7.Kapitel - weird gut feeling

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Immer wieder rutschte meine Brille mir den Nasenrücken ein Stück hinunter, sodass ich ständig nur damit beschäftigt war, sie wieder an Ort und Stelle zu bringen. Naja, zumindest fast. Derweilen versuchte ich nämlich, Harry so unauffällig wie möglich quer durch den Klassenraum zu beobachten. Er verhielt sich aber auch zu süß! Als wir Anfang der Stunde Stillarbeit zu erledigen hatten, hatte er immer wieder grübelnd auf seinem Bleistift rumgekauft. Solange, bis er eben dies bemerkte und stirnrunzelnd schnell über seine Lippen leckte, um den Sabber wegzuwischen, bevor es jemand bemerkte. Dass ich ihn natürlich die ganze Zeit über angeschaut hatte, wusste der Arme ja nicht.

"Mr.Tomlinson!" "Ja?" Aufgeschreckt zerplatzte die Blase meiner Tagträume um mich herum und vor mir stand plötzlich meine Geschichts-Lehrerin, die mich mit gehobener Augenbraue ansah. "Ihr Papier, bitte", forderte sie und streckte mir erwartungsvoll ihre Hand entgegen. Zerstreut nickte ich und überreichte ihr mein Arbeitsblatt, woraufhin sie auch endlich ihre Runde fortsetzte und ich mir wieder selbst überlassen war. Ein leises Kichern lenkte jedoch meine Aufmerksamkeit erneut auf sich. Ich sah sofort zu Harry, der mir einige Tischreihen entfernt saß, aber deutlich damit beschäftigt war, sich über mich zu amüsieren, wie ich unschwer an seinen leuchtenden Augen und der vor den Mund gehaltenen Hand erkennen konnte.

"Was denn?", formte ich tonlos mit den Lippen und grinste dabei, doch Harry schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, ehe er sein Handy hervorholte, sich Kopfhörer aufsetzte und für die nächste Zeit ganz in seiner Musik versinken zu schien. Seufzend richtete also auch ich meine Konzentration auf etwas anderes, da mir einfiel, dass ich noch einen Aufsatz Korrektur zu lesen hatte, damit ich ihn später abgeben konnte. Dabei konnte ich aber natürlich nicht verhindern, dass mein Blick immer wieder auf Harry fiel.

Wie er da so saß, ganz in seiner eigenen Welt, mit geschlossenen Augen, konnte ich nicht anders, als mir auszumalen, warum seine Familie wohl hierhergezogen war und ob es ihm hier überhaupt gut ging geschweige denn gefiel. Klar, er schien die meiste Zeit fröhlich zu sein, lachte viel und war offen gegenüber anderen, aber er musste ja wohl Freunde und eventuell sogar Familie zurückgelassen haben und damit würde ich zum Beispiel niemals zurecht kommen. Generell fiel mir auf, dass Harry auch Samstagabend nichts von seinen Eltern erzählt hatte, er war sogar dem Thema elegant ausgewichen, als es meine Mutter angesprochen hatte. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Ich zuckte fast selbst zusammen, als meine Augen mal wieder hinüber zu Harry schweiften und er sich mit einem Mal ruckartig aufrichtete und die Augen angestrengt zusammenkniff. Seine Unterlippe wurde von seinen Zähnen beschlagnahmt und generell schien sein ganzes Wesen wie verändert. Der sonst so weiche Gesichtsausdruck hatte sich verändert, seine Schultern verspannt. Ein Laut verließ seine Lippen, doch ich war zu abgelenkt, um ihn zu verstehen. Was ich jedoch mitbekam, war, wie er unsere Lehrerin um eine Toilettenpass bat und dann schnellen Schrittes aus dem Raum eilte, den kleinen Zettel fest umklammert. Fast als bräuchte er etwas, woran er sich nun festhalten konnte.

Ein ungutes Gefühl beschlich mich, das sich sofort in meiner Magengegend einnistete. Für einen Moment überlegte ich tatsächlich, ihm nachzugehen, doch dann kam ich mir ein wenig schwachsinnig dabei vor und ließ es bleiben.

Doch die Uhr tickte. Minute für Minute wanderte der dicke Zeiger über dem Türrahmen einen Zentimeter weiter, bis schließlich eine ganze Viertelstunde verstrichen war, in der Harry noch immer nicht zurückgekehrt war. Also meldete auch ich mich und ließ mir eine Unterschrift geben, um zum Klo gehen zu können.

Schnell lief ich den langen Korridor entlang, ermahnte mich dabei, nicht das rennen anzufangen. Harry ging es gut. Es würde schon alles in Ordnung sein, vielleicht hatte er sich ja nur den Magen verdorben? Ja. So etwas musste es sein. Das klang plausibel und normal. Vorsichtig drückte ich die Klinke zur Jungstoilette hinunter, was ich unter allen anderen Umständen als extrem eklig empfunden hätte, doch heute musste ich eine Ausnahme machen. Harry hatte sich mir gegenüber schon einige Male nun anders gezeigt, als ich ihn einschätzte, das wollte ich jetzt nicht unbedingt wiederholen, indem ich ihn unnötig aufschreckte.

Ebenso leise schloss ich die Tür hinter mir, traute mich dabei kaum zu atmen. Es war erschreckend still hier drin, kein Mucks war zu hören. Bis ich dann doch etwas hörte.

"Nein, Mum, hör auf damit. Mum! Mum! Hör mir zu!" Sofort erkannte ich Harrys Stimme. Aber natürlich musste das auch Harry sein, wie hoch waren die Chancen, dass jetzt jemand anders auch noch hier war? Aber wieso redete er mit seiner Mutter? "Mum, bitte hör mir zu. Hör auf damit. Das tut dir nicht gut. Der Alkohol verträgt sich nicht mit deinen Tabletten, das weißt du doch! Bitte Mum, bald kommt Gemma nach Hause, bitte hör auf damit und leg dich hin!" Er sprach hastig, ganz gepresst und seine Stimme zitterte, obwohl er versuchte, so viel Kraft und Aufrichtigkeit in sie zu legen, wie nur ging.

"Nein, Mum, du musst nichts kochen. Mum! Bitte, du kannst so jetzt nicht Auto fahren! Ich bringe Gemma heim, aber bitte leg dich jetzt wieder hin." Seine Stimme versiegte, der Satz endete in einem herzzerreißenden Schluchzer. "Mum", krächzte Harry ein weiteres Mal, dann fiel etwas zu Boden. Harrys Handy. Nicht lange dauerte es, dann sah ich Beine auf den Boden hinter der Kabine sinken. Sie waren so eng es ging an den nun so klein wirkenden Körper gezogen. Der offene, helle Raum wurde erneut von einem zittrigen Schluchzen erfüllt und mir wurde ganz anders. Harry hatte sich in eine Toilette eingesperrt und weinte bitterlich, nachdem er mit seiner Mutter telefoniert hatte.

Meine Füße trugen mich einige Schritte vorwärts, doch dann verklang das Weinen schlagartig und ertappt wich ich wieder ein Stück zurück. Es war totenstill, alleine das Surren der Lichtröhren an der Decke hüllte den Raum in ein monotones Brummen, das noch viel schlimmer klang, als die Stille, die sich um Harrys Schluchzer gelegt hatte. Wie vom Blitz getroffen stand ich da nun, wusste nicht, was in diesem Moment richtig wäre. Mein Kopf schrie mir zu, zu Harry zu gehen, an die Türe zu klopfen und ihn in den Arm zu nehmen, doch mein Körper stellte sich über meinen Willen.

Meine Beine trugen mich weiter weg von ihm, hinaus aus dem Jungsklo, bis auf den Gang. Die Schulglocke schrillte, die Stunde war vorbei. Wie auch meine Chance, für Harry da zu sein. Ein weiteres Mal war es mir nicht gelungen, Harry zu unterstützen und bei ihm zu sein, wenn er jemanden brauchte. Und was hätte ich erwarten sollen, es fühlte sich heute noch schlimmer an als Samstagnacht.

Leicht schüttelte ich den Kopf, als mich plötzlich jemand am Arm packte und voller Wucht gegen die Wand neben mir drückte. "Hey, Louis!" Gemmas fröhliches Grinsen strahlte mir entgegen und völlig perplex tat ich mein Bestes, zumindest ein kleines Lächeln zu erwidern. "Lottie und ich haben die perfekte Idee für deine kleine Weihnachtsaktion gefunden!", plapperte sie auch schon munter drauf los, doch mein Blick fiel immer wieder auf die Türe zum Jungen WC, in der Hoffnung, Harry jeden Moment dort herausspazieren zu sehen.

"Hm, okay", antwortete ich Gemma nebenbei, was sie natürlich bemerkte, weshalb sie mir aufgeregt vor dem Gesicht herumschnipste, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. "Da bist du wieder", grinste sie zufrieden und ließ ihre Hände wieder sinken, "was hältst du von einer internen Weihnachtspost? Schüler können sich gegenseitig anonyme oder eben namentlich gekennzeichnete Briefe und Botschaften zuschicken und das ganze vielleicht so zwei Wochen lang vor Weihnachten? Vielleicht könnte man dafür auch einen Chat einräumen, wer weiß."

Sie redete noch weiter, doch ich hörte ihr nicht mehr zu, was normalerweise so gar nicht zu mir passte. Doch alles, woran ich noch denken konnte, war Harry. Die Sorge um ihn war mittlerweile unfassbar groß, genauso wie mein schlechtes Gewissen. Und dann sollte es da ja vielleicht bald eine Weihnachtspostaktion an unserer Schule geben.

Beides ließ mir keine Ruhe mehr.

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Hello ihr lieben☃️
Ihr wisst ja gar nicht, wie sehr ich bei diesem Kapitel Heimweh nach meiner High School und meiner lieben amerikanischen Familie hatte ugh :(
Aber naja, schönen Nikolaus, auch wenn ich einen Tag zu spät bin!
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel, vielen Dank für eure vielen Votes und Kommentare bisher, bitte macht weiter so x

All the Love. l x

Love Me Like Christmas (larry stylinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt