5| Hopes and dreams

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Alle sprachen eine fremde Sprache

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Alle sprachen eine fremde Sprache. Die Kaufinteressenten, der Auktionator, ja sogar der Mann mit dem Aussehen eines Bluthundes schien die Sprache zu beherrschen. Saya kam sich noch unwichtiger vor, als sie für all die Anwesenden sowieso war. Sie selbst sprach nur ihre Heimatsprache, Filipino und bruchstückhaft Englisch, welches ihre Mutter ihr beigebracht hatte, bevor sie ermordet worden war.

Lesen und schreiben hatte sie nie gelernt, das Rechnen fiel ihr selbst bei den einfachsten Aufgaben sehr schwer. Es gab nur wenige Schulen und diese waren entweder viele Stunden gefährlichen Fußmarsch von ihrem Wohnort entfernt gewesen oder aber unbezahlbar. Zudem hatte sie schon immer ihren Eltern helfen müssen, sonst hätten sie nicht überleben können.

Ein grober Ruck an ihrem Oberarm riss sie aus ihren Gedanken und Saya stellte fest, dass nun sie an der Reihe war. Ängstlich, jedoch mit einer fast schon perversen Spur Neugier musterte sie die Anwesenden. Es waren überwiegend Männer mittleren Alters, lediglich drei jüngere konnte sie entdecken, obwohl sie selbst diese auf mindestens fünfunddreißig Jahre schätzte. Plötzlich hielt ihr Blick an einem Mann fest. Dieser war deutlich jünger, trug einen blauen Turban und erwiderte ihren Blick derart intensiv, dass Saya schwindelig wurde. Mit Mühe musste sie ihren Blick abwenden und richtete ihn auf ihre nackten Füße, die wohl das erste Mal in ihrem Leben nicht von Dreck verkrustet waren.

Der Auktionator neben ihr redete etwas in der ihr fremden Sprache, wurde gen Ende lauter und blickte schließlich abwartend in die Runde. Als sich niemand meldete, setzte er noch etwas hinzu. Auf einmal hoben mehrere die Hand, riefen immer wieder Wörter, die sich alle ähnlich anhörten. Sie bieten Geld, dachte Saya entsetzt. Ihr Inneres schrie, sie solle abhauen, runter von dieser Bühne, hinaus aus dem Gebäude. Doch sie war wie festgefroren. Und irgendwo wusste sie auch, dass es zwecklos war. Sie würde sich nur weitere Schläge einhandeln, wenn man sie fing.

Sie war in einem fremden Land, tausende Meilen von ihrer Heimat entfernt. Dieses Land war ein riesiges Gefängnis. Sie würde es nie wieder verlassen können. Saya schluckte hart, damit der Kloß, der ihr die Luft abschnürte, endlich verschwand. Wie es schien, neigte sich die Versteigerung dem Ende zu. Saya hatte nicht mitbekommen, wer nun das Meiste für sie geboten und sie gekauft hatte.

Bald würde sie es sowieso erfahren. Bis dahin musste sie sich zu den anderen Mädchen, die bereits vor ihr verkauft worden waren, stellen und warten, bis die letzten zwei ebenfalls versteigert wurden. Aicha war die letzte. Mit angehaltenem Atem verfolgte Saya das Geschehen und hoffte fest für ihre Freundin, dass keiner der lüsternen, alten Männer sie kaufte. Ihre Handballen schmerzten, so fest grub sie ihre kurzen Fingernägel in die zarte Haut, doch Saya nahm es kaum wahr.

Der Auktionator schlug mit seiner Faust auf den Tisch vor ihm und brüllte einem Mann etwas zu. Zwar konnte Saya schlecht nah dem Äußeren beurteilen, wie der Mann ihre Freundin behandeln würde, doch zumindest war er mit geschätzten dreißig Jahren nicht so viel älter. Er hatte ein gepflegtes Aussehen, kurz geschnittene Haare und eine kleine Narbe zierte seine linke Wange, wie Saya erkennen konnte, als die Käufer zu ihnen traten und dem Auktionator das Geld übergaben.

Misstrauisch beobachtete sie, wie der Mann Aicha am Arm fasste und irgendetwas zu ihr sagte. Ihre Freundin jedoch verstand wie Saya selbst die fremde Sprache nicht und zuckte nur hilflos mit den Schultern. Als die beiden an Saya vorbeiliefen, drückte sie kurz Aichas Arm und lächelte ihr zu, was diese erwiderte. Es war ein stiller, schneller Abschied, wahrscheinlich für immer. Saya senkte den Kopf. Wer wohl Yaira erstanden hatte? Saya wünschte sich für sie, dass sie es gut haben würde. So gut es eine Sklavin eben haben konnte.

Saya hob kurz den Blick, als der Mann mit dem blauen Turban an den restlichen Mädchen vorbeilief und die Halle verließ, nicht ohne einen letzten Blick zu ihr zu werfen, welchen sie mit ungewohnter Sicherheit erwiderte. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit ihrem Käufer zu.

Es war ein mindestens fünfzig Jahre älterer Mann als sie, mit einem ernsten Gesicht und einem spöttischen Zug um die Mundwinkel. Seine Augen waren trüb und die Haare verdeckte ein weiß-beiger Turban, welcher mit zahlreichen, blutroten Edelsteinen geschmückt war. Einer von diesen Steinen war vermutlich mehr wert, als sie und ihre Eltern ihr ganzes Leben lang besessen hatten. Saya erschauderte. Als sie von dem alten Mann grob nach draußen gedrängt wurde, wurde ihr Bedürfnis zu flüchten beinahe übermächtig.

Der Mann roch streng nach Tabak und etwas fremdartigem. Seine Stimme war brüchig und dennoch so scharf, dass Saya ein Schauer über den Rücken lief. Dieser Mann musste unheimlich viel Macht und Geld haben. Diese Erkenntnis verstärkte ihren Fluchtinstinkt nur noch, jedoch hatte sie keine Chance dazu, denn kaum waren sie draußen in der drückenden Hitze angekommen, saßen sie auch bereits in einer klimatisierten Limousine.

Der alte Mann beachtete sie überhaupt nicht, sondern sagte etwas in der fremden Sprache zu dem Fahrer. Als sie draußen die Schriftzeichen vor Geschäften sah, kam sie zu dem Schluss, dass es Arabisch sein musste.

Seltsamerweise waren sämtliche Gefühle plötzlich verschwunden. Sie fühlte weder Panik, noch Angst oder irgendetwas anderes. Sie war einfach ... leer. Der Kloß in ihrem Hals, welcher ihr die Luft abgedrückt hatten, war ebenfalls weg. Es kam ihr vor, als würde sie diese Geschehnisse von ganz weit weg beobachten. Teilnahmslos, fast schon desinteressiert.

Ihr Handgelenk war um die Ränder der Nummer stark gerötet, jedoch spürte sie nicht mehr als ein leichtes Brennen. Durch die Erlebnisse der letzten Tage war sie immun geworden gegen den Schmerz. Zu starken hatte sie bereits ertragen müssen. Irgendwann würden all ihre physischen und psychischen Wunden verheilt sein, doch sie wusste, die Narben und die Nummer würden bleiben und sie bis zu ihrem Tod an diese Geschehnisse erinnern.

„Wir sind da. Steig aus!", knurrte der alte Mann sie auf gebrochenem Englisch und mit sehr starkem Akzent an, sodass sie Mühe hatte, ihn zu verstehen und gab ihr einen Schubs in Richtung der Autotüre, die gerade geöffnet wurde. Sie stolperte ins Freie und erblickte ein relativ einfaches Haus, das sich aber dennoch deutlich von den anderen Häusern unterschied, an welchen sie vorbeigefahren waren. Es war groß, aus einem ihr fremden Material erbaut und wirkte bedrohlich. Insgeheim wusste sie, sobald sie dieses Gebäude betreten würde, würde es kein Entkommen mehr geben.

Stumm trottete sie hinter ihrem Besitzer her und betrat mit einem unguten Gefühl das Haus. Was kann mir schon passieren? Alles schlimme habe ich bereits erlebt, dachte Saya. Mittlerweile war ihr vieles egal geworden. Sie hatte keine Familie mehr, kein Zuhause und keine Rechte. Alles was ihr noch blieb, war die Hoffnung, dass sich irgendwann alles zum Guten wenden würde. Und wenn es erst ihr Tod wäre, der sie erlösen würde.

RainOù les histoires vivent. Découvrez maintenant