Kapitel 14

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Liam POV
Der Irre hatte mich doch tatsächlich die ganze Nacht über so stehen lassen. Na gut, gestanden war ich nicht die ganze Zeit über. Irgendwann hatten meine Beine nachgegeben und meine Arme hatten mein ganzes Gewicht tragen müssen, die schmalen Handschellen hatten mir dabei tief ins Fleisch geschnitten. Deswegen hatte ich wohl oder übel wieder wechseln müssen. Während ich meine Arme entlastet hatte und der Schmerz dort langsam wieder abgeebbt war, hatte sich dieser wieder in meinen Beinen gemeldet. So kam es, dass diese Nacht alles andere als erholsam für mich gewesen war und immer entweder meine Arme oder meine Beine gebrannt hatten, wobei es in den Armen am schlimmsten gewesen war. Dazu kamen noch die anfangs beinahe unerträglichen Schmerzen an meinen Rücken. Er war doch einfach nur verrückt!

Und doch war ich heilfroh, als ich hörte, dass sich was regte. „Bist du wach?", fragte ich zögerlich. Es kam nur ein Brummen, was aber irgendwie zustimmend klang. Erleichtert atmete ich auf. Weitere Minuten verstrichen und langsam wurde ich ungeduldig. Ich hörte ihn mit seiner blöden Hündin reden, mich ignorierte er einfach. Erneut verlagerte ich mein Gewicht, murrte anschliessend: „Lässt du mich jetzt endlich auch mal runter? Fürs Schmusen hast du ja nachher auch noch Zeit." Daraufhin hörte ich, dass er aufstand, wahrscheinlich. „Hab ich nachher noch, da hast du recht. Jetzt ess ich aber zuerst mal was. So eine Bemerkung brauche ich nicht von dir", war zu hören und ich machte den Mund auf, um was zu sagen, aber dann waren schon Schritte zu hören, gleich darauf das Geräusch von auf den Parkett treffenden Pfoten. Anschliessend das Öffnen und Schliessen einer Tür.

Unwillig schüttelte ich den Kopf und fluchte leise, aber er war weg und das hiess, dass ich noch länger so bleiben musste. Ich wollte mich doch nur hinlegen. Ich bereute es nicht, dass ich das gestern versucht hatte. Ich bereute nur, dass ich es nicht geschafft hatte. Denn dann hätte ich den Spiess umdrehen können, dann wäre er jetzt in meiner Lage. Dann müsste er jetzt bezahlen. Aber irgendwann würde er das tun, irgendwann.

Ich hörte, wie sich die Tür erneut öffnete und drehte den Kopf auch in die entsprechende Richtung, sagte dieses Mal aber nichts. Schritte, ganz leise. Ich wartete ab und zitterte leicht, nicht vor Angst, sondern wegen der Anspannung. Auch wenn ich normal stehen konnte, schmerzten meine Beine mittlerweile wirklich, immerhin war ich etliche Stunden einfach nur so gestanden, ohne Zwischendurch immerhin einen Schritt oder so machen zu können. Ich konnte spüren, dass er was an dem Seil machte, das meine Arme oben hielt und sobald das nicht mehr der Fall war, liess ich sie sofort sinken. Ich konnte mich aber noch nicht hinsetzten, denn er hielt meine Hände fest und machte da noch was, ich nahm mal an, dass er das Seil abmachte. Danach spürte ich seine Hände an meinem Hals. Also war es die Leine gewesen. "Komm", bekam ich die knappe Anweisung. Ich unterdrückte ein Seufzen und folgte ihm dann langsam. Ich wollte mich doch eigentlich nur hinlegen, auch wenn es nur in dem kleinen Käfig war.

Aber immerhin konnte ich dann auf der Toilette sitzen, das war schonmal was. Ich liess mir Zeit, aber er schien ungeduldig zu werden. Als wir damit fertig waren, brachte Blondie mich zurück und liess mich in den Käfig krabbeln. Am liebsten hätte ich ihm das Teil an den Kopf geworfen. Aber jetzt war ich doch irgendwie froh, dass ich hier rein konnte, hier konnte ich mich immerhin etwas ausruhen. Auch als er meine Hände mit Hilfe der Handschellen an den Gitterstäben anmachte, wehrte ich mich nicht, ich liess ihn einfach machen. "Viel Spass und bis heute Abend", verabschiedete er sich von mir, nachdem er das Türchen meines Käfigs geschlossen hatte. Ich könnte hören, wie er ging. Ich war wieder alleine. Zum Glück. 

Ich versuchte auch gar nicht erst, mich zu befreien, sondern lag einfach da und entspannte mich, so gut es ging. Die Schmerzen blendete ich einfach aus und nach wenigen Sekunden schloss ich die Augen.

Ich wurde durch eine Stimme aus dem Schlaf gerissen und hob ruckartig den Kopf, um mich alarmiert umzusehen, aber die Schwärze blieb. Stimmte ja, diese blöde Augenbinde. „So, jetzt bist du wohl wach", erklang es von vorne und ich guckte in die Richtung, in der er sein sollte. Ich verbiss mir einen bissigen Kommentar und wartete ab. „Du hast dir gestern die Wörtchen angeguckt. Mal sehen, wie viele davon noch hängen geblieben sind. Übersetze die folgenden Sätze, wenn du es nicht tust oder zu viele Fehler machst, bekommst du auch heute kein Essen", sagte er und ich knirschte kurz mit den Zähnen. Vorher im Schlaf war es noch gegangen, aber jetzt hatte ich echt einen riesigen Hunger. „Puella et amicae amant equos. Puella videt equum pulchrum. Equus est magnus",  fuhr er fort und ich kam kaum hinterher. Er sagte es zwar ganz langsam und deutlich, aber zum einen hatte ich dieses 'pulchrum' noch nie gesehen und zum anderen waren die Endungen doch komisch, beispielsweise hatte ich das Wort 'amica' mit der Bedeutung 'Freundin' im Kopf, aber warum da hinten noch ein 'e' war, verstand ich nicht, ebenso wenig verstand ich, warum bei dem ersten Pferd ein 'os' am Schluss war. Aber ansonsten ging es eigentlich noch. „Ich lass dich mal. Diese drei einfachen Sätze solltest du wohl übersetzen können", meinte er, mein Magen knurrte. „Ich hab dieses pulchrum noch nie gesehen", machte ich ihn darauf aufmerksam. Stille. Als hätte er mich nicht gehört, als wäre ich nicht hier. Oder als wäre er nicht hier. Ich versuchte so leise wie möglich zu atmen. Nichts. Ich war der einzige in dem Raum, der für Geräusche sorgte. Aber wie sollte Blondie sonst mit mir sprechen?

Ein neues Haustier?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt