Folge 11.2

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Conrad stößt ein verkorkstes Lachen aus.

«Dir scheint nicht klar zu sein, was hier alles auf dem Spiel steht. Ich bin kurz davor, ins Concilium berufen zu werden. Da kann ich es mir nicht leisten eine Freundin zu haben, die auf einmal irgendwelchen paranoiden Hirngespinsten hinterherjagt, okay?» Seine Worte treffen mich schmerzhafter, als ihm klar ist. Er hört nicht, was ich höre. Er kann es sich nicht leisten, mich als Freundin zu haben. «Für mich geht es um mehr als irgendein Stipendium. Ohne die Zusatzpunkte werden sie mich nie ins Concilium berufen. Dann bin ich am Arsch!»

«Welche Punkte?» Ich runzle die Stirn, während ich beobachte, wie Conrad sich versteift.

«Fünfzig Punkte für Aiden Calahan», gesteht er leise und ohne meinem Blick auszuweichen. Aiden lacht auf. Kein Plan, was daran lustig ist. «Und weitere zwanzig für seine Verbündete.»

Irgendetwas in mir drin implodiert. Ich spüre die Kraft, die sich nach innen gegen mich wendet, sich vervielfacht und zu einer alles zerstörenden Gewalt anwächst. Conrad ist mein Freund. Er sollte nicht einen Gedanken daran verschwenden, mich an das Concilium auszuliefern. Und schon gar nicht für irgendwelche lächerlichen Punkte.

«Wie lang weißt du schon, dass du deine eigene Freundin jagst?», fragt Aiden und verschränkt die Arme vor der Brust. Das Blut tropft von seinem Kinn.

«Seit dem Schwimmbad», knirscht Conrad und macht einen Schritt in Aidens Richtung, die Hand noch immer am Schlagstock.

«Moment!» Ich schiebe mich zwischen die beiden. Conrad weicht zurück und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. «Soll das heißen, du wusstest, dass ich hier bin? Du hast mich geschlagen, obwohl du wusstest, dass ich es bin?» Meine Stimme ist nicht mehr als ein Fiepsen. In meinem Waschbärkopf dreht sich alles. Wieso hat er mir damals nicht zugehört? Hat er nicht ein einziges Mal daran gedacht, sich auf meine Seite zu stellen?

«Manchmal muss man eben tun, was nötig ist», knurrt er gefährlich leise.

«Es tut dir also nicht mal leid?» Ich weiß nicht ob ich nur den Schlag meine oder einfach alles. Mein Finger zuckt wieder und ich verspüre den Drang, so viel Abstand zwischen uns zu bringen wie es die begrenzen Ausmaße dieses Kabuffs erlauben, aber ich bleibe stehen. Er muss mir nicht antworten. «Für ein paar beschissene Punkte!», spucke ich und schalte gleichzeitig den Juckreiz an meinem Hals aus.

«Du verstehst das nicht.» Seine Stimme ist weicher. Conrads Hand kommt auf mich zu, als will er meine Hand nehmen. Ich weiche zurück und jede Emotion in seinem Gesicht wandelt sich in Wut. «Es fällt nicht jedem einfach alles in den Schoß. Du lernst deine paar Protokolle auswendig und bestehst deine Challenges und egal wie sehr du Mason hasst, seine Tests sind nichts für dich. Weißt du, wie sich das anfühlt immer in deinem Schatten zu stehen?» Ich spüre das Tuch um meinen Hals. Jemand zieht es hinter meinem Rücken zusammen. Noch zwei Sekunden und ich kippe um. Dann muss ich mir das wenigstens nicht anhören. «Und selbst wenn du dich in so eine Scheiße reitest wie jetzt, kommst du wahrscheinlich noch unversehrt da raus.»

Hat er deshalb geglaubt, es wäre halb so wild, wenn er mich ausliefert? Weil ich aus jeder Scheiße wieder rauskomme? Mir liegen ein paar Worte auf der Zunge, aber ich schaffe es nicht, sie auszusprechen. Alles fühlt sich taub an.

«Und was hast du jetzt vor, Möchtergernsekretär?», erkundigt sich Aiden gelassen. Er macht einen Schritt und steht damit wieder vor mir. «Schleppst du uns ins Concilium? Und wenn du die siebzig Punkte dann kassiert hast, bist du eher froh oder traurig, dass du Hailey nicht mehr vögeln musst, um deine Werte aufzubessern?»

«Was?» Mein Waschbärgesicht fühlt sich an, als hätte es keine Muskeln mehr. Es hängt einfach runter und gleichzeitig sind Aidens Worte der Auslöser für einen kurzen Moment, in dem die Zeit tatsächlich still steht.

Wie durch dickes Glas sehe ich zuerst Aidens dunkle Miene und dann, dass Conrad den Mund auf und wieder zu macht. Seine Augenbrauen zucken unrhythmisch, während es sich in mir anfühlt, als würde jemand aus meinem inneren Vakuum auch noch das Nichts heraussaugen wollen.

«Hailey?» Meine Hand zittert. «Deine Mentorin?» Ich bin ihr nur zwei Mal begegnet. Gertenschlank, sportlich, hochintelligent und wirklich hübsch. Noch dazu megasympathisch. Vielleicht hätte ich ahnen sollen, dass mit ihr was nicht stimmt. Und ich fühle mich furchtbar wegen eines Kusses, der nicht mal stattgefunden hat.

«Ja», sagt Conrad nur und hat die Dreistigkeit mir sogar in die Augen zu sehen, «ich hatte was mit Hailey. Irgendwie musste ich doch genügend Punkte zusammenkriegen. Keine Punkte, kein Concilium, keine hochrangige Position, keine Vorzüge für dich.»

«Oh, nein», wehre ich ab und lasse die Wut den ganzen freigewordenen Platz in mir fluten, «komm mir bloß nicht so. Sag jetzt nicht, du hättest das für mich getan. Du tust das allein für dich selbst!» Das Zittern erfasst meinen ganzen Körper. Hoffentlich kann er es nicht sehen. Ich will nicht, dass Conrad denkt, ich wäre schwach. Wegen ihm. Ich bin nicht schwach.

«Ich mache das für uns beide. Für unsere Zukunft.»

Ich sehe in seine blauen Augen. Sie haben mich immer getröstet. Er war immer da, in jeder Sekunde, in den dunkelsten Stunden meines Lebens, war mein Seelenverwandter, bester Freund, mein Ruhepol und Energieimpuls zugleich. Und jetzt? Jetzt sind es nur noch blaue Augen, die mich ansehen, als hätte ich alles kaputt gemacht.

«Wir haben keine Zukunft mehr!» Meine Stimme ist vollkommen klar. Aber ich empfinde keine Genugtuung, als Conrad alles aus dem Gesicht fällt.

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin hechtet Aiden nach vorn, erwischt den Toxin-Stift und stößt die Miene in Conrads Hals. Bevor er reagieren kann, sinkt er auch schon in die Knie. Seine Augenlider flackern. Aiden fängt ihn auf, als er zu Boden schlägt, und legt ihn sanft ab. Ich sollte irgendeine Art von Mitgefühl für seinen Zustand empfinden, aber alles, was ich denke, ist: «Gute Nacht!»

Ich ziehe die Kapuze über meinen Kopf und gehe zur Tür.

«Wo willst du hin?» Aiden holt mich ein und stellt sich mir in den Weg.

«Deck 15», antworte ich schroff.

«Medical Service?» Seine Augenbrauen schieben sich zusammen, als er seinen Blick über mein Gesicht gleiten lässt.

Ich verfluche die Hitze in meinen Wangen.

«Ich will nicht zusehen, wenn du hier verblutest.» Ich versuche, an ihm vorbeizukommen, aber sein Arm legt sich wie eine Schranke quer vor mich. Aidens Blick fängt mich ein. Ich beiße die Zähne aufeinander, weil ich weiß, was er jetzt sagen wird.

«Ich dachte, du solltest es wissen.»

Mir wird schwindlig bei seinem Anblick. Er hätte einen anderen Zeitpunkt dafür finden können. Andererseits hätte es kaum einen besseren Moment gegeben. Ach, keine Ahnung. Ich wünschte, es wäre nicht nötig gewesen, Hailey überhaupt zu erwähnen oder Conrad hier unten zu begegnen.

«Du hattest nicht das Recht, das zu entscheiden.»

«Er hätte es dir nie ...» Ich spüre, wie sich meine linke Augenbraue in die Höhe zieht, während ich darauf warte, dass er weiterspricht. Aber er seufzt nur. «Kommst du damit klar?»

«Werden wir sehen», sage ich vage. Meine Stimme klingt matt, erschöpft, aber bestimmt. Irgendwann wird diese Last von mir abfallen, das weiß ich. Aber bis dahin lasse ich mich von ihrem Gewicht zu Boden drücken.

Only Water - Kenne deinen FeindWhere stories live. Discover now