Kapitel 1

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Es war Abend als ich zuhause ankam. Ich öffnete das quietschende Gartentor und lief durch den kleinen Vorgarten auf die Haustür zu. Der Nebel lag tief an diesem kalten Winterabend, weshalb die Stadt zugegeben etwas unheimlich war, wenn man ganz allein durch die dunklen Straßen lief. Nur die Laternen, die am Rand der Gehwege standen spendeten Licht, sodass man den Nebel über dem schneebedeckten Asphalt erkennen konnte. Ich schloss die Haustür auf und schlüpfte ins Haus. Hier drinnen war es wenigstens warm. "Hallo Schätzchen", kam mir meine Mutter schon entgegen. "Wie war dein Tag?" Ich sah sie etwas schief an. "Mum, ich war den ganzen Tag in der Schule, wie soll es gewesen sein?", lachte ich. "Jaja. Aber ab jetzt sind ja sowieso Ferien", entgegnete sie. Ein Seufzen meinerseits. "Jaaa", grinste ich erleichtert. Ich lief hoch in mein Zimmer und zog mir erstmal gemütliche Sachen an. Kurz darauf lief ich wieder runter und machte mir die halbe Pizza von gestern warm. Dann setzte ich mich mit meiner geliebten Pizza und einer Tasse Tee auf mein Bett und öffnete Netflix auf meinem Laptop. Ich schaute meine Lieblingsserie weiter, bis mein Handy vibrierte.

Ich pausierte die Serie, um nachzusehen wer mir geschrieben hatte. Ruby. Sie war meine beste Freundin, seitdem ich denken konnte. Unsere Familien waren schon immer befreundet, weshalb sie wie eine Schwester für mich war. Jeder hat diesen einen Freund, der nicht mehr zu seinem Freundeskreis, sondern zur Familie zählte. Das war Ruby für mich. Von meinem Balkon aus konnte ich sogar schräg zu ihrem Fenster sehen. Sie hatte leider nicht das Zimmer mit dem Balkon gegenüber von mir, sondern ihr arroganter, großer Bruder. Mit ihm hatte ich nicht viel zu tun, aber man konnte sagen, dass wir uns nicht sonderlich gut verstanden. Oder hassten. Wir hassten uns nicht abgrundtief, aber wenn wir mal miteinander redeten, dann stritten wir meistens ohne Grund. Ich las ihre Nachricht und begann zu grinsen. >>Hey Süße, komm rüber! Wir sehen einen Film an und machen eine Gesichtsmaske!<<

Ich klappte meinen Laptop zu, stand auf und brachte den - mittlerweile leeren - Teller und die Tasse nach unten in die Küche, wo ich diese direkt in die Spühlmaschine räumte. "Muuum ich geh rüber zu Ruby!", rief ich durchs Haus, in der Hoffnung sie würde es hören. Ich war mir erst nicht sicher, doch als ich eine gedämpftes "Alles klar!" aus dem Badezimmer warnahm, zog ich meine Schuhe an und machte mich auf den - sehr, sehr kurzen - Weg zu meiner besten Freundin. Ich musste nicht mal klingeln, weil mir die Tür so schon von einer grinsenden Ruby geöffnet wurde. Ich lächelte zurück und umarmte sie zur Begrüßung. Danach zog ich meine Schuhe aus und ging mit ihr in die Küche, wo wir uns eine Quark-Honig-Gesichtsmaske zubereiten wollten.

Gerade als ich den Honig fertig in dem Quark verrührt hatte, stellte sich jemand hinter mich und nahm sich mit der Hand einfach etwas aus der Schüssel. Im nächsten Moment hatte ich das Gemisch auch schon im Gesicht. "Baah Alex lass das!", schrie ich, da ich genau wusste, wer da hinter mir stand. Rubys großer Bruder Alex. Es war ein tiefes Lachen zu hören. "Hallo Zwerg.", meinte er nur. "Hör auf mich so zu nennen. Ich bin gar nicht klein! Immerhin bin ich mit meinen 1,75 eine der größten Mädchen in meiner Klasse!",  meckerte ich empört. "Doch, du bist schon echt klein" Jetzt baute er sich extra groß vor mir auf. Ich griff einfach in die Schüssel und in der darauffolgenden Sekunde hatte Alex meine Gesichtsmaske auf seiner Nase und der rechten Augenbraue. "Das hast du gerade nicht getan.." "Was, wenn doch?" "Du kleine-" Auf einmal wurde er unterbrochen. "Stop! Wie kann es sein, dass ihr euch immer streiten müsst, wenn ihr euch seht??" Das kam von einer verzweifelten Ruby. "Wir verbringen bald ein paar Tage in unserer Berghütte, da müsst ihr euch schon verstehen" Ich seufzte. Ihre Eltern besaßen eine kleine Hütte in den Bergen. Dort wollten wir demnächst einige Tage verbringen. An diesem Ort waren keine Eltern, die uns in den wohlverdienten Ferien Regeln vorschreiben konnten. "Warum müssen denn er und sein Kumpel überhaupt mit? Ich dachte, wir könnten ein paar gemütliche Tage dort verbringen. Aber wenn diese Halbaffen mitkommen, werden wir gar keine Ruhe haben..." "Meine Mum erlaubt es sonst nicht. Ihr ist es lieber, wenn wir Jungs dabei haben", entgegnete Ruby. Damit war das Thema anscheinend geklärt, denn Alex verließ die Küche und lief ins Badezimmer, wahrscheinlich um sein Gesicht zu waschen und Ruby widmete sich wieder ihrer Gesichtsmaske.

Als wir die Masken aufgetragen hatten, setzten wir uns in ihrem Zimmer auf das große, weiße Himmelbett. Wir legten die große Decke über unsere Beine und suchten einen Film aus. Am Ende entschieden wir uns für 'High School Musical'. Wir liebten diese Filme und sahen ihn uns immer wieder an. Alle Lieder konnten wir auswendig und sangen deshalb übertrieben emotional mit.

Als der Film zuende war, entfernten wir den Quark wieder aus unserem Gesicht. Ich machte mich auf den Weg zum Bad, um auf die Toilette zu gehen. Ich zog die Tür auf, doch schlug sie kurz danach direkt wieder zu. "Man Alex, sperr ab, wenn du duschen gehst!", rief ich durch die geschlossene Tür. "Man Sam, hast du kein Gehör oder so? Man hört doch, dass jemand duscht!" Genervt verdrehte ich die Augen und ging wieder zu Ruby. "Was war denn los?" "Ach, nichts wichtiges.", antwortete ich schlicht. Ich sah in ihre besorgten Augen. "Keine Angst, ich werde mich zusammenreißen, wenn wir bald diesen Ausflug machen."

Meine beste Freundin lächelte mich dankend an und zog mich in eine Umarmung. Ich erwiederte diese verwirrt, da ich nicht genau wusste, für was diese Umarmung war. "Du Sam? Ich hätte da noch eine Frage...", fing Ruby an. "Glaubst du, du könntest ein bisschen Zeit allein mit Alex verbringen, wenn wir dort sind? Irgendwie könnte es..eventuell sein, dass...ehm ich eh auf Manu stehe?" "Du. was? Seit wann?", meinte ich noch verwirrter? Manu war der beste Freund ihres Bruders.Er war eigentlich das komplette Gegenteil von Alex. Manu war zurückhaltend, hilfsbereit und einfühlsam. Manchmal wunderte es mich, dass sie sich so gut verstanden. Ruby und ich waren zwar auch verschieden, aber nicht in so großer Hinsicht. Ich war eindeutig die Schüchterne von uns beiden. Sie war zwar auch zurückhaltend, aber lange nicht so schüchtern wie ich. Ich war die Art von Mensch, die in der Schule schon anfängt zu stottern, wenn es nur zu viel Aufmerksamkeit bekommt oder im Unterricht an die Tafel vor muss um eine Aufgabe zu lösen. Das stand mir manchmal ziemlich im Weg, vorallem, was mündliche Noten betraf.   Ich konnte Alex ja aushalten, aber ob ich das auch konnte, wenn ich mit ihm allein war? Ich meine, es war Alex. Wir hassten uns. "Es soll ja nicht lange sein, nur mal so zwischendurch, damit ich mit ihm reden kann..", murmelte sie unsicher. "Okay, aber wenn er mich beleidigt, schlage ich ihn", drohte ich. "Abgemacht.", lächelte Ruby, der es sowieso nichts ausmachen würde, wenn ich ihren Bruder schlagen würde. Außerdem wussten wir beide, dass ich sicherlich zu schwach war, um ihm mit einem Schlag Schmerzen zuzufügen.

Eine Weile später, in der wir noch etwas über belanglose Dinge geredet hatten, flog auf einmal die Tür auf. Alex und sein bester Freund betraten das Zimmer. "Hey, gut dass du noch da bist, Sam." Er sah in meine Richtung. "Wir wollten über den Ausflug reden." Nochmal zur Erklärung: Wir wollten zusammen ein paar Tage auf einer Hütte verbringen. Jedoch dürfen Ruby und ich nicht allein dort hin, also mussten Alex, Manu mitkommen. "Hi", kam es von Manu, der schräg hinter Alex stand. Nachdem wir Manu begrüßt hatten, setzten sich die beiden zu uns auf das Bett und wir begannen zu planen.

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