Folge 20

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«Schluss mit der Heimlichtuerei», fährt Perry zwischen uns und schiebt uns auseinander.

Ich kralle meine Fingern in die Ärmel meiner Jacke. Rucksackmuff statt Sommerregen. Aiden wäre vorsichtiger. Er würde Conrad misstrauen, wie ich Perry misstraue.

Welches Spiel ist das? Wie sind die Regeln? Ich will mitspielen, aber wie, wenn ich nicht weiß, auf wessen Seite ich stehen kann?

Die Evakuierung ist nächste Woche. Sie evakuieren unser Deck. Auch Conrad. Wenn er davon weiß, hat er mit Sicherheit noch mehr Informationen darüber. Vielleicht weiß er, wohin sie uns bringen wollen, was sie vorhaben. Vielleicht weiß er, wieso es so geheim ist.

«Eine letzte Frage», fordere ich.

Perry wirft mir einen warnenden Blick zu. Seit wann hat sie hier eigentlich das Sagen?

«Was weißt du über den Unfall meiner Mutter?», frage ich und studiere jede Regung in Conrads Gesicht.

Perry schlingt ihren Arm um meine Kehle und drückt mir die Luft ab. Kaltes Metall presst sich gegen meine Schläfe. Ich würde schwanken, wenn sie mich nicht festhalten würde. Die Türen um uns herum fliegen auf. Aus jeder tritt genau ein Sekretär. Vom Hauptgang her erkenne ich Coleman und Judiths Vater. Von der anderen Seite kommt Moms dicker Abteilungsleiter. Die drei sind die Einzigen ohne Schutzmasken.

Conrads Mundwinkel zuckt, während sich seine Brauen zusammenschieben. Er scheint nicht überrascht zu sein.

«Es war kein Unfall», beantwortet er leise meine Frage. Er fängt meinen Blick auf und verhindert so, dass der Boden unter meinen Füßen entgleitet. In diesem Moment verstehe ich es. Stabilität. Das ist alles, was er mir immer geben wollte. Fragt sich nur, wieso er sich auch weiterhin darum schert.

Perry presst die Waffe fester gegen meinen Schädel, in dem das Rauschen zu einem ohrenbetäubenden Getose wird.

«Das Spiel ist vorbei», knurrt sie in mein Ohr.

Als mir die Ausweglosigkeit meiner Situation bewusst wird, droht mein Kopf zu implodieren. Ich komme hier nicht weg. Verdammt nochmal, das ist mein Ende, ganz egal, welche Informationen ich Conrad gerade entrungen habe!

Conrad lässt seinen Blick über die Sekretäre schweifen und trifft den von Coleman. Ich schließe die Augen, um seine Reaktion nicht zu sehen. Als ich sie wieder öffne, starre ich in den Lauf einer zweiten Waffe, die Conrad mit fester Hand in meine Richtung hebt. Alle anderen Sekretäre entsichern ebenfalls ihre Waffen.

Es heißt, wenn man dem Tod ins Auge blickt, erkennt man mehr, als man unter normalen Umständen zu sehen vermag. Aber abgesehen von weißen Uniformen und Metall sehe ich rein gar nichts. Das ist der Preis, flattern die Worte meines Vaters durch meine Gedanken. Das hier hat er in Kauf genommen. Er wird diesen Preis bezahlen.

«Lass sie los», bellt Conrad zu Perry, doch die rührt sich nicht vom Fleck.

Ich mustere sie, so gut ich kann, und blicke dann erneut zu Conrad. Seine Waffe richtet sich auf sie. Nicht auf mich.

«Hör nicht auf ihn, mein Herz», trägt die triefende Stimme des Abteilungsvorsitzenden zu uns heran.

Sie arbeitet also für ihn. Aber Coleman ist doch für das alles hier zuständig. Er beseitigt doch die Schädlinge. Wieso befehligt er dann nur Conrad? Seit wann arbeitet Conrad überhaupt für ihn?

Mein Kopf dreht sich vor Gedanken. Dieses Spiel ergibt keinen Sinn. Conrad für Coleman. Conrad, der mich verteidigt. Perry, die mich verrät. Perry für den Fettsack.

Protokoll 892. Keine Ahnung, woher das jetzt kommt. Verteidigung im Angriffsfall. Schritt 1: Finde den schwächsten Punkt. Schritt 2: Den Gewinn identifizieren.

Perry ist schwach. Vielleicht nicht physisch aber ihre Position in dieser Sache verrät, dass sie psychisch einer stärkeren Quelle unterliegt. Was hat sie zu gewinnen? Genugtuung. Ansehen. Jetta, du bist so blind! Sie gewinnt ihr Leben in den Reihen der Mächtigen. Mein Leben.

Und Conrad? Er will mir nicht weh tun. Ich habe seinen Missionen persönlich den Sinn entzogen, als ich ihm sagte, dass wir keine Zukunft mehr haben. Er tut das nicht für irgendwelche Punkte, um mir Privilegien zu erkaufen. Er tut es für sich, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, und offenbar für Coleman, was ganz und gar nicht zusammenpasst.

Coleman ist ein starker Mann. Er hat eine Position, Macht. Was gewinnt er? Mich. Was auch immer er mit mir vorhat. Und Jackson, Moms Abteilungsleiter? Wenn es Perry gelingt, mich in seine Arme zu treiben, bekommt er die Tochter einer toten Angestellten. Bleibt also herauszufinden, was Coleman und der Fettsack mit mir vorhaben.

Only Water - Kenne deinen FeindDove le storie prendono vita. Scoprilo ora