Kapitel 16 - Wunschdenken

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Marissa Stafford sah verwundert zu, wie die Nichte des Gastgebers sich ihren Weg durch die in Gespräche vertieften Grüppchen bahnte, um zu ihr zu gelangen. Normalerweise hätte sie sich längst selber auf den Weg zu ihr gemacht, doch Bonnie schien in ein Gespräch verstrickt gewesen zu sein, das Marissa nicht stören hatte wollen. Mit jedem Aufeinandertreffen zwischen Henry und Bonnie wuchsen ihre Hoffnungen in eine Verbindung der beiden und ihr daraus entstehendes Glück, ganz zu schweigen von den Vorteilen die Marissa selbst daraus erhalten würde.

"Ist etwas geschehen?", hakte sie daher aufgeregt nach, als ihre Freundin sie erreicht hatte und drückte ihr fürsorglich ein Glas Wein in die Hand, da sie etwas erhitzt wirkte.

Mit einer beiläufigen Geste winkte Bonnie ab. "Nicht doch, ich muss dich nur sprechen. Ich hoffe ich trete dir damit nicht zu nahe, aber ich habe gemerkt, dass Mr. Northwood und du noch gar keine Gelegenheit hattet allein zu sein seit seiner Rückkehr. Wenn es dir nichts ausmacht, dann hätte ich eine Idee wie wir das ändern können."

Marissa musterte die junge Frau in dem nachtblauen Abendkleid, als würde sie diese zum ersten Mal sehen. Sie hatte sich von Beginn ihrer Bekanntschaft an große Hoffnungen bezüglich Bonnies Hilfsbereitschaft gemacht, doch dieses proaktive Angebot übertraf sie alle.

Mit einem breiten Lächeln führte sie Bonnie etwas abseits, damit man sie nicht belauschen oder beobachten würde. Obgleich sie verstand, dass Mr. Northwood seinen Gast aus Verantwortungsgefühl kaum aus den Augen ließ, mochte sie es nicht, wenn man sie in ihre Schranken wies und dies hatte er seit seiner Rückkehr aus London in Hinsicht auf Bonnie Reading bereits einige Male getan.
Mit einem gewissen Unwillen hatte Marissa außerdem feststellen müssen, dass er weder am Abend seiner Ankunft in Maplehill, noch am Tag danach auf ihrer Türschwelle gestanden hatte. Doch sie redete sich, bestärkt von Mrs. Stafford, ein, dass Mr. Northwood bloß seiner Vernunft folgte, anstatt sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen, was einem erwachsenen Mann durchaus gut stand. Außerdem hatten sie noch alle Zeit der Welt, um sich zu sehen und die Gesellschaft wollte nun einmal unterhalten werden, was niemand besser verstand als Marissa selbst.

"Ich bin ganz Ohr."

Bonnie lächelte ein wenig verlegen, während sie ihrer Freundin den Plan ausbreitete, der im Grunde sehr simpel war. Solange die richtigen Worte zur richtigen Zeit fallen würden, sollte alles reibungslos über die Bühne gehen, da war sie sich sicher. Es fiel ihr leicht, Miss Stafford von ihrem Plan zu überzeugen und die beiden machten sich ohne Umwege auf die Suche nach Mr. Northwood, den sie schließlich in Gesellschaft von Mrs. Roberts und Evelyn vorfanden.

Als er ihre Anwesenheit bemerkte, brach das Gespräch der drei jedoch ab und er schenkte den beiden jungen Frauen ein freundliches Lächeln.

"Ich würde mich gerne auch bei Ihnen für die Einladung bedanken", sagte Miss Roberts fröhlich an die Nichte des Gastgebers gewandt, während Marissa die Anwesenheit der Schneiderstochter kaum zur Kenntnis nahm. Obwohl Bonnie sich an die Worte von Mr. Northwood gestern Abend erinnerte, konnte sie nur schwer glauben, dass keine bösen Absichten dahintersteckten. Sie schluckte die aufkommende Verstimmung über Marissas fehlende Höflichkeit jedoch herunter, da sie sich auf den Plan konzentrieren mussten.

"Sprechen Sie nicht mehr davon, es freut mich, dass Sie und ihre Familie kommen konnten. Außerdem gebürt allein Mr. Northwood und Bridgit Dank, da sie den Abend vorbereitet haben."

Marissa wandte sich wie besprochen direkt an den Gastgeber, als sie nach einem kleinen Seufzer ebenfalls zustimmte. "Ein wirklich schöner Abend, Mr. Northwood. Wenn es nur nicht so warm wäre ..."

Bonnie nickte stumm.

"Diese Hitze bringt einen schier um. Womöglich sollte ich für einen Moment hinaus an die frische Luft treten, auch wenn es unhöflich ist einfach zu verschwinden", sinnierte Miss Stafford weiter und beeindruckte ihre Freundin mit ungeahnten schauspielerischen Fähigkeiten. Niemals hätte sie geahnt, dass Marissas Monolog einem ganz bestimmten Ziel diente, wenn sie nicht vorhin darüber gesprochen hätten.

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