Kapitel Dreizehn, Maven

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Da die meisten der Leute auch noch ein Privatleben hatten und Mavens Wohnung wenig Platz bot, probten die Rebellen nur in kleinen Gruppen. Dennoch kamen sie gut voran; wahrscheinlich lag das daran, dass einige von ihnen Profitänzer gewesen waren, bevor das Verbot eingeführt worden war. Maven war völlig euphorisch über die schnellen Fortschritte und sah die Revolution schon mit dem Tempo eines Hoverzugs nahen. Doch an einem Abend, der geplante Tag war nur noch zwei Wochen entfernt, hämmerte es plötzlich an der Tür.

Nicht alle der Rebellen waren an diesem Abend bei ihm zu Hause, nur Alecia, Freya, Julica, C und DJ, ein Mann um die vierzig. Und natürlich er, Maven. Alecia, Freya und Julica arbeiteten an einem neuen Song, den DJ, der sich mit Technik auskannte, später aufzeichnen wollte. Und C war inzwischen ohnehin beinahe bei ihnen eingezogen. Maven fragte sich, was er machte, wenn er nicht bei ihnen war. Wenn er noch zur Schule ging, dann schwänzte er nämlich ziemlich oft.

Die drei Mädchen hatten gerade die zweite Strophe des Lieds überarbeitet, als das Klopfen an der Tür alle erschreckte.

„Ich gehe", sagte Maven und stand auf. „Das ist sicher Elwin oder so."

Alecia hielt ihn am Arm fest, was ihr von ihrer sitzenden Position aus mehr schlecht als recht gelang. „Warum sollte Elwin um zehn Uhr abends hier auftauchen? Sei nicht unvorsichtig."

Maven konnte nur die Augen verdrehen. Sie schon wieder mit ihrer Paranoia. „Die Diskussion haben wir bis jetzt zwei Mal geführt, und beide Male war es Elwin. Kann ja sein, dass in deinen Büchern solche Sachen passieren, aber hier garantiert –„

Er brach ab, denn in diesem Augenblick kam eine laute Stimme von draußen: „Macht uns auf oder wir kommen rein! Widerstand ist zwecklos!"

„Los!", zischte Alecia und zeigte auf das Fenster. „Alle raus. Und seid leise."

„Wir befinden uns im vierten Stock." Julicas Augen waren groß vor Angst.

„Es gibt eine alte Feuerleiter", erklärte Alecia, und Maven fragte sich, woher sie das wusste. Er hatte es nämlich nicht gewusst. „Freya, du gehst zuerst."

Die alte Frau rannte zum Fenster und öffnete es. Alecia half ihr heraus. Als Freya nach unten klettern wollte, hielt sie sie jedoch zurück. „Nicht nach unten. Nach oben. Aufs Dach."

„Aufs Dach?", wiederholte Julica, die aussah als würde sie vor Angst gleich zusammenbrechen.

„Man muss ein bisschen klettern, aber man kommt hoch. DJ, geh du als nächstes und hilf Freya." Alecia war blass geworden, bemühte sich aber, ihre Angst zu verbergen. Ausnahmsweise machte es Maven nichts aus, dass sie alle herumkommandierte. Wenn das bedeutete, dass sie überlebten, dann war es ihm recht.

Die Tür wurde mit einem Krachen eingetreten und drei Wachmänner stürzten in den Raum. „Keiner bewegt sich!", schrie einer von ihnen.

Aber da rannten schon alle vier verbliebenen Rebellen gleichzeitig zum Fenster. Ein Schuss fiel, er verfehlte sie. Ein weiterer Schuss, ein Aufschrei. Maven sah aus dem Augenwinkel Blut spritzen, aber da war er schon auf der Leiter und kletterte. Es regnete, die Stufen waren rutschig, der Wind wehte ihm das Haar in die Augen. Dennoch schaffte er es bis aufs flache Dach des Hochhauses und setzte sich neben DJ und Freya. „Scheiße", flüsterte er. „Scheiße, scheiße, scheiße."

Kurz nach ihm kam Alecia aufs Dach geklettert, das Gesicht weiß wie Schnee, und Maven war so erleichtert, dass er weinen wollte. Er ertrug den Gedanken nicht, sie zu verlieren. Nicht, nachdem sie so etwas wie Freunde geworden waren.

Alecia setzte sich neben ihn, schwer atmend. «Sie haben Julica», keuchte sie. «Und C ist verletzt, aber er war hinter mir. Er sollte es schaffen.»

Es dauerte vielleicht eine halbe Minute, dann schleppte sich C aufs Dach. Er hechelte und schnappte nach Luft, kroch mehr zu ihnen als dass er lief. Blut aus einer Schusswunde über dem Knie tränkte seine neongelbe Hose.

«Scheiße, C!», entfuhr es Maven.

«Mach dir um mich keine Sorgen», stieß C gepresst hervor. «Sie haben Julica.»

Schweigen. Erdrückendes, angespanntes, atemraubendes Schweigen.

«Wir können nichts tun», sprach Alecia aus, was sie alle dachten. «Nicht, wenn wir den Rest der Gruppe nicht gefährden wollen.»

«Ist das dein Ernst?» C sah sie wütend an. «Liegt dir gar nichts an ihrem Leben? Was wäre, wenn du es wärst? Würdest du nicht wollen, dass wir dich retten?»

Alecia schwieg. Sie wich seinem Blick aus, sah auf den Boden.

«Wir haben keine Zeit für solche Diskussionen.» Freya stand auf. «Wir müssen erst einmal unser eigenes Leben retten, dann schauen wir weiter. Los.»

Die Gruppe folgte ihr zum anderen Ende des Dachs, wobei DJ C stützte. Freya zeigte auf einen Balkon unter ihnen. Er musste zu Mavens Wohnung gehören, aber dieser konnte sich nicht daran erinnern, dass er existierte. Jedenfalls hatte er ihn seit seinem Einzug bestimmt nie betreten.

«Springen?», fragte Alecia, und als Freya nickte, war sie die erste, die an den Rand des Dachs trat, sich hinsetzte und vorsichtig sprang. Maven war der nächste, dann folgte DJ, der C auffing, und zum Schluss Freya.

«Ist das nicht viel zu riskant?», flüsterte Maven.

«Damit rechnen die doch nicht. Aber wir sollten nicht zu lange hier bleiben. Direkt unter uns ist noch ein Balkon, der führt zu meiner Wohnung. Ich habe ihn vor zwei Jahren mal ausbauen lassen, er ist genug breit, dass wir ihn erwischen, wenn wir springen. Ich kann euch in meiner Wohnung verstecken. Ich bin eine unschuldige Rentnerin, mich wird niemand verdächtigen.» Freya lächelte ein wenig.

Die Minuten, die verstrichen, bis alle von ihnen über das Geländer geklettert und gesprungen waren. Überraschenderweise schafften sie es, ohne dass jemand abstürzte. C stöhnte jedoch vor Schmerz, als sie sich in Freyas Wohnung schleppten und sich dort einfach auf den Boden fallen ließen, völlig durchnässt und keuchend.

«Scheiße», flüsterte Maven wieder. «Scheiße, worauf habe ich mich da eingelassen?»

«Gute Frage», keuchte Alecia neben ihm. «Julica ist wahrscheinlich tot, C stirbt, wenn wir ihm nicht helfen, und du hast deine Wohnung nicht mehr. Und ich bin an allem schuld.»

«Hör damit auf. C wird überleben. Und meine Wohnung ... nun muss ich sie wenigstens nicht mehr aufräumen.» Maven zwang sich zu einem Grinsen, merkte aber im selben Moment, dass das nicht der richtige Zeitpunkt für Witze war. 

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now