4. Kapitel

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Ich hielt vor Erstaunen den Atem an, als in rasender Geschwindigkeit ein schwarzes Pferd angesprengt kam, direkt in meine Richtung. Seine weiße Mähne wehte im Wind und schien im Abendlicht beinahe zu leuchten. Seine Hufe donnerten auf dem Boden und Staub wirbelte zu seinen Seiten auf. Es fühlte sich an, als sei die Zeit stehen geblieben. Um mich herum nahm ich nichts anderes mehr wahr, außer den Hufschlag des Pferdes, der schneller wurde - genau wie mein Herz - so als gliche es sich seinem Rhythmus an. Meine Augen wurden groß, als der Hengst plötzlich sein Tempo verringerte und zielgerichtet auf mich zutrabte. Sanft schnaubend blieb er vor mir stehen.

Fasziniert streckte ich meine Hand nach ihm aus und das große Pferd senkte leicht den Kopf zu mir hinunter. Sein warmer Atem prallte an meiner Hand ab, als er vorsichtig schnupperte. Etwas zögernd strich meine Hand über seinen großen Kopf.

„Wer bist du denn?", meine Finger strichen weiter über sein weiches Fell. Ich merkte wie seine Muskeln bei der Berührung zuckten. Doch langsam kamen Fragen in mir auf und katapultierten mich wieder in die Realität zurück. Was sollte ich jetzt tun? Vielleicht hatte das Pferd ja einen Besitzer.

„Was machst du denn nur hier draußen?", ich wusste das der Hengst mir nicht antworten konnte, er blickte mich nur weiter aus seinen dunklen Augen an und spitzte die Ohren. Einen kurzen Moment überlegte ich.

„Komm, wir bringen dich erstmal auf unseren Hof. Vielleicht kann uns ja jemand helfen und weiß wo du herkommst", kurzentschlossen ging ich ein paar Schritte und streckte dabei meine Hand nach dem Hengst aus. Dieser sah mich dabei etwas irritiert an, doch dann machte er ebenfalls ein paar Schritte nach vorne, bis wir schließlich Seite an Seite nebeneinander herliefen. Meine Hand legte ich auf seinen Rücken, während wir den Feldweg zum Gestüt einbogen. Ich hoffte, dass uns vielleicht auf dem Hof jemand helfen konnte, falls das Pferd wirklich entlaufen war.

Es dauerte nicht lange, als wir durch den großen Torbogen des Hofes spazierten. Meine Hand lag immer noch auf dem Rücken des Pferdes, als ich spürte, wie sich seine Muskeln unter meiner Hand anspannten. Plötzlich riss es den Kopf hoch und wieherte bedrohlich. Ich erschrak, ließ aber meine Hand, wo sie war.

„Was hast du denn?", in meinem Bauch breitete sich ein unwohles Gefühl aus, als würde etwas hier nicht ganz stimmen. Das dunkle Pferd folgte mir misstrauisch auf den Hof, als plötzlich Tobi angeeilt kam. Sofort machte der Hengst einen hastigen Schritt nach hinten.

„Wo kommst du denn her? Ich dachte du bist - ", fing der Stallbursche schon an zu quasseln, doch verstummte mit einem Mal, als er das große Pferd neben mir registrierte. Seine Augen weiteten sich erstaunt und ihm blieb beinahe der Mund offenstehen.

„Äh... Was ist das denn?“, fragte Tobi, als er seine Sprache wiedergefunden hatte.

„Also das ist ein Pferd“, erwiderte ich und sah dabei zu dem großen Hengst neben mir.

„Und wo kommt der bitte her?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn in der Nähe vom Wald gefunden", entgegnete ich schulterzuckend.

„Das gibt's doch nicht", Tobi fuhr sich ungläubig übers Gesicht und näherte sich dem dunklen Hengst, der sofort einen weiteren Satz nach hinten machte.

„Vielleicht sollten wir ihn erstmal in den Stall bringen und danach Frau Eisenau Bescheid sagen", meinte er, doch ich war von der Idee, gleich meine Tante mit einzuweihen, weniger begeistert. Jedoch würde sie es früher oder später sowieso erfahren.

Noch ehe ich etwas erwidern konnte, war Tobi auch schon losgespurtet und kam wenige Sekunden später mit einem Halfter zurück. Schnell wollte er es dem Hengst überstreifen, doch sofort schnappte dieser nach seiner Hand, welche Tobi erschrocken zurückzog. Geschockt sah ich ihn an. So etwas hatte er doch vorhin nicht getan, nicht als ich mit ihm alleine war.

„Was ist denn nur los?", vorsichtig legte ich eine Hand auf sein Fell, während mein Herz wild gegen meine Brust schlug.

„Zara, geh weg von dem Gaul. Der hat sogar nach mir geschnappt. Gegen so ein temperamentvolles Pferd kommst du doch nicht an", meinte Tobi und musterte den Hengst kritisch.

„Komm schon", ich strich ihn beruhigend über sein Fell, spürte dabei wie angespannt er war. Dennoch folgte er mir zögernd in Richtung Stall. Tobi folgte uns schließlich mit kritischen Blick.

Der Hengst war immer noch unruhig, als wir durch die Stallgasse liefen und immer wieder hatte ich Angst, dass er jeder Zeit davonstürmen würde. Hin und wieder blieb er stehen und tänzelte nervös auf der Stelle, bevor er weiterlief.

„Du kannst ihn da hinten in die Box stellen", sagte Tobi, der etwas distanziert hinter uns lief.

„Da hinten?", ungläubig schaute ich auf die dunkle Box am Ende des Stalls, die einen nicht sehr einladenden Eindruck verlieh.

„So macht er die anderen Pferde nicht verrückt"

Wiederwillig folgte ich Tobis Anweisung und führte das nervöse Tier in die hinterste Box. Nur ein kleines Stallfenster spendete Licht. Kurz zögerte der Hengst misstrauisch, dann folgte er mir auch die letzten Schritte in das innere der Box. Behutsam strich ich mit der Hand über seine Stirn und er wurde etwas ruhiger. War es ein Fehler gewesen, ihn mit hier her zu bringen?

„Hier, sehen sie sich das an", erschrocken fuhr ich zusammen, als Tobi mit Tante Sophie im Schlepptau die auf die Box zueilte. Als meine Tante das Pferd erblickte, weiteten sich ihre Augen.

„Komm sofort da raus, wir wissen nicht, ob das Tier gefährlich ist!", rief sie erschrocken, doch da riss der Hengst den Kopf hoch und machte einen hastigen Schritt nach hinten. Ich wusste nicht wie mir geschah, als neben mir seine Hufe gegen die Wand donnerten. Plötzlich wurde ich von zwei starken Armen aus der Box gerissen. Tobi stieß mich unsanft hinter sich und schleuderte die Boxtür zu. Mir verschlug es immer noch die Sprache, als der dunkle Hengst erneut einen Satz machte.

„Wo in aller Welt hast du dieses Pferd gefunden?", fragte meine Tante aufgebracht.

„Richtung Wald, da ist es mir zugelaufen", erwiderte ich ehrlich und warf erneut einen Seitenblick zu dem unruhigen Pferd in der Box.

„Ein freiherumlaufendes Pferd geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Ich werde mich sofort kundig machen, wem dieses verrückte Tier gehört. Solange lassen wir ihn erst einmal hier, bis ich mich mit dem Besitzer in Verbindung gesetzt habe", sie musterte den Hengst abschätzig, ehe sie sich an Tobi wandte.

„Tobi, du wirst darauf achten, dass sich dieser Box keiner nähert. Wir wollen nichts riskieren. Und auch du, Zara...", sie sah mich nun eindringlich an.

„...Wirst dich von ihm fern halten", damit machte sie kehrt und verschwand aus dem Stall. Sofort machte ich wieder einen Schritt auf die Box zu, in welcher der Hengst immer noch empört wieherte. Wehmütig blickte ich durch die Gitterstäbe, doch das Pferd blieb auf sicherer Distanz in der hintersten Ecke. Gerade wollte ich eine Hand nach ihm ausstrecken, als ein eiserner Griff mein Handgelenk umschloss.

„Hast du Frau Eisenau nicht gehört? Du sollst dich von ihm fernhalten", er sah mich mit einem Blick an, der keinen Wiederspruch duldete. Einen letzten Blick warf ich dem Pferd zu, als ich von Tobi trotzig aus dem Stall folgte.

Beim Abendessen sagte ich kein einziges Wort. Viel zu sehr hing ich meinen Gedanken über das fremde Pferd nach. Auch als ich in meinem Bett lag, bekam ich kein Auge zu. Zwar war ich erschöpft und müde, doch trotzdem gelang es mir nicht, mich einfach in den Schlaf fallen zu lassen.

Plötzlich fuhr ich zusammen, als ein lautes Wiehern von draußen die Stille durchbrach.

Free Together (Eine Pferdegeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt