Damals: Aufwachsen

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Zu meinem 6. Geburtstag habe ich einen Ball geschenkt bekommen, damit mein Dad mit mir Fußball spielen konnte. Was für ein Zufall. Ich hab ihn schnell ausgepackt und wir sind zügig raus, um damit zu spielen. Meine Mum hat das alles auf Video aufgenommen. Ich wurde von Mal zu Mal besser. Ich hab so hart geschossen, dass der Ball genau auf den Hof der Nachbarn flog. „Wow, Schatz. Deine Tochter haut ja richtig einen raus hier", sagte meine Mutter, als einen kurzen Moment später, die Nachbarin herausgestürmt kam. „Geht's euch gut? Ihr seid wohl nicht ganz bei euch, den Ball hier rüber zuschießen. Glaubt ihr, nur weil ihr stinkreich seid, könnt ihr euch hier alles erlauben? Ne ne. So haben wir nicht gewettet." Ich ging zu ihr hin und quietschte leise: „Tut mir leid, passiert nie wieder." Sie schrie mich direkt weiter an. „Darauf kannst du Gift nehmen, dass das nicht wieder passieren wird." Sie nahm den Ball und versuchte ihn mit ihrem Schlüssel zu zerstören. Mein Dad hatte genug. Er kam auf sie zu und fing so an zu brüllen, dass man es wahrscheinlich im Weltraum hören konnte. „Eh hallo? Hören Sie mal bitte auf damit? Das ist das erste Mal, dass so etwas passiert ist, und sie lassen hier direkt den dicken Otto los? Wir können nichts dafür, dass Sie keine Kinder kriegen können, also machen Sie nicht die fertig, die welche bekommen können und mit ihnen spielen. Was ist das denn für eine scheiß Ausrede? Ich hoffe, dass Sie eines Tages die dickste Karmaschelle ihres Lebens bekommen werden. Gott, wie solche Menschen mich aufregen!" Meine Mutter rannte zu meinem Vater herüber, nahm ihn am Arm, mich an die Hand und wir gingen rein. Die Nachbarsfrau stand nur da und lachte hämisch. Sie hat das überhaupt nicht interessiert, was mein Dad gesagt hat. Als wir drin waren, fing meine Mutter an. „Was zur Hölle war das, Joseph? Okey gut, die Alte hat 'n Schuss, aber das ist noch lange kein Grund dazu, sie so anzufahren. Und dann auch noch vor unserem Kind. Du musst aufpassen, wem du wann ans Bein fickst, mein Schatz." Ich bin eingeschlafen. Also hat mein Dad mich ins Bett gebracht. Ich hab tatsächlich bis zum nächsten Tag geschlafen, also hab ich dementsprechend auch meinen Restgeburtstag verschlafen.

Meine Mum hat mich morgens geweckt, und mir erzählt, dass sie und Dad weg müssen und ich den Tag heute mit Nana verbringen werde. Nana war eine der besten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Sie hat immer viel erzählt. Es war immer ziemlich ikonisch, wie sie im Wohnzimmer so dagesessen hat, Zigarette in einer Hand, und den feinsten schottischen Whiskey in der anderen Hand. Am liebsten hab ich ihre Geschichten aus Deutschland gehört. Nana war TV-Journalistin. Sie war auch zum Beispiel dabei, als Ost-Deutschland die Grenze geöffnet hat. Sie erzählte. „Ich war an der Güst Bornholmer Straße. Es war ein Meer aus Menschen, die die Öffnung der Grenze forderten. Ich hör sie heute noch, wie sie in einer Stimme ‚Macht das Tor auf, wir kommen wieder' riefen. Es war ein magischer Moment." Stunden vergingen wie im Flug wenn Nana erzählte. Meine Eltern kamen sogar schon wieder. „Mum, Dad," rief ich. „Nana erzählt von Deutschland. Kommt." Sie erzählte so viel von der Mauerfallnacht, dass es irgendwann Abend war. Wir haben weder Mittag noch Abendessen gehabt. Nana war übrigens so verliebt in Deutschland, dass sie an jedem 3. Oktober die Nationalhymnen der DDR und BRD spielte. Manchmal hat sie mir auch die alte DDR Hymne als Schlaflied vorgesungen.

Amber: Damals. Heute. Für immer.Onde histórias criam vida. Descubra agora