Kapitel 5

307 12 2
                                    

„Reichst du mir bitte mal die Milch Tilen?", fragte ich den jungen Slowenen, der rechts von mir saß, um meine improvisierten Haferflocken nicht trocken essen zu müssen. Naja, man konnte auch nicht erwarten, dass ein Sporthotel Schokocroissants hatte. Die Skispringer aßen allesamt zwar viel, aber schon sehr gesund, wie ich es überblicken konnte. Dafür war der Kaffee hier überragend.

„Natürlich. Übrigens dein Slowenisch ist richtig gut. Ich weiß gar nicht, was du hast. Würde ich ein halbes Jahr Deutsch lernen, wüsste ich wahrscheinlich gerade mal, wie ich mich vorstelle. Das zumindest habe ich aus meinen 5 Jahren Französisch in der Schule mitgenommen: Je m'appelle Tilen. Ca va?"

Ein Grinsen zuckte über mein Gesicht. Mit Französisch ging es mir tatsächlich nicht anders. „Danke. Ich glaube, es kommt daher, dass mich keiner gezwungen hat, das zu lernen, wie es in der Schule ist. Ich habe mir das Land und die Sprache schließlich ausgesucht. Und der Slowenischunterricht der Uni ist echt gut. Auch wenn deren Seminarräume immer furchtbar kalt sind. Ich bin eine ziemliche Frostbeule, musst du wissen", erklärte ich Tilen.

Bei diesen Worten schaute Peter - er saß gegenüber von mir - auf, guckte mir in die Augen und ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Ich hatte bemerkt, dass er es beherrschte, so zu lächeln, dass man es fast übersah, wenn man nicht genau darauf achtete. Eigentlich zog sich nur sein linker Mundwinkel nach oben, sodass er so einen schiefen, verschmitzten Ausdruck im Gesicht hatte. Aber seine Augen. Sie leuchteten dann auf, als hätte jemand ein Licht im Dunkeln angeknipst. Wie ein heller Stern in der Nacht. Ich liebte dieses Lächeln jetzt schon, weil es so sanft und liebevoll aussah.

Ich erröte leicht, als mich dieser Blick traf und schaute schnell auf mein Müsli runter. Konzentriert tauchte ich meinen Löffel in die Milch und tat so, als wäre das eine äußerst komplizierte Angelegenheit, die meine volle Aufmerksamkeit erforderte. Dass das etwas kindisch und albern war, wusste ich selber. Aber mich mit der Nacht auseinanderzusetzen, da war ich noch nicht bereit für. Zu geborgen und sicher hatte ich mich in seinen Armen gefühlt.

„Erde an Lolla. Jemand zu Hause?", klopfte mir Tilen auf die Schulter. „Hast du auch nur ein Wort davon mitbekommen, von dem, was ich gesagt habe?"

„Sorry, ich habe wohl geträumt", nuschelte ich etwas. „Magst du es nochmal sagen?"

„Ich habe dich gefragt, wie du die Uni findest? Vor allem, wenn man sie mit deutschen vergleicht. Ich hatte nämlich an der Uni zwei Semester Zahnmedizin angefangen, bevor meine Karriere in Schwung kam", erzählte er mir stolz und sofort tat es mir Leid, dass ich mit meinen Gedanken nur bei Peter gewesen war. Ich sollte schließlich für alle Springer ein offenes Ohr haben.

„Ein Zahni!", ich lachte. Das hatte ich nicht erwartet, aber es freute mich. In Deutschland gab es immer einen kleinen Machtkampf zwischen Medizinern und Zahni's, den ich nie verstanden hatte. Manche nannten sie sogar ganz abwertend nur „Zahnheilkundler".

„Die Uni ist für deutsche Verhältnisse wirklich ein Traum. Hier sind kleine Gruppen, keine überfüllten Räume, genug Professoren, die wirklich engagiert sind, Fragen stellen und Studenten motivieren können", begeisterte ich mich wieder von neuem. „Meine Horrorgeschichte in Deutschland ist aus dem zweiten Semester, als im Hörsaal zu wenig Plätze waren und einige Studenten die Klausur auf den Treppen schreiben mussten". Tilen hörte mir interessiert zu, erzählte mir von seinen eigenen Erfahrungen und so ging das Frühstück schneller rum, als ich blinzeln konnte.

Thomas kam zu mir und sagte: „Wir treffen uns in 15 min im ersten Stock, da sind unsere Behandlungsräume und gehen deine Aufgaben durch, okay?"

„Ja klar, ich bin gleich da", beeilte ich mich zu sagen. Ich musste selber über meinen Eifer lachen. Es war ein gutes Zeichen, dass ich mich so auf die Arbeit freute.

Thomas lachte auch mit. „Bloß keine Hektik. Du weißt ja, das ist kontraproduktiv in der Medizin", zwinkerte er und ging schon mal vor.

Auf dem Flur traf ich zufällig auf Peter, der schon seine Laufsachen anhatte. Schnell schaute ich mich um, ob noch jemand außer uns im Flur war, aber ich konnte niemanden sehen. Also sagte ich leise: „Warte kurz, dann gebe ich dir deine Klamotten zurück", und drehte mich schon in Richtung meines Zimmers um.

„Lass nur Lolla", Peter hielt mich am Arm zurück. „Behalt sie. Falls dir wieder kalt wird", zog er mich auf und lachte leise.

„Haha, das ich echt nicht witzig. Lauf du mal als wandelnder Eisklumpen rum. Ich könnte nie in kurzer Hose in der Kälte laufen gehen", deutete ich auf seine Laufshorts.

„Du gewöhnst dich bald an das Klima hier".

„Na hoffentlich", ich seufzte. „Also willst du sie echt nicht wiederhaben?", zweifelnd guckte ihn an.

„Ne, lass ruhig. Außerdem: Sie riechen doch soo gut", neckte er mich und zog dabei die Nase kraus.

„Och du", ich gab ihm einen Klaps vor die Brust, musste aber trotzdem grinsen. „Das sage ich dir nie wieder. Sonst bildest du dir noch was drauf ein."

„Darauf bin ich gespannt! Riechen sie denn etwa nicht gut Lolla?". Peter ließ aber auch einfach nicht locker.

„Doch", gab ich zähneknirschend auf. „Warte ab, heute Mittag bin ich mit Blutabnehmen dran. Es steht noch eine Revanche aus mein Lieber."

„Deine zarten Händen können doch gar nicht daneben stechen", sagte er und lächelte dieses schiefe Lächeln.

„Peter, was machst du denn schon wieder? Du hältst hier noch den ganzen Laden auf! Raus mit dir auf die Laufstrecke. Und dich nehme ich jetzt mit Lolla!" Thomas sprach ein Machtwort und ich war ihm sehr dankbar dafür, denn alleine hätte ich mich vermutlich schwer getan, mich von Peter loszureißen. Ich wusste noch nicht genau, woran das lag. War es, weil er der erste von den Springern war, die ich kennengelernt hatte? Oder hatte er wirklich diese spezielle Aura, die ihn zu umgeben schien?
Wahrscheinlich bildete ich mir das alles eh nur ein. Max würde jetzt sagen: „Lolla, hör auf dir so viele Gedanken zu machen! Man sieht dein hübsches Köpfchen schon wieder rauchen. Leb einfach in den Tag!" Ich musste Max dringend wiedersehen. Er hatte so Recht mit seinen Ratschlägen, denn ich durchdachte alles immer viel zu viel. Bis irgendwann nichts mehr davon übrig war.

„Worüber denkst du nach?", sah mich Thomas von der Seite an. Seine Hornbrille war ihm etwas auf der Nase runter in Richtung Nasenspitze gerutscht und jetzt sah er eher wie ein verplanter Kunstprofessor aus, so mit wehendem Kittel, weißen Haaren und der Brille auf der Nase.

War ich denn von allen wie ein Buch zu lesen? Himmel, vielleicht sollte ich mal einen Schauspielkurs machen, damit ich meine Gefühle besser verstecken konnte. Connie konnte mich bestimmt beraten. Die kannte sich mit Theater ja aus.

„Ach, ich musste nur an meine Freunde in Deutschland denken. Ich habe die nicht mehr gesehen, seit ich hergekommen bin", erklärte ich ihm.

„Hm, das ist eine schwierige Sache. Lad sie doch einfach mal ein. Hier in Slowenien kann man schließlich viel machen. Außerdem, mit den Jungs verstehst du dich doch echt gut, habe ich das Gefühl oder? Besonders mit denen, die in deinem Alter sind."

„Ja, das stimmt. Ihr seid wirklich super nett alle."

Thomas lachte und hielt mir die Tür zum Behandlungszimmer auf: „Na, das hört man doch immer gerne. Komm rein. Ich erzähl dir, was die Tage so ansteht."

Die nächsten Stunden wurde ich in alle medizinische Details eingewiesen und mein Kopf rauchte jetzt nicht mehr, weil ich mir unnötige Sorgen machte, sondern eher, weil ich versuchte, mir alles zu merken. Ich war für die tägliche Routineuntersuchung der Sportler zuständig. Das bedeutete, dass ich jeden Tag Blut abnehmen musste, welches dann ins Labor nach Ljubljana geschickt wurde. Außerdem musste ich immer nach Schmerzen fragen und die Ergebnisse den Physio's mitteilen. Heute wollte Thomas nochmal bei allem dabeibleiben.
Zusätzlich standen Extras an. Thomas traute mir heute eine Untersuchung von Timi am Spirometer zu. Wobei das auch nicht wirklich schwer war, da der Computer alles für einen machte. So etwas hatten wir schon im dritten Semester in Deutschland gemacht. Man pustete einfach in ein Gerät, welches dann maß, wie oft und wie tief man atmete und schicke Diagramme zeichnete. Damit konnte man z.B. auch Asthma feststellen. Der Name Spirometer war typisch Mediziner. Man hätte es auch einfach Atem-Maschine oder so nennen können. Aber nein, das klang ja nicht cool genug. Also Spirometer.

Bis zum Mittagessen steckte ich tief in der Arbeit und als ich mit allem fertig war, hätte ich mich ins Bett legen und auf der Stelle einschlafen können. Puh, richtig arbeiten war doch etwas anderes, als in der Uni zu sitzen und Theorie auswendig zu lernen.

Nach dem Essen stand ein offizielles Tischtennisturnier an, bei dem alle mitmachten. Auch das Team. So richtig mit Vorrunde, Halbfinale und Finale. Da ich früher als Kind ganz gerne Tischtennis gespielt hatte, lief es richtig gut bei mir, auch wenn ich etwas Glück hatte und mit Timi, Jernej und Urban, dem Physio, nicht die härtesten Gegner hatte. Im Halbfinale wäre ich fast gegen Tilen ausgeschieden, weil er mindestens genauso gut, wenn nicht besser als ich spielte.

„Richtig gut Frau Doktor", sagte Peter laut, der schon in der Vorrunde ausgeschieden war, und alle anderen lachten über das Frau Doktor. Mir selber war das eher peinlich, schließlich hatte ich weder einen Doktortitel noch hatte ich fertig studiert.

Tilen und ich schüttelten uns die Hände.
„Da hatte der Zahni doch tatsächlich mal das Nachsehen", zog ich ihn auf.

„Pass bloß auf, was du sagst. Sonst komme ich wieder an die Uni zurück und zeig dir, dass ich mindestens genauso gut bin. Du würdest staunen, was ich alles über Biochemie raushauen kann."

„Mach ruhig, ich freu mich drauf", erwiderte ich, bekam aber nicht wirklich Angst, weil Tilen viel zu großes Potenzial im Springen hatte, wie ich mitbekommen hatte, als dass er das einfach aufgeben würde.

„Gegen wen spiele ich denn im Finale?", fragte ich und guckte in die Runde.

„Gegen wen wohl?", krähte ein aufgekratzter Domen und grinste mich überlegen an.

„Ist nicht dein Ernst! Stimmt das?", schaute ich die anderen an. Thomas nickte bestätigend. Er war gegen Domen im Halbfinale rausgeflogen.

„Tja, jetzt hast du wirklich Angst oder?", feilschte Domen und trat zu mir. „Lass uns wetten, wer gewinnt okay?"

„Okay, schlag was vor." Im Nachhinein war ich mir wohl etwas zu sicher gewesen, beziehungsweise hatte Domen's Durchtriebenheit unterschätzt.

„Hm", tat er, als würde er überlegen. „Schwere Entscheidung. Ich weiß was!" Er grinste mich verschmitzt an und sagte leise, sodass nur ich es hören konnte: „Der Verlierer muss in Peter's Zimmer schlafen."

Mir stockte der Atem. Nicht, dass ich die letzte Nacht nicht schön gefunden hatte, aber ich hatte mich schon auf mein Einzelbett gefreut, wenn ich mal etwas Zeit hatte über alles nachzudenken, vielleicht mit Max zu skypen und mir nicht Gedanken um einen gewissen braunhaarigen Slowenen mit grünen Augen machen zu müssen.

Waren das nicht schon wieder die Gedanken der alten Lolla? Ich wollte mich doch ohne Gedanken in neue Abenteuer stürzen. Wo war meine Unbekümmertheit, wenn ich sie brauchte?

„Deal", ich schlug ein, fast erschrocken über mich selber. Domen zog überrascht die Augenbrauen hoch. Damit hatte er wohl nicht gerechnet, dass ich so schnell nachgab.

„Du hast keine Chance", sagte ich und ging auf meine Seite.

„Das glaubst auch nur du". Domen schien genauso siegessicher.

Pass jetzt auf Lolla und konzentrier dich! Ich wusste, dass Domen nicht nur sehr gut spielte, sondern mit allen Wassern gewaschen war.

Und so kam es natürlich, dass ich knapp verlor. Domen feixte und lachte bis zu beiden Ohren. „Viel Spaß mit Schnarcher Sis. Und klau ihm nicht wieder die Klamotten."

Der hatte gut lachen. „Pass bloß auf, dass ich dir nachher beim Mathelernen nicht extra was Falsches erkläre aus Rache", knurrte ich ihm zu. Da hatte ich mir ja was Schönes eingebrockt.


In Lolla's Zimmer am Schreibtisch

„Zu allererst vor jeder Kurvendiskussion musst du mindestens zweimal ableiten, am besten machst du es gleich dreimal, dann sparst du dir später Zeit", erklärte ich einem lustlosen Domen. Er hatte überhaupt keine Lust auf Mathe, aber ich hatte darauf bestanden. Wenn er mich schon beim Tischtennis besiegte, wollte ich ihn wenigstens ein bisschen mit Mathe quälen dürfen.
„Können wir das nicht morgen machen?", fragte er hoffnungsvoll und guckte mich mit seinen Hundeaugen an.

„Als ob du morgen mehr Lust darauf hast, Domen. Du wirst sehen, dass es Spaß bringt, wenn du es einmal verstanden hast". Diesmal würde er mich nicht mit diesem Blick bekommen. Ich konnte auch sehr stur sein.

„Ich weiß zwar nicht, was du genommen hast, aber es scheint gut zu sein. Hast du noch mehr davon? Mathe und Spaß!", er schüttelte verständnislos den Kopf.

„Jetzt quatsch nicht, sondern fang an. Ich möchte, dass du diese Funktion jetzt dreimal ableitest. Die höchste Potenz ist 4. Wenn du es einmal ableitest, was ist dann die höchste Potenz?"

„Oder kommt das, wenn man Peter's Klamotten anzieht? Vielleicht färbt dann sein Arbeitseifer auf einen ab", überlegte Domen laut. „Ich sollte morgens auch mal mit seinen Klamotten auf dem Flur rumlaufen oder?"

Ich wusste nicht, wieso er so darauf herumritt, aber ich wollte dieses Mal nicht klein beigeben. Schließlich war es wirklich wichtig, dass er in der nächsten Matheklausur besser war. Und Analysis war nicht schwer, wenn man einmal das Grundprinzip verstand, dann war es wie ein Kochrezept, das man anwenden konnte.

„Domen, hör auf abzulenken und konzentriere dich darauf, was ich dir sage. Willst du durch's Abi fallen oder was?"

„Pah, du lenkst doch ab. Du willst mir ja nur nicht erzählen, wieso du seine Sachen anhattest."

Ich schaute ihn mit hochgezogen Augenbrauen an.

Domen verdrehte die Augen. „Boah, und ich soll stur sein? Die haben dich noch nicht gesehen. Na gut, erklär mir diesen Mist."

Ja! Endlich hatte ich es geschafft. Freudig kniff ich ihn in die Wange, was er natürlich furchtbar kindisch fand und gleich wieder anfing, sich zu beschweren.

„Wenn ich dir jetzt zuhöre und mitarbeite, erzählst du mir dann, wieso du Peter's Sachen anhattest? Er würde die nämlich nie einfach auf den Boden werfen. Ich kenne meinen großen Bruder."

„Okay", gab ich mich geschlagen. „Aber nur, wenn wir jetzt endlich anfangen."

Und dann erklärte ich ihm drei Stunden lang Mathe, bis er selber eine komplette Kurvendiskussion durchführen konnte. Domen verstand schnell. Er war so ein Typ von Schüler, der keine guten Noten in Mathe schrieb, weil es kein Lehrer vermochte, ihn für die Schönheit der Mathematik zu begeistern. Ich kannte das, bei mir war es damals genauso, bis ich mich selber dafür begeisterte.
Denn Mathe war logisch, da war nichts wegzudiskutieren oder mit Sympathie behaftet. Wenn das Ergebnis richtig war, dann war es richtig.
So ein kluger Kerl wie Domen hatte mit dem Intellektuellen dahinter wenig Probleme, solange er konzentriert und mit Lust an die Sache ranging. Mir ging das Herz auf, wie ich ihn so sah, voll vertieft in die Aufgaben und möglichst bedacht darauf, keinen Fehler zu machen.

„Sehr gut. Ich bin stolz auf dich. Wenn du magst, machen wir für heute Schluss. Es ist schon nach neun Uhr und wir sollten schlafen gehen. Morgen rechnen wir dann eine ganze Klausur durch okay?"

Domen nickte. Er sah zufrieden mit sich aus und seine Augen glänzte. Es freute mich ehrlich, dass ich ihm helfen konnte. Früher in Deutschland hatte ich viel Nachhilfe gegeben, vielleicht sollte ich das wieder anfangen. Obwohl, ich stockte, mit welcher Zeit? Viel mehr konnte ich nicht mehr in meinen Zeitplan reinhauen. Naja, wenigstens Domen konnte ich ab und zu sicher helfen.

„Danke Lolla. Ganz ehrlich. Ich glaube, Mathe hat mir noch nie so viel Spaß gebracht wie heute Abend. Du bist echt ne super Lehrerin." Er umarmte mich und ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Ey, werde ich jetzt bestraft oder was? Ich habe doch gut mitgearbeitet."

„Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen", erläuterte ich ihm, meinte das natürlich aber nicht ernst.

Domen griff nach meinem Handgelenk und drehte es ein bisschen um. „Pass auf, was du sagst Sis! Freche kleine Mädchen kommen in die Hölle". Sein Gesicht strahlte förmlich vor Freude, dass ihm so ein guter Konter eingefallen war.

Mein Lachen wurde lauter. „Da bist du stolz, dass du dir der Spruch eingefallen ist was?", zog ich ihn auf. „Und jetzt lass mich los. Ich will schlafen gehen."

Er hielt mich immer noch am Handgelenk fest. „Nö. Erst erzählst du mir die Geschichte."

Ich seufzte, dieser sture kleine Esel. Aber ich hatte mir während der Mathe-Stunden eine glaubhafte Geschichte ausgedacht, die nichtmal gelogen war. Nur halt nicht alles umfasste. „Okay, gestern Abend als die Heizungen ausgefallen waren, war mir kalt und ich konnte nicht schlafen. Also hat mir Peter ein paar von seinen Sachen aus dem Schrank geliehen. Zufrieden?"

Domen sah immer noch nicht überzeugt aus. Ich fragte mich wieso, denn die Geschichte war wirklich gut. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass er mich und Peter in einem Bett schlafend gesehen hatte und mehr dahinter vermutete.

„Und deshalb hast du so ein Drama darum gemacht? Wieso hast du nicht gleich gesagt, dass er dir was aus dem Schrank gegeben hat, anstatt zu sagen, dass du die Sachen vom Boden genommen hast? Das ergibt doch kein Sinn."

Wieso war der Kerl auch so clever? „Keine Ahnung." Ich zuckte mit den Schultern. „Heute morgen war ich irgendwie so müde und benebelt und außerdem mag ich es nicht, wenn alle wissen, dass mir so schnell kalt ist." Ich grinste ihn an.

„Also Lolla, ich finde dich ja wirklich richtig cool und du bist die beste Mathe-Nachhilfe, die es gibt, aber du hast echt einen Dachschaden." Domen sah mich kopfschüttelnd an.

Ich musste laut loslachen. „Also wenn ich einen Dachschaden habe, dann fehlt bei dir das komplette Dach!" Er musste auch lachen und boxte mich in Bauch.

„Aua, so jetzt geh ins Bett und schlaf endlich du Verrückter."

Domen umarmte mich nochmal mit so einer Mischung zwischen „kleiner Bruder umarmt liebevoll die große Schwester"- und „ich breche dir den Hals und nehme dich in Schwitzkasten"- Umarmung. „Gute Nacht. Ich habe Peter vorhin übrigens von unserer Wette erzählt. Sag ihm, dass ich heilfroh bin, sein Geschnarche nicht miterleben zu müssen. Außer dir tauscht nämlich niemand mit mir freiwillig das Zimmer, weil alle wissen, dass er schnarcht"

„Also erstens ist das hier alles andere als freiwillig gewesen und zweitens: Ich weiß gar nicht, was du hast, ich habe ihn überhaupt nicht gehört. Aber ja, ich sag's ihm. Bis morgen Domen." Ich verließ sein beziehungsweise mein Zimmer.

Da rief er mir noch hinterher: „Mach dein Handy laut! Und brauch nicht wieder ne halbe Stunde zum Aufstehen."

Über den Dächern der WeltWhere stories live. Discover now