Folge 15.1

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«Ich werde dir etwas zum Anziehen besorgen.» Aiden stößt sich von der Anrichte ab, als wüsste er nicht wohin mit sich, wenn ich hier rumsitze. «Dort drüben ist sowas wie eine Dusche», sagt er und deutet mit einer Hand auf den aus halbdurchsichtigen Planen zusammengeflickten Vorhang in meinem Rücken.

Ich nicke und lächle ihn an, als er die Tür von außen schließt. Dusche klingt hervorragend, da ist es mir auch egal, wie durchsichtig der Vorhang ist. Ich schaufle noch zwei Happen in mich hinein, bevor ich aufstehe. Ich schnappe mir das Handtuch, das über der Lehen eines Stuhls hängt. Es ist mir absolut egal, wem es gehört.

In der sogenannten Dusche, einer Nische von der Größe eines Haushaltsschranks, betrachte ich mich in einem kleinen Spiegel, während ich eine Schicht nach der anderen von meinem Körper pelle. Ich schiebe die Klamotten einfach durch den Vorhang nach draußen und inspiziere dann meinen Körper. Violette Flecke überziehen meine Arme. Meine Beine sind zerkratzt, weil ich sie einem Sekretär aus den Händen gerissen habe. Das Pochen in meinem Fuß ist fast erträglich, aber das Gelenk ist unnatürlich dick geschwollen. Ich seufze leise, weil die Blessuren nichts sind verglichen mit dem Schmerz in meinem Inneren.

Ich wende mich von meinem Spiegelbild ab und drehe den Hahn auf. Das bräunliche Wasser wird nur lauwarm, aber ich lasse es wie Regen auf mich niederprasseln. Es wäscht alles fort, sage ich mir. Wenn ich aus dieser Dusche steige, ist der Schmerz vergangen.

Minuten tröpfeln dahin, in denen ich mir beim Atmen zuhöre. Irgendwann kommt Aiden zurück. Wenig später fällt der Wasserdruck ab und erinnert mich daran, dass Wasser auch in Zeiten wie diesen ein wertvolles Gut ist. Ich drehe den Hahn zu, trockne mich notdürftig ab und schlinge das Handtuch um mich, weil ich dem Vorhang nicht traue, falls er sich an meine Haut klebt. Vermutlich ist er dann noch durchsichtiger. Ich spähe in den Raum hinüber. Aiden springt von der Matratze auf. Er schnappt sich einen Rucksack, den ich als meinen eigenen identifizieren kann, und kommt damit zu mir. Als er direkt vor mir steht, greife ich danach, doch er zieht ihn weg. Sein neckendes Grinsen entlockt auch mir ein Lächeln. Seine Miene erstarrt, als sein Blick auf mein Schlüsselbein fällt. Seine Augen wandern ein Stück tiefer und sofort schießt heißes Blut durch meine Venen. Doch sein Blick wird hart, als er die Hämatome an meinen Armen in Augenschein nimmt.

Er soll mich nicht so ansehen. Ich kann sein Mitleid nicht ertragen, wenn er jede meiner Verletzungen inspiziert, während ich halb nackt vor ihm stehe. Immerhin ist er der Grund für das alles. Ich gebe ihm keine Schuld, denn es war meine Entscheidung. Diese Wunden sind ein Tribut meines Vertrauens in ihn und als das und nichts anderes soll er sie sehen.

Ich nehme ihm meinen Rucksack aus der Hand und will den Vorhang zuziehen, aber Aiden hält mein Handgelenk fest.

«Ich werde jedem einzelnen von ihnen persönlich in den Arsch treten», sagt er und sieht von meinen Armen in mein Gesicht. «Darauf kannst du Gift nehmen.» Er zieht den Vorhang von außen zu und ich kann seine Schritte hören, die sich entfernen.

Mein Mundwinkel zuckt. Ich lasse das Handtuch von meinem Körper gleiten und schlüpfe in ein frisches T-Shirt und eine Jeans. Als ich aus der Dusche steige, ziehe ich Aidens Jacke über. Aiden ist gerade dabei einen Haufen verkrusteter Teller abzuspülen.

Ich nehme mir ein Spültuch und lehne mich gegen die Kante der Spüle, um meinen Fuß zu entlasten. Er reicht mir den tropfnassen Teller, bevor er still seine Arbeit fortführt. Sein Blick ist auf das schaumige Wasser gesenkt, aber ich kann sehen, wie er sich auf die Lippe beißt.

«Wieso hat Perry so lang gebraucht, dich herzubringen?», will er irgendwann wissen. «Hattet ihr Probleme?»

«Es ging das Gerücht um, sie hätten dich geschnappt.» Ich nehme den nächsten Teller, aber Aiden hält ihn fest.

«Hast du wirklich gedacht, sie könnten mich kriegen?» Seine Augenbraue zieht sich in die Höhe.

«Conrad hat gesagt, dass du ...» Ich zucke die Schultern, als ich seine aufeinandergepressten Kiefer sehe. «Sie hatten ein gefälschtes Video, in dem du alle meine Verbrechen auf dich nimmst und dich im Austausch gegen mich stellst.» Mord, schießt es mir durch den Kopf. Welcher Mord?

Seine Stirn legt sich in Falten.

«Wie habt ihr herausgefunden, dass es ein Fake ist?», fragt er, als hätte er bereits eine Ahnung. Eine finstere, wie seine Augen verraten.

«Wir sind zu Judith gegangen und dann hat sie ...»

«Ihr wart bei Judith?», fährt er mich an. Vor Schreck lasse ich den Teller los. Er rutscht ihm aus den Händen, zerbricht zwischen uns in grobe Stücke, aber Aiden stört sich nicht daran. «War das deine Idee?»

Ich trete vorsichtig aus den Scherben.

«Nein. Perry wollte ...»

«Sie wusste, dass ich hier bin!», schnauzt Aiden. Er packt mich am Ärmel und zerrt mich auf seine Seite des Porzellanhaufens. Ich habe Mühe mit meinen nackten Füßen in keine Scherbe zu treten.

«Was machst du?», fiepse ich, unternehme aber keinen ernsthaften Versuch mich zu wehren. Mir tut einfach alles weh.

Aiden zerrt den Reißverschluss meiner Jacke auf und rupft sie mir vom Leib. Er dreht und wendet sie, bis er findet, was er gesucht hat. Mit aufgerissenen Augen hält er mir die Innenseite des Jackenärmels unter die Nase.

«Wolltest du die deshalb anlassen?»

Ich starre auf das kleine Metallkügelchen und dann in sein Gesicht. Seine Nasenflügel beben. Meine Kehle wird eng. Das Zittern kehrt in meine Hände zurück. Wie konnte das passieren?

«Womit haben sie dich geködert? Lebenslange Privilegien? Das Stipendium?» Er baut sich vor mir auf.

«Sie haben mich nicht geködert», knurre ich. Denkt er denn wirklich, dass ich ihn so einfach verraten würde? Alles in mir sträubt sich dagegen, zu ihm aufzusehen und es vielleicht herauszufinden, aber ich tue es trotzdem. «Ich weiß nicht, woher der Sender kommt.»

Only Water - Kenne deinen FeindWhere stories live. Discover now