32. Kapitel

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Am nächsten Tag waren wir bereits seit Sonnenaufgang auf den Beinen, oder besser gesagt zu Pferd unterwegs. Ich hatte immer noch keinen Plan davon, was Harry vorhatte und konnte ihn und Sora nur ahnungslos folgen.

„Harry, jetzt sag schon, wo reiten wir überhaupt hin?", quengelte ich schon zum mindestens zwanzigsten Mal.

„Das wirst du noch früh genug erfahren", summte dieser amüsiert und ritt unbeirrt weiter voran. So ein mieser Typ! Okay, Geduld war noch nie meine Stärke gewesen, ebenso wie meine größte Schwäche meine Neugier war – aber naja, ohne meine Neugier wäre ich vielleicht nie auf Vento gestoßen. Also ein Hoch auf meine Neugier. Doch Harry schien großen Spaß daran zu haben, mich weiter im Dunkeln tappen zu lassen, denn sagte mir immer noch nicht, wo wir überhaupt hin ritten, dieser gemeine Kerl.

„Das ist so gemein", schmollte ich und es klang so beleidigt, dass wir beide lachen mussten.

„Gib's auf. Ich werde es dir sowieso nicht vorher verraten", sagte er zufrieden. Ich brummte nur ein beleidigtes „Wieso mach ich das überhaupt mit?" vor mich hin, worauf Harry sofort mit einem breiten Grinsen antwortete: „Weil du mega auf mich stehst und mir sowieso überall hin folgen würdest", okay, jetzt klappte mir buchstäblich der Mund auf. Wie eingebildet – nein, wie arrogant – konnte dieser Typ eigentlich sein?

„Sprachlos?", Harry grinste. Der brachte mich gerade echt aus der Fassung.

„Ja, so viel Arroganz tut schon weh. Wieso lass ich dir das überhaupt durchgehen?"

„Na weil ich rechthabe", pff, Angeber!

„Und wenn ich dir sage, dass du der bestausehenste Typ überhaupt bist, sagst du mir dann endlich wo wir hin reiten?", machte ich einen letzten Versuch, aber Lockie schüttelte grinsend den Kopf.

„Erstens, dass ich der bestausehenste Typ bin, weiß ich selbst, und zweitens wäre es ja sonst keine Überraschung mehr", okay, Harry schaffte es tatsächlich mich sprachlos zu machen.

„Ach ja, und drittens mag ich es, wenn du wütend wirst"

„Ich bin nicht wütend!", mhh, klang gar nicht wütend... aber wenigstens hatte ich endlich meine Sprache wiedergefunden.

„Natürlich nicht, das ist nur, wenn du so rot wirst wie jetzt", na super! Wieso musste ich immer in den ungünstigsten Situationen rot werden. Langsam gab ich auf. Mir blieb ja sowieso keine andere Wahl als ihn zu vertrauen oder eben kehrt zu machen.

„Hast gewonnen", wow, dass ich mal kapitulieren würde, das schaffte nicht jeder. Gratuliere Harry.

„Na bitte, warum nicht gleich", entgegnete er selbstgefällig und lenkte Sora geschickt zur Seite, ehe ich ihn von seinem Pferd runterschupsen konnte.

„Du bist unmöglich", rief ich ihn nach und nahm die Verfolgung auf.

Wir waren nun schon zwei Stunden unterwegs und die Landschaft wurde allmählig flacher. Langsam machte sich Erschöpfung in mir breit, auch wenn wir erst vor kurzem eine Pause gemacht hatten. Die gute Sache war nur, dass hier sicher nicht so schnell ein Suchtrupp hingeschickt werden würde – jedenfalls hoffte ich das.

„Sind wir bald da?", brummte ich in Harrys Richtung. Unruhig rutschte ich im Sattel hin und her. Mein Hintern tat schon ganz weh.

„Wirst du gleich sehen"

„Was sehen? Wir sind mitten in der Pampa Harry!", beschwerte ich mich, doch hielt im nächsten Moment inne, als mir ein frischer Luftzug ins Gesicht wehte. Vento hob den Kopf und schnupperte in die Luft. Überrascht sah ich mich um. Hohes Gras wog sich sachte im Wind. Da entdeckte ich plötzlich den blauen Streifen am Horizont. Ach du meine Güte!

„Komm", drängelte Harry und ritt auf eine Düne hinauf. Von hier konnte man alles sehen und es lag tatsächlich vor uns. Wir waren am Meer!

„Ich glaub wir sind da", murmelte ich völlig überrumpelt.

„Und? Hab ich zu viel versprochen?", fragte Harry grinsend in meine Richtung, aber ich brachte nicht mehr als ein Nicken zustande. Das wir es so schnell bis zum Meer geschafft hatten – und das auch noch zu Pferd – hätte ich echt nicht erwartet.

„Keine Angst, hier wird uns so schnell niemand finden, nicht jetzt, nicht heute. Das ist unser Tag", Harry hatte recht. Ehe man uns hier finden konnte, waren wir schon längst wieder verschwunden.

Langsam suchten wir uns einen Weg durch die Dünen und tauchten in einen salzigen Wind. Die Brandung lag direkt vor uns und sanfte Wellen schlugen weit ans Ufer heran und umspielten die Hufe der Pferde. Harrys Augen blitzten. „Fertig?", he? Ich sah ihn verwirrt an, als er auch schon das Kommando „Und los" gab. Sofort verfiel Sora in einen Galopp.

„Hey, das ist unfair!", schrie ich ihn nach. Da war Vento nicht mehr zu halten. Der Sonne entgegen, direkt durch die flachen Wellen preschten wir los, als mir nur noch der Wind entgegenschlug und das Wasser zu meinen Füßen hochspritzte.

Bald waren wir gleichauf mit Sora und Harry und jagten in rasendem Tempo die Brandung entlang. Ein Schwarm voll Möwen flog erschrocken auf und es war, als könnten wir mit ihnen gleichauf in den Himmel abheben. So, als würden wir fliegen.

Ohne darüber nachzudenken breitete ich vor lauter Freude meine Arme aus. Plötzlich streckte nun auch Harry seine rechte Hand nach meiner aus. Ich tat es ihn gleich und für einen Augenblick berührten sich unsere Fingerspitzen.

Alles war gerade so perfekt, keine Probleme, keine Sorgen. Doch ich sollte mich irren.

Viel zu schnell ging die unbeschwerte Zeit wieder vorüber. Die Sonne hing beriets tief über dem Wasser, welches nun im satten Orange glitzerte. Ein dunkler Wolkenstreifen bildete sich jedoch langsam am Horizont, sonst war alles ruhig. Nur das gleichmäßige Rauschen der Wellen, welche nun in hohen Wogen ans Ufer schlugen, war zu hören.

Harry und ich saßen im warmen Sand etwas abseits der Brandung und blickten auf das glitzernde Wasser des Meeres, vor dem sich zwei schwarze Pferde abzeichneten. Ich sah zu Harry, doch der wirkte leicht angespannt.

„Was hast du?", fragte ich unsicher und blickte nun direkt in seine grünen Augen. Irgendetwas stimmte nicht.

„Kennst du das, wenn man gerade am liebsten alles hinter sich lassen würde?"

„Und am liebsten nie wieder zurückgehen würde...", oh ja, ich kannte es zu gut. Mit unserer Flucht waren wir ja so gut wie gemeinsam durchgebrannt.

„Ja, auch wenn man weiß, dass in seiner Abwesenheit gerade alles schiefläuft"

„Und dass es das auch weiter tut, egal wie weit man weg ist", murmelte ich und wühlte mit meinen Fingern im Sand.

„Ja, wir müssen etwas unternehmen, bevor es ganz zu spät ist. Zuhause ist nichts mehr in Ordnung. Die Pferdediebe werden auf jeden Fall ihre schrecklichen Geschäfte weiter ausüben. Und wir sind die einzigen, die davon wissen.", ich schluckte schwer, während ich langsam wieder zurück in die Realität driftete.

Harry legte einen Arm um meine Schulter und zog mich fest an sich. Ich konnte die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Gerade fühlte mich irgendwie ...geborgen. Sehnsüchtig blickte ich zu den letzten Sonnenstrahlen über dem Wasser, bevor die Wolken am Horizont sie ganz verschluckten. Sah so die Ruhe vor dem Sturm aus?

Free Together (Eine Pferdegeschichte)Where stories live. Discover now