Kapitel 3 - Kaitlin

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Jetzt waren schon fünf Monate vergangen, als ich mich die Brücke hinunter stürzte.

Zu meinem Pech hatte mich eine Familie, die dort wandern war, springen sehen. Ich dachte, ich hätte es geschafft dieser Hölle zu entfliehen. Jetzt lebte ich schon fünf Monate in dieser Klinik und wurde rund um die Uhr bewacht. Sie wollten mich nicht nach Hause gehen lassen, denn sie sagten ich wäre nicht in so guter Fassung. Sie mochten ja vielleicht Recht haben, jedoch konnten sie das Warum nicht verstehen. Sie konnten nicht verstehen warum ich so war, wie ich eben war.

Aber dieses Wochenende war es endlich soweit. Dieses Wochenende würde mich jemand abholen. Wen wollte mein behandelnder Arzt mir nicht verraten.

Die Krankenzimmertür ging auf und Krankenschwester Sally betrat mein Zimmer.

"Kaitlin? Wie geht's dir heute?", fragte sie mich liebevoll. Krankenschwester Sally war die Einzige, die mich normal behandelte. So als wäre ich ein normales Mädchen, nicht eins was sich umbringen wollte. Nicht so wie alle anderen Angestellten hier in der Klinik.

Meine Freunde hatten sich ein paar Mal blicken lassen, aber es herrschte immer eine komische Stimmung, sodass sie wieder nach ein paar Minuten verschwanden. Wir hatten uns nichts zu sagen und sie konnten mir nicht in die Augen sehen. Meine beste Freundin ließ sich am Anfang alle zwei Tage blicken und beteuerte immer wieder, dass sie für mich hätte da sein müssen. Mich nicht hätte alleine lassen sollen. Und dass sie mich vermissen würde.

Ich glaubte aber, sie meinte es nicht so, denn wäre sie eine echte Freundin, wäre sie in der schweren Zeit für mich da gewesen. Eine echte Freundin hätte es nicht soweit kommen lassen.

Also bestrafte ich sie immer mit Schweigen. Auch wenn sie mit mir redete. Irgendwann hatte sie es, wie meine anderen Freunde, aufgegeben mich zu besuchen. Sie sind wirklich wahre Freunde..

Es gibt dieses altes Sprichwort 'Erst in schweren Zeiten erfährst du, wer deine wahren Freunde sind.'.

Vor dem Tod meiner Familie, hatte ich dem Sprichwort nie viel Glauben geschenkt. Ich hatte wirklich daran geglaubt, dass sie meine wahren Freunde sind. Jedoch hatte ich mich mächtig in ihnen getäuscht.

"Kaitlin?", riss mich die sanfte Stimme von Krankenschwester Sally aus meinen Gedanken. Oh ja.. Ich hatte ja Besuch. "Mhm.. Entschuldigung.. Mir geht's gut.", erwiderte ich leise.

Körperlich ging es mir gut. Meine Seele war nach wie vor zerrissen.

Sie nickte und erklärte mir, dass ich am Freitagnachmittag umziehen werde.

Da heute Mittwoch war, sollte ich heute mit ihr in mein Haus fahren, um das Nötigste zu packen. Danach würde mein Haus versteigert werden. Also würde ich nie mehr hierhin zurück kehren. Irgendwie freute ich mich etwas, dass ich von hier weg zog.

Weg von dem Ort, mit dem ich Schmerzen verband.

Weg von all den falschen Freunden.

Einfach weg von allem.

Einen Neuanfang starten.

***

"Willst du dich wirklich von diesem Fotoalbum trennen?", wurde ich von Krankenschwester Sally gefragt. Ich nickte.

Ohne Erinnerungsfotos würde mir das Vergessen einfacher fallen.

So flogen alle Fotos, Bilder, alles was ich mit meinem früheren Leben verbinde, in den Mülleimer.

"Sicher? Ich mein ja nur.. Nach ein paar Jahren oder so, wirst du dich dafür hassen.. Ich möchte doch nicht, dass du es nachher bereust..", erklärte sie.

Ich hasste mich doch sowieso schon. Es würde nicht viel ändern.

"Nein. Schmeiß es weg.", antwortete ich knapp.

Ich möchte nicht immer, wenn ich dieses selbst gebasteltes Album sehe, in Tränen ausbrechen und daran erinnert werden, dass ich Schuld am Tod meiner Familie war. Es war zwar nicht direkt meine Schuld, aber wäre ich nicht gewesen, wären sie noch am Leben.

Nein. Mein Psycholog redete mir stundenlang ein, dass ich nicht negativ denken durfte. Immer positiv denken, ermahnte ich mich selbst. Aber es wollte einfach nicht funktionieren und die negativen Gedanken wollten nicht verschwinden. Krankenschwester Sally war mir wirklich eine große Hilfe gewesen in letzter Zeit. Sie war da, als ich durch Albträume erwachte, als ich schlecht gelaunt war, als es mir gut ging, die wenigen Momente als ich lachte...

Sie war immer für mich da.

Deshalb half sie mir auch meine Sachen zu packen.

"Wohin werde ich denn nun verfrachtet?", wollte ich wissen. "Katie... Ich darf dir das nicht sagen. Es tut mir Leid. Aber wo wir schon dabei sind, hier ist ein wichtiger Brief für dich. Mach ihn auf wenn du bereit dazu bist." Dann reichte sie mir einen Brief und ich nahm ihn verwirrt entgegen. Da kein Absender darauf stand, wunderte ich mich wer mir wohl etwas schicken würde.

Am Liebsten möchte ich ihn sofort aufreißen, aber irgendetwas in mir verriet mir, dass ich noch warten sollte. Daraufhin steckte ich ihn in meine Handtasche. Ich werde ihn nachher in der Klinik lesen.

**

Jetzt starrte ich schon seit einer guten Stunde auf den Briefumschlag. Ich hatte es einfach nicht geschafft ihn aufzumachen. Kaitlin stand in einer wunderschönen Schrift auf dem Umschlag. Ganz klar wurde die Adresse und der Name von einer Frau geschrieben. Männer hatten eher eine kraklige Schrift. Die Minuten verstrichen und ich schaffte es noch immer nicht den Brief zu öffnen. Was war wenn er mich zerstörte? Wenn es etwas schlechtes war? Etwas das ich nicht verkraften konnte?

'Mach ihn auf wenn du bereit bist.', hallten die Worte von Krankenschwester Sally in meinem Kopf wieder.

Also legte ich ihn wieder in meinen Nachttischschrank und verschloss diesen.

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