschlauch. Wer weiß, was ich heute alles machen sollte. Mehr an medizinischer Ausrüstung hatte ich noch nicht.

Zum Glück hatte ich meine Turnschuhe angezogen, denn ich musste sprinten, um noch rechtzeitig zum Sprachkurs zu kommen. Die vier Stunden saß ich ab und war mit meinen Gedanken heute natürlich ganz weit weg von der slowenischen Grammatik. Auch wenn es mir vielleicht gut getan hätte, besser aufzupassen. „Nächstes Mal wieder", sagte ich mir.
„Was ist denn los mit dir?", fragte mich Connie, die neben mir saß. „Schreibst du schon wieder Klausuren?". Sie war aus Italien und studierte Theaterwissenschaften. Sie war immer fröhlich und ich verstand mich wirklich gut mit ihr, aber sie verstand oft den Druck und die Selbstzweifel nicht, die einen Mediziner quasi täglich begleiteten.

„Alles gut", lächelte ich sie an. „Hab nur gleich ein Vorstellungsgespräch für einen Job. Mach dir keine Sorgen", beruhigte ich sie.

Sie strich mir über den Arm. „Du schaffst das schon!"

Eine Stunde später stand ich vor einem riesigen weißen Gebäude: Sportmedizinisches Zentrum Ljubljana stand dort in schlichten Lettern vor der großen schmiedeeisernen Eingangstür. Jetzt war ich doch eingeschüchtert. Dagegen wirkte meine Uni wie eine alte graue Maus, die ein Zimmerjunge aus Lehm zusammengeschustert hatte. Vor allem hatte Dr. Kovačević zwar die Adresse gesagt, aber nicht, wo ich dann hinsollte. Während ich dies noch dachte, ging schon die Tür auf und ein großer, schlanker Mann Mitte 50 stand im Türrahmen. Er hatte silbergraues Haar und eine Art Hornbrille auf der Nase.

„Lolla von Bergmann", sah er mich fragend an und reichte mir die Hand.

„Richtig", erwiderte ich seinen kräftigen Händedruck. Ich war erleichtert, denn es gab wenig, was ich mehr hasste, als wenn mir jemand die Hand gab und dann nicht ordentlich zudrückte. Das fühlte sich für mich immer so an, als hätte ich einen toten Fisch in der Hand und ließ mich jedes Mal so schütteln, dass mein Gegenüber mich leicht verwirrt anschaute. Aber dann konnte ich ja schlecht sagen: „Deine Hand fühlt sich wie ein toter Fisch an", sondern musste mir immer irgendwelche Storys ausdenken. Mein Klassiker war: „Mir ist kalt", was aber auch komisch kam, wenn es wie jetzt 15 Grad draußen war. Also jedesmal ein echtes Dilemma.

Zumindest bleib mir das schon mal erspart und ich folgte Dr. Kovačević in das Innere des Gebäudes. Wir liefen durch einen hellen Flur und er zeigte mir einen der Untersuchungsräume.

„Nenn mich bitte Thomas. Unter Kollegen machen wir das so."

„Alles klar. Dass ich Lolla heiße, wissen Sie ja schon. Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben. Ich habe mich sehr gefreut!"

„Sag einfach du zu mir. Das macht es einfacher. Oh und da gerade unser Versuchskaninchen kommt, sollten wir ab jetzt Slowenisch reden. Lepo, da si prišel Peter. Komm rein. Das ist Lolla, die dich heute ein bisschen quälen darf."

Ich wirbelte herum, denn ich hatte mit dem Rücken zur Tür gestanden, und sah einen schlanken, braunhaarigen Jungen hereinkommen. Ne, ein Junge war er nicht mehr. Aber Mann zu sagen kam auch nicht hin, er schien nur etwas älter als ich zu sein. Vielleicht so 23? Auf jeden Fall hatte er ein freundliches Lachen auf den Lippen und schaute mich aus faszinierenden grün-braunen Augen an.

„Hey Lolla. Freut mich dich kennenzulernen. Du bist also der neue Doc hier?"

„Hallo, Peter richtig?" Er nickte. „Ne, soweit ist es noch nicht, ich studiere noch und bin gerade im 6. Semester. Aber mit Glück darf ich aber bald etwas mithelfen bei euch."

„Wenn du ihn heute lebend lässt", lachte Dr. Kovačević , ach ne Thomas, hinter mir. „Peter, setz dich am besten schon mal auf die Liege. Ich instruiere Lolla, was sie mit dir alles anstellen darf."

Ich wollte mich schon Thomas zudrehen, da fiel mir noch etwas ein. „Ich spreche noch nicht so gut Slowenisch, weil ich eigentlich aus Deutschland komme. Also falls ich etwas Falsches sage, korrigiere mich bitte. Und ich würde mich freuen, wenn du langsam sprechen könntest. So wie mit einem Kleinkind, dann ist perfekt", erklärte ich mit einem schüchternen Lächeln. Mir fiel es oft nicht so ganz leicht, darum zu bitten. Aber sonst verstand ich halt echt wenig.

„Kein Problem. Dein deutscher Akzent ist witzig", grinste mir Peter von seiner Liege entgegen.

Erleichtert drehte ich mich zu Thomas alias Dr. Kovačević zu.

„Wie viel klinische Erfahrung hast du denn schon? Den Untersuchungs-Kurs im 5. Semester hier an der Uni hast du ja komplett absolviert oder?"

„Ja, den habe ich gemacht. Zusätzlich dazu musste ich in Deutschland drei Monate im Krankenhaus arbeiten, aber das war noch im Vorklinikum. Dafür habe ich schon eine Famulatur absolviert." Bei der Famulatur arbeitete man meist einen Monat in der Klinik und musste die Dinge machen, auf die die Stationsärzte keine Lust hatten. Also Blut abnehmen, Blut abnehmen und nochmal Blut abnehmen. Manchmal durfte man auch ein EKG schreiben. Ich hatte sogar Glück und durfte bei manchen Untersuchungen mithelfen.

„Okay, das hört sich doch recht gut an. Lolla, sag mir immer, wenn du etwas noch nicht gemacht hast. Ich verlange nicht, dass du alles kannst, was ich dir auftrage. Als erstes würde ich gerne, dass du ein EKG von Peters Herz schreibst. Und keine Angst, Peter hat sich freiwillig gemeldet, es macht ihm nichts aus, hier zu sein. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Bloß nicht hetzen."
Thomas hatte eine so ruhige Art und Weise, wie man es fast ausschließlich bei Medizinern beobachten konnte. Er wäre sicherlich auch super geeignet, um in einer Uniklinik den OP zusammenzuhalten. Nichts schien ihn aus der Ruhe zu bringen. So einen Fels in der Brandung konnte jeder gebrauchen. Und da ich ein EKG schon öfter geschrieben hatte, war ich jetzt nicht mehr so nervös, wie noch vor einer halben Stunde.

„Würdest du dein T-Shirt ausziehen, damit ich ein EKG schreiben kann?", sah ich Peter fragend an, während ich das Gerät und die Aufkleber vorbereitete.

„Natürlich", antwortete er und zog es aus, während mir ein Aufkleber auf den Boden fiel und ich ihn aufhob. Als ich mich wieder aufrichtete, fiel ich fast um.
So einen schlanken und durchtrainierten Patienten hatte ich noch nie. Das hätte ich mal gebraucht, als ich die ganzen Knochen und Muskeln auswendig lernen musste. An Peters Körper sah man alles. Sein Musculus rectus abdominis (der vordere gerade Bauchmuskel) zeigte selbst im entspannten Zustand, wie er da auf der Liege lag, die typische Form des Sixpacks. Das war doch mal etwas anderes, als 80 Jährige Omi's zu untersuchen, die einem die ganze Zeit von ihrer vor 20 Jahren verstorbenen Katze Tiffy erzählten.
Meine Hände wurden sofort wieder schwitzig, aber ich versuchte meine Überraschung zu überspielen und ruhig zu bleiben.

„Ich taste erstmal deinen Brustkorb ab und fühle den Herzschlag, bevor ich die Aufkleber draufklebe. Erschrick nicht, ich hab immer kalte Hände."

„Alles gut. Mach nur. Keine Angst, so ein zartes Persönchen kann an mir wirklich nichts kaputt machen. Da hätte mir Thomas ja schon alles gebrochen", lachte Peter und er und Thomas fingen an über irgendwas Witziges der letzten Saison zu reden. Ich hörte nicht wirklich zu, da die beiden ziemlich schnell redeten und ich nun außerdem Peter untersuchen musste.
Ich legte mein beiden Hände auf seinen Brustkorb und spürte sofort die Kraft und die Wärme, die von ihm ausging. Unter meinen Händen schien es, als könnte ich jede kleine Erhebung spüren. Jeder Knochen, jede Faser der Muskeln, jede Rippe konnte ich tasten. Mein Verlangen, mit den Händen über seine Haut zu fahren und seinen gesamten Oberkörper zu erforschen, wuchs immer mehr.
Aber ich musste mich zusammenreißen, schließlich saß Thomas hinter mir und auch Peter fände diese Aktion vermutlich sehr verstörend. Also fühlte ich seinen Herzschlag mit der einen Hand, mit der anderen seinen Puls an der Hand und langsam konnte ich ihn berühren, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen. Meine medizinische Ausbildung gewann die Oberhand über seinen schönen Körper. Flott schrieb ich ein EKG und war zufrieden, denn es sah auf den ersten Blick alles normal aus.

„Gut gemacht, Frau Doktorin. So kalte Hände hast du gar nicht", vernahm ich Peters raue Stimme.
Ich schaute ihm in die Augen und wieder lief mir ein Schauer über den Rücken. Wie vorhin, als ich ihn das erste Mal berührte. Ich musste mich unbedingt wieder unter Kontrolle kriegen. Normalerweise war ich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.

„Danke Peter. Dein Glück, dass du das gesagt hast. Sonst hätte ich gleich ganz aus Versehen beim Blut abnehmen daneben gestochen", gab ich zurück und lachte, um den Worten ihre Schärfe zu nehmen. Mein Slowenisch kam immer besser in Schwung und ich konnte Peter sogar ganz gut verstehen.

„Hättest du nicht. Du willst du doch den Job haben!"

„Wer weiß?", musste ich jetzt richtig lachen. Ich liebte diese Art von Humor. Sich gegenseitig necken und aufziehen, den andern dabei aber nicht zu verletzen, war in meine Augen eine hohe Kunst und ich kannte nicht viele, die es beherrschten. Peter schien einer davon zu sein.

„Thomas! Hast du das gehört? Was hast du uns denn da eingebrockt? Du solltest wirklich ein Auge auf Lolla werfen. Nicht, dass ihr die Hand ausrutscht", tat Peter gespielt schockiert. Ich knuffte ihn leicht gegen die Schulter. Er grinste über beide Ohren. Ihm schien der Schlagabtausch genauso viel Spaß zu bringen.

„Du solltest mal eher aufpassen, dass mir die Hand nicht ausrutscht, wenn du meinen Zögling weiter von der Arbeit abhälst", lachte Thomas auch mit. „Sehr schön Lolla, da wir schon beim Thema sind. Nimm unserer Medaillenhoffnung doch bitte Blut ab und miss seinen Blutdruck."

„Alles klar. Wo finde ich Nadeln?" Thomas zeigte mir alles und ich machte mich an die Arbeit. Ohne Probleme maß ich Blutdruck, das hatte ich nun wirklich schon tausendmal gemacht.

„Würdest du dich aufrecht hinsetzen zum Blutabnehmen? Dir wurde schonmal Blut abgenommen nehme ich an. Hast du Probleme dabei? Kannst du Blut sehen?", fragte ich vorsichtshalber, denn ich wollte nicht meine Fähigkeiten im Reanimieren unter Beweis stellen müssen, wenn Peter mir umkippte.

„Ne, alles gut. Leg los" Also nahm ich mir seinen rechten Arm vor, staute und tastete nach guten Venen. Das war absolut kein Problem, seine Venen sprangen mir sozusagen ins Gesicht. Rasch nahm ich die Nadel, stach und füllte zwei Röhrchen Blut ab. Dann zog ich die Nadel raus und hielt einen Tupfer auf die Stelle.

„Das hast du gut gemacht. Ich geh kurz auf Toilette. Wartet einfach, bis ich wieder da bin", ging Thomas raus, während ich immer noch meinen Finger auf die Einstichstelle drückte.

"Du hast super schöne Venen", rutsche mir raus, bevor ich darüber nachdenken konnte. Super gemacht Lolla. Das klang jetzt überhaupt nicht komisch. Sowas sagen doch nur Freaks. Du hast schöne Venen, also echt. Sag ihm am besten gleich noch, dass du gerne seinen M. Trizeps surae (ein Wadenmuskel) anschauen möchtest. Wieso hast du nicht einfach die Klappe gehalten? schimpfte ich mit mir selber.

„Und du hast sehr zarte Hände", sagte der Skispringen mit seiner rauen Stimme. Natürlich errötete ich leicht und natürlich kam in genau dem Moment Thomas wieder rein.

„Blutet er etwa immer noch?", zog der Arzt die Augenbraue hoch. „Hast du ihm heimlich Blutverdünner gegeben oder was?"

„Ähm nein, nein. Ich hab's nur vergessen", beeilte ich mich zu sagen und klebte schnell ein Pflaster auf die kleine Stelle, bei der schon gar kein Blut mehr zu sehen war.

„Ich mach nur Scherze. Prüf bitte seine Reflexe. Ein Hammer liegt da oben", forderte Thomas mich auf und ich machte mich an die Arbeit. Auch darin hatte ich Übung. In Deutschland hatten mein bester Freund und ich uns gegenseitig stundenlang die Reflexe geprüft, bis wir sie im Schlaf auslösen konnte. Peters Reaktionen waren ganz normal.
Danach fragte mich Thomas einige Dinge ab, z.B. wie man Lactat messen kann und wozu. Was ich machen würde, wenn jemand nicht mehr atmete (was hoffentlich nie in seiner Abwesenheit eintreffen würde) und noch einige andere Sachen. Ich konnte aber immer recht gut darauf antworten. Wie er mir heute morgen angekündigt hatte, prüfte er mich keine komischen oder sehr komplizierten Sachen ab. Er schien ganz genau zu wissen, was ich bis zum 6. Semester schon hatte und was nicht. Klar, er hatte ja selber mal studiert.

„Super, ich bin zufrieden mit dir Lolla. Wenn du möchtest, hast du den Job. Du kennst dich gut aus und das Wichtigste ist, du gehst geduldig und sehr bedacht mit Patienten um. Wenn es etwa fatal in diesem Beruf ist, dann ist es Hektik." Ich nickte. Das war schließlich genau meine Meinung. „Das Formelle würde ich dir per Email schicken. Natürlich nur, wenn du überhaupt noch möchtest. Alles okay bei dir? Du guckst mich an als wäre ich eine Kuh", musste Thomas lachen.

„Wie was?" Das Letzte hatte ich nicht verstanden.

„Du guckst mich an als wäre ich eine Kuh", wiederholte er noch mal auf Deutsch.

Jetzt lachte ich auch. „Ne, das ist nur so überraschend. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich überhaupt ne Chance habe. Ich meine, mein Slowenisch ist noch nicht so gut und ich bin erst im sechsten Semester. Das ist mega cool. Natürlich will ich noch! Boah, richtig cool!", freute ich mich und geriet ganz aus dem Häuschen. Fast wäre ich in die Luft gesprungen vor Freude.

„Das freut mich sehr", befand Thomas und besiegelte das Ganze mit einem Handschlag.

„Pass auf, dass du ihre zarten Hände ganz lässt", witzelte Peter, der immer noch auf seiner Liege saß. Zum Glück hatte er mittlerweile sein T-Shirt wieder an.

„Du!", rief ich und gab ihm übermütig einen Klaps auf die Schulter. „Pass auf, das nächste Blutabnehmen kommt. Jetzt bist du nicht mehr sicher vor mir."

„Da habe ich aber Angst."

„Solltest du auch."

„Hey Thomas, kommt Lolla mit ins Trainingslager nächste Woche? Dann könnte sie das Team kennenlernen. Ich sag Domen schonmal, dass er sich in Acht nehmen soll."

„Hm, du hast recht. Eigentlich wäre das optimal, damit du vor der Saison alle kennenlernst. Und ich könnte dich in einige Besonderheiten in der Behandlung einweisen. Jetzt vor der Saison haben wir dazu noch Zeit. Aber ich muss mal mit Goran und den Verantwortlichen reden. Hättest du überhaupt Zeit dazu? Ich meine, ich kenne das Medizinstudium", sah mich Thomas fragend an.

Also das war jetzt echt etwas viel. Bis gestern Abend war ich noch in meiner kleinen Welt mit meinem Studium und meiner kleinen Dachgeschosswohnung und jetzt sollte ich auf einmal in ein Trainingscamp mit Skispringern? Aber irgendwie reizte mich der Gedanke. War ich nicht auch genau deshalb nach Slowenien gekommen? Weil ich die alte Lolla vergessen und mich in neue Abenteuer stürzen wollte? Also wieso nicht zugreifen, wenn sich eine Möglichkeit auftat? Vor allem kam ich wirklich gut mit dem Arzt klar und konnte sicherlich viel von ihm Lernen. Und Peter... Na, darüber konnte ich mir später Gedanken machen.

„Ach, das Semester hat ja gerade erst angefangen und bis zu den Klausuren ist ja noch etwas Zeit. Und da ich mit euch Slowenisch rede, kann ich auch den Sprachkurs schwänzen. Wie lange geht das denn und wann?"

„Wir fahren am Donnerstag, es ist aber nicht weit von hier. 2 Stunden, da wir im Land bleiben. Und es geht auch nur 4 Tage. Also wenn du Lust hast, dann frage ich nach. Alles klar?"

„Das klingt super. Vielen Dank für alles."

„Wo wohnst du? Soll ich dich nach Hause fahren?", fragte Peter mich.

„Na, da ist aber einer eifrig", wunderte sich Thomas.

„Ach quatsch, ich bin doch nur höflich", beschwerte sich der Skispringer.

Siehst du Lolla. Da haben wir es . Er ist nur höflich. Also streich dir deine komischen Ideen aus dem Kopf.

„Vielen Dank, aber ich wohne mitten in der Stadt und bin mit dem Fahrrad hier. Vielen Dank für das Angebot."

„Na gut. Dann sehen wir uns spätestens im Trainingslager. Machs gut. Und pass auf deine Hände auf", verabschiedete sich Peter von mir und zwinkerte leicht.
Ich gab ihm zum Abschied einen Schubs und winkte beiden kurz zu, bevor ich raus in den Nieselregen ging, meine Kapuze hochzog und auf meinem Fahrrad den Heimweg antrat.

Eigentlich alles genauso wie gestern. Aber es gab einen Unterschied: Ich war jetzt Assistentin von Dr. Kovačević und hatte einen Skispringer namens Peter kennengelernt. Mit diesem Gedanken fuhr ich nach Hause.


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