Kapitel 13 - Neuigkeiten

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Wir bleiben in dieser Nacht im Krankenhaus. Marco, ich und ein paar andere vom Dortmunder Team bleiben, falls es Neuigkeiten mit Marc gibt. Er ist der einzige, der schlimm verletzt wurde. Kiara, Amy und die meisten anderen fahren nach Hause und versuchen den Schock zu verdauen. Aber besonders für die Leute, die im Bus waren, ist es zu viel. Schlaflos überstehen wir alle die Nacht, aber am Morgen gibt es keine Neuigkeiten. Wir warten.

Mitten in der Nacht telefoniere ich mit Marcs Eltern. Sie sind erst jetzt nach Hause gekommen und haben die verpassten Anrufe gesehen. Ich muss ihnen erklären, was passiert ist. Sie buchen den nächsten Flug nach Deutschland.

Am Abend kommen Marcs Eltern an. Sie dürfen zu ihm auf die Intensivstation, aber nicht zu lange. Erst in der Nacht kommt Marcs Arzt mit der Nachricht, dass er langsam am Aufwachen ist. Aber das kann zwischen Stunden und Tage dauern. Ich fühle mich so leer und hilflos.

Ich schlafe auch in dieser Nacht nicht richtig. Erst kurz vor Sonnenaufgang falle ich in einen leichten, qualvollen Schlaf voller Alpträume.

«Lil? », flüstert eine leise Stimme. «Wach auf.» Ich fühle eine warme Hand auf meiner Schulter, die mich aus meinem leichten Schlaf reißt. «Marco?» Ich sehe zu meinem Bruder auf. Die Schatten unter seinen Augen sind noch tiefer als vor ein paar Stunden. Obwohl ich die Schmerzen und seine Müdigkeit sehen kann, versucht er mich anzulächeln. «Ist er endlich wach?» Ich richte mich von dem harten Plastikstuhl auf, versuche meine schmerzenden Glieder zu ignorieren. «Ja.» Marco drückt meinen Arm einen Moment lang. «Willst du...?» Ich nicke. Mein Herz rast vor Furcht. Ich habe unglaubliche Angst vor dem was gerade passiert. Und ich habe keine Garantie, dass diese Geschichte hier in einem Happyend endet.

Ich stehe auf, meine Beine sind zittrig. Marco hält meine Hand, während wir zu Carimos Zimmer gehen. Vor der Türe bleiben wir stehen und ich versuche mich zu fassen. Aber was auch immer gleich geschehen wird, ich bin dafür nicht vorbereitet. Ich schlucke trocken und hole so tief wie möglich Luft. Marco lässt meine Hand los. Er öffnet die Türe für uns und ich betrete den weißen, trostlosen Raum.

Der Raum riecht nach Desinfektionsmittel, dicke Vorhänge versperren die Sicht aus einem einsamen Fenster. Mitten im Zimmer steht ein Bett. Mir stockt der Atem, als ich Marc sehe. Das ist nicht der Carimo, den ich Stunden vor dem Attentat noch geküsst habe. Stattdessen liegt dort ein junger Mann mit eingegipstem rechtem Arm, verbundenen Handgelenken und blauem Krankenhausshirt. Überall hat es Schläuche und Kabel, ich verliere den Überblick nach einigen Sekunden. Aber egal wie angsteinjagend all die Geräte und Schläuche sind, am schlimmsten ist der Kopf des Mannes. Marcs Kopf ist fast ganz rasiert, über seine Stirne verdeckt ein breiter Verband seinen Kopf. Seine rechte Gesichtshälfte ist geschwollen und regenbogenfarbig. Ich schluchze beinahe laut auf, nur Marcos Arm, den er um mich geschlungen hat, hält mich davon auf. Marcs Eltern werfen mir verständnisvolle Blicke zu und machen mir Platz, so dass ich ans Bett gehen kann. Sie trete hinter mich, und ich höre noch Marcs Vater etwas zu seiner Ehefrau flüstern. Ich versuche gar nicht zu verstehen, was er gesagt hat, ich bin zu sehr von der Gestalt im Krankenhausbett abgelenkt.

«Hey», will ich sagen, als ich neben dem Bett stehe. Aber meine Stimme gibt keinen Ton von sich. «Hey», versuche ich es noch einmal. Zwar ist es heiser, aber verständlich. Marc dreht seinen Kopf in meine Richtung. «Hey», formen seine Lippen. Seine Augen sind noch die gleichen. Freundlich und warm. Während ich die winzigen Bewegungen seiner Lippen lese, fällt mir ein Stein vom Herzen. Marc ist hier. Marc ist hier, er lebt und er ist bei mir. «Wie geht es dir?», frage ich ihn zögerlich auf Spanisch. «Tut weh. Geht aber.» Er versucht beruhigend zu lächeln, aber es tut ihm sichtlich weh. Ich greife nach seiner Hand und lege so sanft wie möglich meine Finger über seine. Seine Hand zuckt kurz zurück und ich habe Angst, dass ich ihm weh getan habe, aber sein Gesichtsausdruck zeigt kein Anzeichen von Schmerzen. «Dad, könntest du mir bitte etwas zu trinken holen?», fragt er. Sein Vater nickt sofort und beeilt sich einen Arzt nach etwas zu fragen. Ich durchforsche mein Gehirn nach etwas, was ich sagen kann, aber es gibt keine Worte die beschreiben, wie ich mich fühle. «Das Team wünscht gute Besserung. Ich soll dir ausrichten, dass sie dich alle besuchen werden.», bringe ich schliesslich heraus. Mir ist eingefallen, dass ich es ihnen versprochen habe, Marc das auszurichten.

Marc versucht erneut zu lächeln. Es sieht schmerzhaft aus. «Danke. Hat Neymar schon dumme Sprüche gemacht? Das wäre typisch für ihn.» Ich runzle die Stirne. «Wie bitte?» Was hat Neymar denn damit zu tun? «Naja, Neymar hat sicher was Doofes dazu gesagt.» Ich zucke nur mit den Schultern. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Aber ich will ihm nicht wiedersprechen.

«Ich bin sicher, Neymar und Barcelona wünschen dir auch gute Besserung.», antworte ich schliesslich. Jetzt sieht mich Marc verwirrt an. «Aber...» Er unterbricht sich selber, weil er husten muss. Genau rechtzeitig geht die Türe auf und Marcs Vater kommt mit einer Flasche Wasser und einem Strohhalm hinein. Er hilft ihm ein bisschen Wasser zu trinken. Als Marc genug hat, gesellt er sich wieder zu seiner Frau und meinem Bruder. Ich bleibe alleine bei Carimos Bett zurück, nicht sicher was ich als nächstes sagen soll. Am Ende platze ich einfach mit den Worten hinaus, die für mich jetzt noch einmal eine ganz andere Bedeutung angenommen haben.

«Ich liebe dich.» Meine Stimme ist laut genug, dass es alle im Raum mitbekommen. Ich spüre auf einmal wie sich Marcs Hand unter meiner anspannt. Ich sehe in seine Augen und sehe überraschenderweise Verwirrung und Unbehagen. Ich warte darauf, dass er meine Worte erwidert, aber es kommt nichts. «Hör mal...», meint schliesslich Carimo in die unbehagliche Stille hinein. «Ich weiss nicht so genau was du damit meinst.» Ich sehe ihn ungläubig an. «Dasselbe, wenn nicht sogar noch mehr, wie vor zwei Tagen. Oder wie auf meiner Geburtstagsfeier. Oder jedes andere Mal, in dem ich es gesagt habe.»

«Geburtstagsfeier? Welche Feier?», fragt er verwirrt nach. Es fühlt sich an, als würde mein Blut eingefrieren und es läuft mir eiskalt den Rücken ab. Spielt er ein Spiel mit mir? Er kann doch nicht einfach... Nein. Nein, das kann nicht sein. «Meine Geburtstagsfeier», wiederhole ich leise, ich spüre erneut die Tränen in meinen Augenwinkeln. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Plötzlich ist der Arm meines Bruders um mich geschlungen, Marco versucht mir haltzugeben.

Ich spüre seine Verwirrung wie meine eigene, obwohl er sie nicht zeigt. Carimos Blick wandert von mir zu meinem Bruder und sein Gesichtsausdruck verändert sich erneut. Er scheint meinen Bruder zu erkennen. «Bist du nicht Marco Reus?», fragt er. Ich sehe zu meinem Bruder auf, dessen Gesicht von einer unlesbaren Maske zu einem schockierten Gesichtsausdruck wechselt. «Kann ich fragen, was du hier machst?» Bevor Marco oder jemand antworten kann, wandert sein Blick wieder zurück zu mir und er fragt weiter: «Ah, bist du seine Schwester? Du siehst ihm ähnlich.»

Es fühlt sich schlimmer an als Schläge. Schlimmer als sich Knochen zu brechen. Es fühlt sich an, als würde mir sämtliche Luft geraubt werden, als würde mein Blut durch Eiswasser und meine Knochen durch Feuer ersetzt werden. «Du weisst nicht, wer ich bin?», bringe ich irgendwie heraus. Marcs Blick wird unsicher, ihm ist die angespannte Atmosphäre durchaus bewusst. «Nein... sollte ich?»

Diese drei Worte rauben mir das letzte Stück Hoffnung. Kann er mich einfach vergessen? Wie kann er...? Ich spüre heisse Tränen über mein Gesicht rinnen. Mein Bruder versucht noch, mich festzuhalten, aber ich renne, bevor er mich aufhalten kann. Ich hätte es keine weitere Sekunde dort ausgehalten. Ich renne so schnell ich kann. Mitten auf einem Gang im Krankenhaus bleibe ich stehen. Ich weine zu hart um genug Luft zu bekommen. Ich sinke in die Knie und fange haltlos an zu schluchzen. Die Schluchzer schütteln meinen ganzen Körper durch.

Denn zum ersten Mal, seit Carimo und ich angefangen haben zu daten, wird mir klar, dass es kein Happyend geben wird. Das keine Beziehung so rosig und unkompliziert sein kann, wie es unsere zu Beginn war.

el cariño [Marc Bartra]Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum