Kapitel 7 - Das perfekte Paar

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Bonnie war überrascht davon wie sehr sie die Gesellschaft ihrer neuen Bekannten auf Stafford Hall genoss. Noch bevor die Mehlspeisen aufgegessen waren, hatte sie die anfängliche Scheu vor ihnen zur Gänze überwunden und unterhielt sich nun angeregt mit Mrs. Elroy über das neue Kleid, das Mrs. Roberts ihr nähte.
Mr. Elroy hatte sich vor einer guten halben Stunde seinen breitgekrempten Hut ins Gesicht geschoben und war eingedöst, aber im Gegensatz zu seiner Frau vermisste man ihn auch nicht recht am Tisch.
Obwohl sie durchaus wusste, dass es noch viel kuriosere Paare gab, die sich blendend verstanden, konnte Bonnie nicht anders, als sich heimlich über die Verbindung der beiden zu wundern. Mrs. Elroy war eine wunderbare Gesprächspartnerin, elegant gekleidet und wurde niemals laut. Mister Elroy hingegen schien ein wenig ungehobelt zu sein und hatte auch seit Bonnies Ankunft nichts Bedeutsameres zu der Konversation beigetragen, als eine kleine Bemerkung über die Temperaturen. Doch womöglich lagen seine Qualitäten woanders.

"Natürlich hat er Qualitäten, Bonnie, sieh mal. Sie ist wunderschön, angenehm und jung - er ist reich, einfältig und wird sie zu einer jungen Witwe machen. Sie sind das perfekte Paar", behauptete Marissa, als Bonnie ihr diese Gedanken leise mitteilte, sobald sie außer Hörweite der Gesellschaft waren.

Bonnie ahnte, dass sich ihre Anforderungen an die Ehe in einigen Punkten von Miss Staffords unterschieden. Sie war zwar nicht vollkommen davon überzeugt, allein aus Liebe heiraten zu können, aber sie wollte ihren Partner dennoch wertschätzen. Unwillkürlich musste sie an Mr. Northwood denken. Hatte Marissa ihn nach den gleichen Kriterien wie Mr. Elroy ausgesucht?

"Aber ich verstehe was du meinst, die Unterschiede zwischen den beiden sind enorm. Bis zu diesem Tage bin ich manchmal noch darüber erstaunt, dass ich die beiden tatsächlich zueinander führen konnte."

"Du hast ... sie verkuppelt?", fragte Bonnie nach und erhielt ein stolzes Lächeln von ihrer neuen Freundin.

"Diese Aufgabe hat mir den letzten Sommer sehr verkürzt", sagte sie gut gelaunt und griff sich den Arm ihrer Gesprächspartnerin. "Aber nun ist sie verheiratet und ich muss mir wohl oder übel ein neues Opfer suchen. Fürchte dich, denn mir und meinen Plänen entkommt man nicht so leicht."

Bonnie, der es tatsächlich etwas unwohl zumute wurde, versuchte ein unbeschwertes Lächeln zustande zu bringen.

"Entschuldige, das sollte ein Scherz sein. Womöglich ein schlechter", fügte Marissa hinzu, da sie die Grimasse ihrer Freundin durchschaut hatte. Die letzten Worte hatte sie wahrhaftig nicht ernst gemeint; alles davor jedoch durchaus. Es gab nichts Spannenderes für sie als das Spiel mit den Gefühlen anderer Menschen, auch wenn dabei ab und an etwas anders verlief, als sie es sich ausgemalt hatte. Marissas Gewissen blieb jedoch rein, da sie sich selbst längst davon überzeugt hatte, dass es ihr nur darum ging, ihre Freundinnen gut unterzubringen und ihnen ein angenehmes Leben zu schenken. Die Sache mit Mr. Northwood war da schon ein wenig komplizierter. Sie hatte sich so erfolgreich eingeredet, Gefühle für den Nachbarn zu haben, dass sie sich selbst gar nicht mehr sicher war, ob dem so war oder ob sie ihn aus rein praktischen Gründen für sich ausgewählt hatte.

"Ich weiß, tut mir leid. Es ist nur so ... ich bin nicht in Maplehill, um zu heiraten. Bitte versprich mir, mich nicht in eine solche Situation wie Mrs. Elroy zu bringen."

Bonnies inständige Bitte kam Marissa recht ungelegen, da sie sich bereits darauf eingestellt hatte, genau das zu tun. Der neuen Freundschaft wegen stimmte sie jedoch nachdrücklich zu.

***

Obwohl Marissa Stafford ihrer neuen Bekanntschaft ein Versprechen gegeben hatte, konnte sie sich doch nicht davon abhalten, sich mit Mrs. Herman über Miss Reading zu besprechen. Wenn es einen Menschen in Maplehill gab, der ihren liebsten Zeitvertreib teilte, dann war es die alte Dame, die ihr auch schon in der Sache Faye Elroy behilflich gewesen war.
Kaum, dass Bonnie den Heimweg angetreten und die Teegesellschaft sich aufzulösen begonnen hatte, schnappte sie sich die ältere Frau und bat sie noch einen Moment zu bleiben, um sie auf einem Spaziergang durch den Garten zu begleiten.

"Ich sehe doch wie sie Miss Reading den ganzen Nachmittag über angesehen haben", meinte Mrs. Herman nach einer Weile friedlichen Dahinschlenderns und warf Marissa einen wissenden Blick zu.

Diese begann zu grinsen. "Oh, gut. Dann ist Ihnen bestimmt aufgefallen, wen ich noch so angesehen habe."

Ihre ältere Begleiterin dachte kurz nach, kam offenbar jedoch nicht auf die richtige Antwort.


"Meinen Bruder!", rief Marissa aus, als sie nicht länger warten wollte.

"Ihren Bruder", wiederholte Mrs. Herman erstaunt. "Sind Sie sich sicher? Nun, er hat sich zweifelslos gut mit Miss Reading verstanden, aber ..."

"Nichts aber. Ich habe genug von seinen flüchtigen Bekannten, die ich nicht einmal treffen darf. Ich möchte ihn mit einer meiner Freundinnen sehen, damit er einen guten Grund hat mich zu besuchen und mir auch nicht mehr andauernd skandalöse Geschichten über ihn zu Ohren kommen. Das Herz meines Vaters macht das nicht mehr lange mit."

Das faltige Gesicht, in das Marissa sah, verzog sich skeptisch. "Ich möchte Ihnen das nicht ausreden, womöglich erreichen Sie damit tatsächlich etwas. Miss Reading ist eine hübsche junge Frau mit Vermögen und ihr Bruder ist gerade im richtigen Alter, um sich niederzulassen. Ihre Familien wären bestimmt glücklich. Dennoch ...", sie hielt kurz inne und suchte eine mildere Formulierung, als die auf der Hand liegende, "Ich fürchte nur, dass ihr Bruder den Skandal diesmal nach Maplehill bringen könnte. Ein unglücklicher Verlauf der Dinge wäre keineswegs günstig, weder für Henry noch für Miss Reading. Sie wissen bestimmt über ihre Geschichte Bescheid."

Marissa, die zuerst vorgehabt hatte, Mrs. Herman freundlichst zu erklären, dass nur sie selbst Zweifel am Charakter ihres Bruders äußern durfte, horchte plötzlich auf.

"Ihre Geschichte? Ich nahm an, sie sei bloß hier, um eine kleine Auszeit von der Stadt zu nehmen."

Überzeugt schüttelte Mrs. Herman den Kopf. "Nein, da steckt mehr dahinter. Ich bin mir nun gar nicht mehr sicher, ob ich Ihnen davon erzählen sollte, wenn Mr. Northwood nicht ... aber ich nehme an, lange kann es nicht mehr dauern, dass ... es wird schon in Ordnung gehen, nicht wahr?"

Eifrig nickte Miss Stafford, da es ihr nicht weniger wichtig sein hätte können, ob die Informationen für ihre Ohren bestimmt waren oder nicht. Ihre Neugierde würde sie auffressen, wenn sie nicht gleich Antworten erhielt.

"Es gab einen jungen Mann in der Stadt, der ihr Versprechungen gemacht hat. Um genau zu sein hat Miss Reading, als alles herauskam, behauptet, dass sie heimlich verlobt waren. Das kann man nun glauben oder nicht, aber auf alle Fälle war es ein schrecklicher Skandal, der ihre ganze Familie getroffen hat. Aber lassen Sie mich am besten von vorne anfangen ..."


DorfgeflüsterWhere stories live. Discover now