Kapitel 8 - Im Stau zur Welt der Reichen

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Hätte mir jemand vor ein paar Monaten gesagt, dass ich mich innerhalb wenigen Wochen Hals über Kopf verlieben würde, hätte ich diese Person ausgelacht. Oder wäre Kopfschüttelnd davongelaufen. Aber die Tatsache ist, dass mich Marc Bartra vollständig um den Finger gewickelt hat. Es ist, als wäre er ein Magnet, der mich anzieht, als wäre er die Sonne und ich ein hilfloser Planet, dessen ganze Welt sich um ihn dreht. Und sein Hotness-Level ist definitiv auf Sonnen-Niveau.

Seitdem wir uns zum ersten Mal geküsst haben, können Marc und ich fast nicht die Finger voneinander lassen. Obwohl wir uns natürlich in der Öffentlichkeit und vor meinem Bruder zusammenreissen. Nachdem Marco von seinem Game-Nachmittag bei Mario nach Hause gekommen ist und dabei Carimo und mich knutschend auf der Couch erwischt hat, heisst es, in seiner Nähe besser aufzupassen. Wir arbeiten daran. Aber es ist gar nicht so einfach.

«Earth to Lily!», ruft jemand und ich schrecke aus meinen mehr oder weniger jugendfreien Tagträumen von Carimo auf. «Hm?» Ich sehe zu Amy, die mich ungeduldig ansieht. «Wir sind da. Na los, steig aus!» Mein Blick wandert von ihr zum Autofenster. Tatsächlich befinden wir uns auf dem grossen Parkfeld in der Nähe des Signal Iduna Park, wo wohl tatsächlich ein Parkplatz für uns reserviert war. Sofort steigt die Aufregung wieder in mir hoch.

Ich grinse Amy an und dann steigen wir beide aus. Brütende Hitze schlägt uns entgegen. In den letzten Tagen hat das Wetter von eiskalt zu heiss gewechselt. Und da es heute keine Wolke am Himmel hat, ist es so heiss, dass man schon im Schatten schwitzt. «Hast du die Tickets?», fragt mich Amy, die das Auto abgeschlossen hat und mir ihre Tasche abnimmt.

«Ja, im Portemonnaie. Willst du deines schon?» Sie schüttelt den Kopf. «Nein, schon okay. Ich wollte nur noch mal sicher gehen.» Ich grinse sie wissend an. «Du wirst mir die Sache in Mailand nie verzeihen?» Sie sieht mich gespielt ernst an, aber ihre Mundwinkel zucken leicht. «Niemals.» Ich lache nur und nehme ihre Hand, um sie in Richtung des Stadions zu ziehen.

Wir waren beide schon tausendmale hier. Wir sind Freundinnen seit der ersten Klasse und sie hat Marco und mich schon zu unzähligen Fussballspielen und Trainings begleitet. Sie und Kiara kennen sich dank mir jetzt besser mit Fussball aus, als die meisten Jungs in unserer Schule. «Es ist so heiss.», stöhnt Amy neben mir, während wir uns an schwarz-gelb und blau gekleideten Fans vorbeischlängeln.

«Ich weiss.», antworte ich nur. Auch ich schwitze mittlerweile, obwohl ich kurze Hotpants und mein Trikot trage. Amy hat sich sogar ihr Trikot ausgezogen und in die Hose gestopft und trägt jetzt nur noch ein kurzes Trägershirt und Shorts. «Wo wartet Kiara?», frage ich, sobald wir irgendwo im Schatten ein freies Plätzchen finden. Amy schaut schnell auf ihr Handy. «Sie trifft sich mit uns direkt im VIP Sektor, hat sie geschrieben.»

Ich schnaube. «Und wie will sie das, wenn ich alle Tickets habe?» Amy grinst nur. «Kiara kommt überall rein.» Wir schauen uns an und müssen lachen, weil wir beide Kiara nur zu gut kennen. Wenn jemand tatsächlich da hineinkommt, dann Kiara. «Okay, dann vertrauen wir ihr mal. Zu welchem Eingang müssen wir? Kommt dein Bruder uns holen? Oder Bartra?» Bei letzterem zwinkert sie. Ich verdrehe meine Augen. «Nein, es kommt keiner von denen. Und wir sollten gleich da vorne reinkommen.» Ich deute auf den nächsten Eingang. Es hat sich eine lange Schlange gebildet, aber da wir noch fast eine dreiviertel Stunde haben, bis das Spiel beginnt, mache ich mir keine Sorgen, dass wir etwas verpassen könnten.

Amy und ich stellen uns hinten an und warten bis wir hineingelassen werden. Sobald wir drinnen sind, ist es viel einfacher und schneller, vorwärts zu kommen. Die meisten Leute suchen ihre Sitze oder haben bereits Platz genommen, oder Drängen sich um die Getränke und Essstände. Dazwischen können wir uns gut vorbeischlängeln. Obwohl wir nicht die «grössten» VIPs sind, erkennt uns Thomas sofort, der vor dem Eingang steht.

Thomas - ein breitschultriger, grossgewachsener und düsteraussehender Muskelprotz- grinst uns breit an, sobald er uns sieht. «Amy! Und Lily! Wie schön euch zu sehen! Wie geht es euch?» Dann fängt er an, uns auszuquetschen, über die Schule, unsere Leben… einfach über alles. Thomas ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne. Und auch eine ziemliche Plaudertasche.

Hinter uns bildet sich sogar eine kleine Schlange von VIPs, die alle hineinwollen, aber nicht an uns vorbeikönnen. Thomas ignoriert die missgelaunten und ungeduldigen Gesichter aber erfolgreich und beendet das Gespräch erst, als Harry, der Boss von ihm, auf uns zu hält. Harry ist klein und sieht ganz nett aus, ist aber in Wirklichkeit das Gegenteil davon. Er ist ein kleiner Giftzwerg, der mich, Amy und Kiara einmal fast aus dem Stadion geworfen hat. Grundlos. Oder zumindest fast grundlos.

«Gibt es hier ein Problem?», fragt er, seine Stimme zischend wie eine Kobra. «Nein, alles oki-doki, Harold.», antwortet Amy mit aufgesetzter zuckersüsser Stimme. Harrys Gesicht verdunkelt sich. Er hasst es, Harold genannt zu werden, weshalb er sich immer nur als Harry oder Herr Bader vorstellt. Thomas hat uns allerdings einmal ausversehen seinen wahren Namen verraten und Amy nutzt das nun jedes Mal schamlos aus. Und ich kann mich köstlich dabei amüsieren.

«Wie oft-«, bevor er seinen Satz beenden kann, taucht eine stark geschminkte, verärgert aussehende Frau neben uns auf. «Wieso geht das hier so lange?» Die Stimme ist schrill und ich möchte am liebsten mein Gesicht verziehen, kann mich aber noch gerade unter Kontrolle halten. «Ich warte jetzt schon fünf Minuten an der prallen Sonne! Dabei darf ich keine Sommerspossen bekommen! So eine Frechheit! Wer ist hier zuständig für diesen langen Stau?» Ich möchte am liebsten meine Augen verdrehen, bis sie rausfallen. Das hier, ist eindeutig kein langer Stau und fünf Minuten zu warten, wird wohl niemandem schaden.

Etwas Gutes hat der Unterbruch allerdings. Harry sieht so überrascht und entsetzt auf sie, dass er uns ganz vergessen hat. «Ich bin zuständig! Bitte verziehen Sie die Unannehmlichkei-« «Lassen Sie mich einfach hinein!», unterbricht sie ihn wieder und wirft ihre blonden Haare zurück. «Ja…ehem ja.», stottert er und weicht zur Seite.

Scarlett, die Freundin meines Bruders, drängt sich an mir vorbei, ohne mich oder sonst jemand zu beachten und verschwindet im VIP Sektor. Thomas sieht mich mit dem vertrauten, mittleidigen und mitfühlenden Blick an, bevor er für uns zur Seite tritt. «Bis später.», sage ich zu Thomas, packe Amys Arm und ziehe sie ebenfalls in den VIP Bereich. «Bis später.», höre ich ihn antworten, dann sind Amy und ich in der Welt der Reichen. Oder so scheint es auf jeden Fall.

el cariño [Marc Bartra]Where stories live. Discover now