1|Be happy about what you have

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Andere Kinder

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Andere Kinder. Es war das erste, was Saya wahrnahm, als sie wieder aufwachte. Sie lag auf einem harten Betonboden in einem kleinen Raum, der vielmehr einer Zelle glich. Die Wände waren feucht und aus Fels, woraus sie schloss, dass sie sich in einer Höhle befand. Als ihre Hand über die glitschige Wand glitt, zog sie sie erschrocken zurück.

Viele der Kinder und Jugendlichen schliefen oder schluchzten leise. Andere saßen apathisch herum und starrten verzweifelt ins Leere. Der Boden war dreckig und mit kleinen Steinchen bedeckt, die sich spitz und schmerzhaft in Sayas Haut bohrten.  Alle Jugendlichen waren nicht älter als sechzehn oder siebzehn. Manche Kinder waren höchstens acht Jahre alt.

„Wo bin ich hier?", fragte Saya ein Mädchen, welches ihr schräg gegenüber saß und in die Luft starrte. Es schien etwa in ihrem Alter zu sein, vielleicht auch ein wenig jünger.

„Das weiß ich nicht. Das weiß keiner hier. Aber alle paar Tage kommen Männer und nehmen einige Kinder mit. Immer abwechselnd, einmal Jungen, einmal Mädchen.", berichtete sie, schaute Saya dabei allerdings kein einziges Mal in die Augen.

„Was ist mit dir?", wollte Saya wissen, denn ihr kam es komisch vor, dass das Mädchen sie gar nicht ansah.

„Ich kann dich nicht sehen. Ich bin seit meiner Geburt blind. Aber es ist nicht schlimm." Mit diesen Worten drehte das Mädchen ihr Gesicht in Sayas Richtung. Ihre Augen waren grau und ein wenig verschleiert, doch sie grinste sie an. Lucy senkte ihren Blick auf den Boden und lehnte sich an der kalten Felswand an.

Das Leben war wie ein Glücksspiel. Man konnte nicht wissen, ob man Glück hatte und ohne jegliche Behinderung zur Welt kam, oder ob man zum Beispiel nichts sehen konnte. Saya bewunderte das Mädchen, das so selbstverständlich mit ihrer Behinderung umging und sogar darüber lachen konnte.

Sie hatte Saya angelächelt, obwohl sie sie nicht einmal sehen konnte. Sie konnte nichts sehen und doch hatte sie gute Laune und lebte ihr Leben. Es gehörte viel Mut dazu, jemanden anzulächeln, den man nicht sehen konnte und kaum kannte.

„Hast du einen Namen?", wollte Saya  wissen.

„Lynn. Ich heiße Lynn.", antwortete das Mädchen und streckte ihre Hand aus, in die Richtung, in der sie Saya vermutete. Saya ergriff ihre ausgestreckte Hand und legte ihre eigene darauf.

„Ich bin Saya.", stellte sie sich ebenfalls vor.

Die beiden Mädchen versanken in ihren Gedanken, ihre Hände immer noch übereinander gelegt. Lynn war ein wunderschönes Mädchen, ihre schwarzen Haare glänzten im schummrigen Licht der Glühbirne, die von der Decke hing.

„Beschreibst du mir, wie du aussiehst, Saya? Ich will dich mir vorstellen können.", bat Lynn sie und lächelte.

„Ich habe schwarze Haare, so wie du. Sie sind nicht viel länger als schulterlang, aber das ist nicht schlimm. Ich weiß nicht, welche Farbe meine Augen haben, doch einmal hat mir eine alte Dame gesagt, dass sie ganz faszinierend sind."

„Bestimmt bist du wunderschön, Saya. Aber dann werden dich die Männer sicher mitnehmen, wenn sie das nächste mal kommen."
Lynns Mundwinkel senkten sich nach unten und sie sah traurig aus. „Ich werde nie mitgenommen, weil ich blind bin. Und jetzt, wo ich endlich jemanden kennengelernt habe, wirst du wieder gehen."

Saya wollte dem Mädchen so gerne sagen, dass sie hierbleiben würde, dass sie Lynn nicht alleine lassen würde, doch es brachte nichts, wenn sie ihr etwas versprach, was sie womöglich nicht halten konnte. Deshalb drückte sie nur tröstend Lynns Hand und rutschte näher zu ihr. Lynn hatte das Schicksal, welches sie ereilte, nicht verdient. Sie war ein herzensguter Mensch und obwohl sie sich die Farben, die Schönheit der Natur nur vorstellen und nie in echt sehen konnte, blieb sie fröhlich und optimistisch.

„Sind wir jetzt Freundinnen?", wollte Lynn von ihr wissen und drehte ihren Kopf in die Richtung, in der sie glaubte, dass Saya saß.

„Ja, das sind wir." Saya umarmte ihre neue Freundin und drückte sie an sich. Verschiedenste Gefühle durchströmten sie. Freude und Aufregung, weil sie endlich eine Freundin gefunden hatte. Unsicherheit, weil sie nicht wusste was ihr und Lynn noch bevorstand, aber auch Trauer, da sie vielleicht, so kurz, nachdem sie sich gefunden hatten, wieder getrennt werden würden.

Die beiden Freundinnen lehnten sich nebeneinander gegen die raue Felswand und schlossen die Augen, sich fest an den Händen haltend. Doch nur ein paar Stunden später flog die eiserne Türe krachend auf und Saya sowie Lynn fuhren erschrocken hoch.

„Sie sind wieder da.", flüsterte Lynn leise. „Die Männer sind wieder da und sie werden dich mitnehmen!"

RainWhere stories live. Discover now