Kapitel XLIII

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Cassie

„Sie sind also der Meinung, wir sollten die internationalen Beziehungen mehr pflegen und ausbauen?", hakte die Königin nach und nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse, aber ohne den Blick von Chelsea abzuwenden.

Diese nickte eifrig, wurde aber auch ein wenig rot unter dem aufmerksamen Auge der Königin. „Definitiv. Es ist wichtig seine Arme stets offen zu halten, damit Ilea im Falle eines Krieges genügend Unterstützung bekommt. Außerdem wäre es auch für den Handel von Vorteil, viele befreundete Länder zu haben."

„Da bin ich anderer Meinung", wiedersprach Simone, „Wenn man national nicht alles im Griff hat, bringt es nichts, sich international umzusehen. Ich finde, dass man sich vor allem auf die innerländlichen Unruhen konzentrieren sollte."

Esra runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, warum man das Augenmerk auf die Bekämpfung und Vorbeugung von Unruhen oder Kriegen legen sollte. Ist es nicht ein viel besserer Weg für Frieden zu sorgen, den Menschen etwas zu geben, was sie lieben? Liebe ist mächtiger als alles andere auf der Welt. Sorgt man für eine Kultur und begeistert die Menschen für etwas, ist aller Hass vergessen. Genau nach diesem Prinzip funktioniert doch die Selection."

Die Königin lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Ihr Mund war zu einem schmalen Lächeln verzogen. „Ist die Selection deiner Meinung nach nicht da, um die Liebe zu finden?"

Esra wurde rot. „Doch. Natürlich. Auch. Aber ich denke, dass hinter der ganzen Sache auch der Unterhaltungsfaktor steckt. Es ist ein seltenes Ergeinis, welches das ganze Land in helle Begeisterung versetzt."

,,Und was ist Ihre Meinung dazu, Cassandra?"

Ich sah von meiner Teetasse auf, die ich die letzten Minuten aufmerksam betrachtet hatte. ,,Ich denke nicht, dass ich in der Position bin, meine Meinung zu äußern?"

Das wiederrum schien alle anderen zu überraschen. Die Königin zog die Augenbrauen hoch. ,,Und was gibt Ihnen Grund für Ihre Annahme?"

,,Meine Unwissenheit. Ich habe mich viel zu wenig mit Politik und der momentanen politischen Lage in und außerhalb Ileas beschäftigt, als dass ich mir eine Meinung darüber bilden könnte", sagte ich schlicht.

Tatsächlich hatte ich irgendwie gehofft, dass die Königin lachen und bekennen würde, dass auch sie nichts von Politik verstünde. Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, dass Ehrlichkeit in manchen Situationen doch der bessere Weg war, aber da hatte ich mich bitter getäuscht. 

Die Augen der Königin waren schmal und ihre Augenbrauen dermaßen herablassend hochgezogen, dass man glauben könnte, sie wären dort festgewachsen. ,,Das einzige Mittel gegen Unwissenheit ist das Verschweigen, meine Liebe. Wenn du je in der Öffentlichkeit deine Unwissenheit kundtust, gnade dir Gott. Die Welt ist ein Rudel Wölfe und du wärst ein Stück Fleisch, was ihnen zum Fraß vorgeworfen wird."

Ich musste erst einmal schlucken. Nicht nur, dass ich den Tipps meiner Mutter nicht gehorcht hatte, sondern ich hatte mich auch noch vor der Königin und allen anderen Ladys blamiert. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ein wenig von der Wand abzulegen, die ich mir aufgebaut hatte? Ich wusste doch, wie diese Welt funktionierte! Wusste, warum es so wichtig war, den Schein einer perfekten Welt aufrecht zu erhalten. Und trotzdem hatte ich dem widerstanden.

,,Ich verstehe", sagte ich leise und wagte es kaum sie anzusehen. Für andere mochte es eine bloße Zurechtweisung gewesen sein, aber in mir baute sich gerade eine Wand auf, die nie hätte fallen dürfen.

Die Königin lächelte und es sah beinahe aus wie ein echtes Lächeln. ,,Ich bin mir sicher, dass du das tust."


April

Den Bericht zu sehen war eine Qual. Aber ihn nicht zu sehen war noch viel schlimmer.

Das lernte ich in den Tagen nach dem letzten Bericht, in dem die Elite bekannt gegeben worden war. Ich hatte in diesem Tagen nichts weiter gemacht, als über die Geschehnisse nachzugrübeln, Cassies Brief immer und immer wieder zu lesen und Gott dafür zu danken, dass er nicht von Eaton gestammt hatte. Andererseits war es egal, von wem der beiden er stammte, weil beide Endresultate mir nicht gefallen würden.

Nicht einmal Mae und Clyde konnten mich ablenken und irgendwann gaben sie es auch auf. Da Clyde und Dad arbeiteten und Mae tagsüber in die Schule ging, verbrachte ich viel Zeit allein und hatte dadurch auch viel Zeit nachzudenken.

Zum Glück gab es da noch Malcom, einen Jungen aus unserem Bezirk, der jeden Tag die Zeitung vorbeibrachte. Anfangs hatte ich ihn nur durch das Küchenfenster beobachtet, aber irgendwann hatte er mich angesprochen, als ich gerade im Vorgarten war und seitdem unterhielten wir uns täglich, wenn er bei uns vorbeikam. Ich hatte das Gefühl, dass er von Tag zu Tag früher kam, um länger Zeit bei mir zu haben, bevor er weitermusste. Es war mir eine gelegene Ablenkung und Malcom war ein wirklich netter Kerl.

Außerdem gab es da natürlich auch noch Lance, meinen besten Freund seit Kindertagen. Wir gingen hin und wieder gemeinsam jagen, wobei ich Bedacht darauf legte, dass er mir meine Beute nicht vor der Nase wegschnappte und verbrachten einige Nachmittage zusammen. Er hatte in der Zeit, in der ich im Palast war, eine Ausbildung in der Schreinerei seines Onkels angefangen und ich hatte den Eindruck, dass es ihm tatsächlich Spaß brachte.

,,Hey Ape, was gibt's Neues?"

,,Wenn man vom Teufel spricht", sagte ich laut und drehte mich grinsend zu meinem besten Freund um, ,,Seit gestern überraschenderweise nichts, warum fragst du?"

Lance lachte und schwang sich mit einer fließenden Bewegung über unseren Gartenzaun. ,,Seit du wieder hier bist, sieht euer Garten echt hammer aus, habe ich das schon mal gesagt?"

Ich verdrehte die Augen. ,,Willst du dich wirklich mit mir über Botanik unterhalten?"

,,Ich habe nur versucht das Eis zu brechen", sagte er frech, während er von der kleinen weißen Bank in unserem Vorgarten aus beobachtete wie ich ein paar Blumenzwiebeln einpflanzte.

Ich drehte mich wieder meiner Arbeit zu. ,,Mir war nicht bewusst, dass es ein Eis zwischen uns gibt, aber gut zu wissen."

Er lachte. ,,Um auf meine Frage zurückzukommen. Es hätte ja sein können, dass urplötzlich der Prinz deiner Träume auftaucht und sich entschuldigt?"

Ich hielt in meiner Bewegung inne und drehte mich seufzend um. Wenn Lance im Garten war, war es sowieso aussichtslos zu arbeiten. ,,Der Prinz meiner Träume sitzt vor mir auf einer weißen Bank."

,,Ich fühle mich geehrt", sagte er augenrollend, ,,Aber mal im Ernst, ich bin ja froh, dass du wieder da bist, aber er hätte sich ja wenigstens mal entschuldigen können."

Ich stöhnte. ,,Lance, bitte. Darüber haben wir bereits diskutiert und ich möchte nicht mehr über ihn reden."

,,Du klingst wie eine richtig strenge Lehrerin", erwiderte Lance, ,,Ich tippe auf Mathe."

,,Dann stell dir deine Mathelehrerin vor, wie sie Folgendes sagt: Bitte verpiss dich."

Er sah für einen Moment so aus, als müsste er überlegen, dann schüttelte er sich. ,,Nein, danke. Frau Pracelet und 'verpiss dich'? Niemals."

,,Du bist unverbesserlich", sagte ich kopfschüttelnd stand auf und wischte mir mit dem Handrücken über meine Stirn, ,,Willst du reinkommen? Ich habe Kuchen gebacken."

,,Ist das eine ernst gemeinte Frage?"

Grinsend stieß ich die Haustür auf und betrat den Flur dicht gefolgt von einem nach Kuchen lechzendem Lance.


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