1 Morgenröte

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Ein schwerer Stiefel saust an mir vorbei und schlägt krachend in die beige Oberfläche des Automaten.
Acht Loch, aus dickem, schwarzem Leder, mit dreifachen Nähten und vorn über der Stahlkappe abgerieben.
Ich fahre herum und sehe in ein Grinsen und einen abschätzenden Blick. Beides gehört zu einem jungen Typen, der genauso dunkel gekleidet ist, wie ich.
Meine Augen wandern von dem nachlässig übergeworfenen Lächeln zu der nachlässig angezogenen Kapuzenjacke hinunter bis zu seinen nachlässig zugebundenen Schuhen. Es scheint das Adjektiv zu sein, das diese nächtliche Begegnung am besten beschreibt.
Die Stiefel sind die gleichen, die ich selbst anhabe, nur größer.
Kurz frage ich mich, ob er auch zwei Schichten Socken darin trägt, um sich die Füße nicht aufzuscheuern.
Ein unverbindliches „Hi" und ein weiterer Tritt unterbrechen meine Gedanken um den Zustand seiner Zehen.

Er vertieft die Delle, die er beim ersten Mal hinterlassen hat.
Der Lärm der Aktion breitet sich auf der Oberfläche der Nacht aus, wie Ringe auf ruhigem Wasser, das von einem Stein getroffen wird.
Außer dem Typen und mir hört es wohl niemand. Hier beobachten uns nur leere Fensterhöhlen in verlassenen Häusern.
Die Szene findet außerdem unter einem Gerüst, hinter dem weißen Vorhang einer Plane statt, der uns vor Zuschauern in vorbeifahrenden Autos verbirgt. Doch selbst die sind um diese Zeit rar.

Achtlos ruckt er einmal fest an der verbeulten Klappe. Der Zigarettenautomat springt auf und gibt seinen Inhalt preis. Weder mich noch ihn interessiert die schmale Kassette mit dem Geld.
Die goldenen Benson sind aus, aber Schachteln kornblumenblauer Gauloise stapeln sich in ihrem Fach.
Davon greift er sich eine und reißt mit geübten Bewegungen die knisternde Folie und das silberne Papier ab. Beides lässt er nachlässig fallen. Wieder dieses Adjektiv.
Das Silber erreicht den Boden mit einem knappen Vorsprung und bleibt neben seinen Schuhen liegen.

Die ganze Zeit stehe ich dabei, als wäre es nicht ungewöhnlich, um vier Uhr morgens einem Fremden beim Aufbrechen eines Automaten zuzusehen.
Es ist eine der unerwartbaren Situationen, in die ich manchmal hineingerate. Ich versuche dann, mich umso normaler zu verhalten, je merkwürdiger die Begebenheit verläuft.

Er klopft mit langen, weißen Fingern gegen den Boden des Päckchens und die Zigaretten gleiten ein Stück heraus. Sie lassen sich nun besser greifen.
„Du wolltest doch Kippen?", fragt er und hält mir die Packung hin.
„Klar", antworte ich und nehme mir eine.
Meine Hand sucht in der Hosentasche nach Feuer, aber er ist schneller.
Eine Flamme leuchtet zwischen uns auf, die er aus einem schwarzen Einwegfeuerzeug hervorgeschnippt hat.
Er hält es zu tief und zu nah bei sich, sodass ich gezwungen bin, mich zu ihm zu beugen.
Falls er vorhat mich zu überwältigen, ist das der Moment.
Ich denke an den Schlüsselbund in meiner Tasche. Es wäre klug, ihn jetzt in der Hand zu halten, den Schaft eines Schlüssels zwischen die Finger geklemmt. Mit einem so präparierten Faustschlag rechne ich mir bessere Chancen aus, zu entkommen.
Inzwischen ist es dafür jedoch ohnehin zu spät und ich beschließe, den Moment nicht zu ruinieren.

Das Feuer sauge ich durch den Tabak tief in meine Lunge und suche seinen Blick. Darunter hängt immer noch das Grinsen. Von unten sieht es überheblich aus.
Er nickt, während ich mich aufrichte - als sei er mit Etwas einverstanden.
„Danke", sage ich.
„Klar", erwidert er.
Sein Blick gleitet langsam von meinem Gesicht bis hinunter zu meinen Schuhen.
Nach einem Moment wandert er weiter zu der paillettenbestickten Tasche aus schwarzem Samt.
Ich hatte sie auf den Boden gestellt, um besser nach Geld für die Zigaretten suchen zu können.
Es war mir nicht gelungen, genug Münzen hervorzuwühlen.  Dennoch hatte ich den Versuch gewagt und sie in den Schlitz geworfen. Wie ich es nicht anders erwartet, aber anders erhofft hatte, war das metallische ‚Plonk' der herunterfallenden Packung in der Rinne ausgeblieben, gleich, mit wie viel Nachdruck der schwarze Hebel von mir ins Innere des Automaten gehämmert worden war. Frustriert hatte ich daraufhin mit der Faust dagegen geschlagen.
Im nächsten Augenblick war die Sache mit dem Stiefel passiert.

Mela und Jo - Bad Boy VampirWhere stories live. Discover now