Kapitel Fünfundzwanzig, Alecia

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Die anderen stießen in der darauffolgenden Nacht zu uns, inklusive eines großen Koffers voller Kleidung und Essen, und ich fiel ihnen weinend um den Hals. Sie waren hier. Ein großer Teil der Gruppe war hier, in Sicherheit. Die Rebellion war noch nicht gestorben.

In dieser Nacht war ich völlig außer mir. Ich hüpfte um Maven herum, diesen Satz wiederholend. "Die Rebellion ist noch nicht gestorben, Maven. Die Rebellion ist noch nicht gestorben!"

Im Nachhinein ist mir dieses Verhalten leicht peinlich, aber ich schätze, man kann es mit meiner immensen Erleichterung in dieser Nacht entschuldigen. Schließlich war ein Großteil der Gruppe noch am Leben (von den anderen wusste ich es nicht, aber immerhin). Und die Rebellion würde stattfinden. Mein Plan würde trotz allem noch durchgeführt werden.

Wir legten nach einer Weile diskutieren das Datum für die Rebellion fest: Heute in einer Woche. Heute in einer Woche würden wir uns überall in der Stadt verteilen und entweder in Gruppen oder alleine tanzen. Wir würden Julicas Rap, beziehungsweise den Sprechgesang, zu dem wir ihn gemacht hatten, benutzen, um die Leute zu animieren. Und wir würden all unsere andere Musik abspielen. Maven und ich würden eine Rede halten, war entschieden worden. Ob uns jemand zuhören würde, wusste ich nicht, aber ich war jetzt schon unglaublich aufgeregt. Ich. Reden. Vor Publikum. Mauerblümchen Alecia, Klischee lässt grüßen, steht plötzlich auf einem Hochhausdach und rebelliert. Glücklicherweise kann ich einigermaßen gut reden.

Eine Woche. Es war auf einmal so bald. Wir alle waren aufgeregt, redeten, lachten, machten Musik und tanzten. Wir hatten inzwischen einen Großteil der Übung, die wir brauchten, aber trotzdem wollte niemand aufhören, zu trainieren. Ich fühlte mich wie vor einer Schulaufführung. (Na ja, abgesehen davon, dass ich in Schulaufführungen immer nur Statistenrollen gespielt hatte.)

Gegen Morgengrauen schliefen wir ein, alle auf dem Boden. Ich lag dicht bei Maven und es fühlte sich irgendwie gut an. Trotzdem konnte ich lange nicht schlafen. Ich wälzte meine Gedanken hin und her, dachte die ganze Zeit über die Rebellion nach. Eine Woche. Es war so kurz.

Irgendwann fand C einen Weg in meine Gedanken und dann Julica. Ich hielt die Tränen zurück, obwohl ich wusste, dass niemand sie sehen würde. Ich wollte nicht mehr weinen. C hätte mich auf die Füße gezerrt und mich geschüttelt und mir gesagt, ich solle nicht um ihn trauern. Ich solle rebellieren. 

Rebellieren.

Irgendwann schlief ich trotz allem ein.

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Die Planungen liefen nun auf Hochtouren. Ein Großteil von uns ging immer noch zur Arbeit, deswegen redeten und trainierten wir meist nachts. Mit dem Schlafen wechselten wir uns ab, damit auch diejenigen, die tagsüber arbeiteten, ihre Portion Schlaf bekamen; wir anderen konnten schließlich tagsüber schlafen.

Von Niall, der selbst als Wächter arbeitete (uns jedoch immer wieder versicherte, dass er auf unserer Seite war), erfuhr ich, wie wir gefunden worden waren: Eine Überwachungskamera in der Nähe des Hauses hatte gezeigt, wie immer wieder dieselben Leute dasselbe Haus betraten. Abends, zu Zeiten kurz vor der Ausgangssperre. Die Wächter waren sich nicht sicher gewesen, hatten der Sache jedoch auf den Grund gehen wollen.

Und, wie Maven trocken hinzufügte, sie hatten einen Volltreffer gelandet.

Obwohl die anderen Rebellen uns versicherten, sie hätten es bereits versucht, gingen DJ und Sheena in einer Nacht raus, um noch einmal entsprechende Signale mit Sprühfarbe zu setzen. Dieses Mal war es keine Wegbeschreibung - wir wussten ja nicht, wo der Rest der Gruppe sich aufhielt -, sondern die Adresse in verschlüsselter Form. 

Sieben weitere Leute stießen zu uns, die anderen blieben verschwunden. Schlussendlich sprühten wir sogar das Datum der Rebellion, aber es blieb reaktionslos.

Ich sah Maven an, dass er sich Sorgen machte. "Die Wächter haben uns noch nicht geholt, aber es hat uns bestimmt niemand verpfiffen", versuchte ich, ihn zu beruhigen. Ansonsten war es immer ich gewesen, die über solche Dinge nachdachte, aber scheinbar hatte ich Maven angesteckt. Und wie es um seine rationale Denkfähigkeit stand, wusste ich ja bereits.

Was ich nicht wusste, war, dass er recht hatte. Es hatte uns jemand verpfiffen. 

Nur hatte dieser Jemand die verschlüsselte Adresse scheinbar nicht ganz lesen können. (Gut, ich gebe zu, meine Fähigkeiten beim Erklären des Codes waren vielleicht nicht die Besten, aber erklärt ihr mal so was 69 ständig redenden und kichernden Leuten!) Alles, was er den Wächtern sagen konnte, musste der ungefähre Standort des Hauses gewesen sein. Und unser Vorgehen bezüglich Training, schlafen und Arbeit.

Dann, und es war einer der Wächter, der mir das später erklärte, hatten die auf ihren Überwachungskameras nach Leuten gesucht, die sich in diesem Teil der Stadt verdächtig verhielten. Und ratet mal, auf wen sie ausgerechnet stießen: Meine Mutter.

Wir hatten besser aufgepasst dieses Mal. Niall hatte den Leuten geholfen, die Überwachungskameras auszutricksen, wenn sie nach der Arbeit hierher zurückkehrten, und die Rebellen hatten alle möglichen Umwege genommen, damit nicht auffiel, wie viele Leute dieses Haus betraten. 

Aber Mom war unvorsichtig gewesen. Sie hatte einen Fehler gemacht. Sowieso war sie eine Gefahr für uns gewesen - sie hatte viele Termine und Verpflichtungen und verließ das Versteck dauernd, um dann wenig später wieder hierhin zurückzukehren und zu schlafen. Außerdem wollte sie sich bei uns zu Hause um den Haushalt kümmern und die verderblichen Lebensmittel zu uns bringen, statt sie verkommen zu lassen. Und weil sie mich geboren und deswegen schon einmal eine Verwarnung enthalten hatte, war sie ohnehin schon verdächtig.

Dann war sie eines Tages, am Tag vor der Rebellion, so gestresst, dass sie Nialls Anweisungen nicht richtig befolgte. Maven und ich sind zwar der Meinung, das wäre früher oder später auch jemand anderem passiert - ich meine, diese Überwachungskameras waren überall -, aber Mom fühlt sich bis heute schlecht deswegen. 

In Büchern passiert so etwas nie. Aber ich meine, wenn man darüber nachdenkt, ist es doch ganz normal, dass man mal unvorsichtig ist. Das habe ich auch Mom erklärt, aber sie wollte mir nicht glauben.

Die Wächter gingen allerdings nicht so vor, wie wir es erwartet hätten. Denn statt Moms Bewegungen zu folgen, uns ausfindig zu machen und die Wohnung zu stürmen - wie sie es schon einmal getan hatten -, nahmen sie sie schlicht und einfach fest. 

Um sie dann wieder freizulassen. 

Macht das Sinn?

Nun, nach dem, was sie mir erklärte, als sie wieder zu uns stieß, schon.

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now