13- Vom Fliegen und Fallen

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Ihre Gedanken nahmen an Schwärze ab, als sie endlich die Umrisse ihres Mehrparteienhauses und dessen Einfahrt erkannte. Sie hatte eine weitere holperige Fahrt überstanden. Stolz machte sich in ihr breit. Sie bereitete dem Laufen des Motors ein Ende und kramte in ihrer Tasche, als ihr ein leuchtender Gegenstand in die Hände fiel.

Caro: "Fahr vorsichtig und schreib mir bitte, sobald du angekommen bist. Schlaf nachher schön"

Doch bevor Isabelle jegliche Anstalten machte, eine Nachricht zu verschicken, begab sie sich schnellstens in ihre Wohnung, um nicht länger zu frösteln. Der Winter war eben nicht gerade dafür bekannt, Wärme zu verbreiten. Dort angekommen, ersetzte sie ihre enganliegende Röhrenjeans durch eine weiche Jogginghose und schlüpfte in eine kuschelige Sweatjacke. Da auch das noch nicht ausreichte, um ihre eisigen Gliedmaßen genügend zu erhitzen, setzte sie sich kurzerhand auf den flauschigen Teppich vor ihrem Kamin. Langsam fuhr ihre Zunge über ihren Mund, woraufhin sie einen Geschmack bestehend aus Caros Lippen und dem Rotwein, den diese ihr angeboten hatte, vernahm. Die Mischung hätte nicht besser sein und nicht mehr Sehnsucht in ihr hervorrufen können, doch sie wollte sich die vergangenen, schönen Stunden nicht durch ein altbekanntes "Was wäre gewesen, wenn..." selbst zerstören. So ließ sie sich nach hinten fallen und landete mit einem sanften Aufprall auf dem Rücken. Ihr Blick haftete regungslos an der Decke. Ihr Herz war gleichzeitig so voll, ebenso wie unfassbar leer, sodass sie ihren momentanen Zustand nur schwerlich einordnen konnte. Um ihrem Kopf einmal eine kurze Verschnaufpause zu gönnen, holte sie ihr Handy hervor und begann, einige Sätze in dieses einzutippen.

Isabelle: "Bin vorschriftsgemäß gefahren und aufgrund dessen vorzüglich angekommen, Milady. ;-) Es war wieder einmal sehr schön mit dir, wäre gerne noch die Nacht über geblieben. Unwichtig, wie eng alles gegen Ende wurde. Gib dir nicht die Schuld dafür. Und auch, wenn ich kein Freund kitschiger Worte bin... Ich vermisse dich. Sehr. Schlaf gut."

Mit dem einen oder anderen Schmetterling, der sich während des Schreibens in ihrem Magen bemerkbar gemacht hatte, war auch der Mut zur Romantik entfacht worden. Normalerweise blieb dieser in ihr meist eher unentdeckt, doch seit sie Caro kannte, bemühte sie sich mehr als je zuvor, ihrer eingerosteten und verkrampften Art Emotionen betreffend entgegenzuwirken. Dieses Mädchen lag ihr vermutlich weitaus mehr am Herzen, als sie annahm. Isabelle stützte sich auf dem Boden ab, um so an Gleichgewicht zu gewinnen und kurz darauf aufzustehen. Ihr war nach einem Tee zumute. So begab sie sich schleunigst in ihre Küche, betätigte den schmalen Wandschalter des Raumes und erhellte diesen so durch ein gedimmtes Aufleuchten der Lampe, welche ihn von der Zimmerdecke aus in ein warmes, entspanntes Licht tauchte. Die Schatten der nächtlichen Schwärze konnten ihr in ihren eigenen vier Wänden nichts anhaben. Sie holte ihren Wasserkocher aus einer der vereinzelten Schubladen hervor und begann, diesen mit Flüssigkeit zu füllen. Das gewohnte Rauschen des arbeitenden Geräts stimmte sie ruhig und sie streckte sich, um die Klappe des obersten Wandschrankes zu erreichen, der Teebeutel mit den diversesten Geschmackssorten enthielt. Dieses Getränk stellte immerhin ihr Lebenselixier dar. An kalten Tagen diente es zur Aufwärmung und zur Unterstützung einer gemütlichen Atmosphäre, gerne auch in Kombination mit einem guten Buch. An warmen Tagen konnte man es auch kalt genießen und sich so an dem einen oder anderen Sommertag erfrischen. Das Abnehmen des Geräuschpegels und das Aufleuchten eines roten Lämpchens signalisierten ihr, dass das Wasser bereit war und so griff sie aus einer Glasvitrine nach ihrer Lieblingstasse, um es dort hineinzugießen. Sobald die Schnur ihres gewählten Teebeutels über den Tassenrand ragte, machte sie sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Das jedoch nicht ohne Probleme und leicht wankend, da sie sich wohl ein wenig zu großzügig eingeschüttet hatte. Bei ihrem Sofa angekommen nahm sie für wenige Sekunden Platz, um kurz darauf wieder aufzuspringen. Sie hatte den Zucker vergessen. Normalerweise war dieser nicht von Nöten, doch bei besonders herben Sorten kam er oftmals zum Einsatz. Bepackt mit dem Süßungsmittel setzte sie sich schwungvoll auf ihre Couch und machte es sich mit einer flauschigen Decke gemütlich. Die gleichmäßige Stille, die sie umgab und den Raum gänzlich füllte, ließ dennoch genügend Platz für die Gedanken, die sie während der Fahrt begleitet hatten. Sie kehrten erneut zurück und schienen in ihrer Präsenz nicht nachlassen zu wollen. Er war noch so jung gewesen, so unschuldig... Mit ihrem besten Freund hatte sie damals so einiges erlebt. Er war nie auf eine intimere Beziehung aus gewesen, alles war rein platonisch zwischen ihnen verlaufen. Und trotzdem so unsagbar nah und persönlich. Jan war einer dieser Menschen gewesen, von dem sie mit voller Garantie wusste, dass er nie von ihrer Seite gewichen wäre. Sie hätte nicht bloß ihre Hand, sondern ihr gesamtes Leben für ihn ins Feuer gehalten und wusste, dass er es ihr gleich getan hätte. Der Moment, in dem ihr bewusst geworden war, dass sie sein Antlitz nie wieder zu Gesicht bekommen würde, hatte sie wie ein gewaltiger Schlag getroffen. Jahrelange, mal präsente und mal eher unscheinbare Wellen der Depression waren die Folge. Doch egal, in welcher Form sie auftraten - sie waren stets da. Aus diesem Loch hatte sie sich ebenso gekämpft. Auch wenn das eine Aufgabe gewesen war, von der sie zuvor angenommen hatte, sie niemals meistern zu können. Doch auch das hatte sie geschafft und so nach und nach zunehmend an Stärke gewonnen. Doch unwichtig wie viele Tage, Monate, Jahre vergangen waren, nichts hatte ihre Wunde bislang vollständig verheilen lassen. Menschen kamen und gingen. Doch die einzig Wahren, die gingen meist zu früh.

Das Geräusch der Umdrehung eines Schlüssels im Türschloss und des Herunterdrückens der Klinke riss sie abrupt aus ihren Gedanken und versetzte ihr einen Schock.

"Bin zuhause!", ertönte eine raue Männerstimme aus Richtung der Garderobe.

"Das freut mich! Wie war dein Tag?"

"Stressig, mein Chef ist so ein unfassbares... na ja, du kennst ihn. Also alles beim Alten."

Isabelle begab sich auf ihre Füße und stand kurzerhand vor einem Mann ihren Alters, der sie mit einer herzlichen Umarmung begrüßte.

"Und bei dir?"

"Och, ich habe heute nur ein wenig Schulkram erledigt, nichts Besonderes. Alte Unterlagen endlich einmal sortiert, geordnet und abgeheftet. Wurde wirklich mal Zeit, aber man kommt ja auch sonst nicht dazu."

Das wichtigste Detail ihres Tages verschwieg sie ihm gekonnt. Schließlich besaß sie auch keine andere Wahl.

"Du, ich gehe schlafen, bin völlig erschöpft. Kommst du mit oder willst du noch ein wenig auf dem Sofa entspannen?"

"Ich bleibe noch kurz hier, aber schlaf schön", gab die Blondine nachdenklich zurück und verfolgte seine Bewegungen, bis er schlussendlich im dunklen Wohnungsflur verschwand. Wieso war alles bloß so kompliziert.

Try not to fall (TeacherxStudent)Where stories live. Discover now