Kapitel 40 ~ Don't get too close, it's dark inside.

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Harry!“ Schrill trug meine Stimme durch das ganze Haus. Ich begann zu schreien, hörte nicht mehr auf. Die ersten Tränen rannen aus meinen Augen, fielen auf mein weißes Kleid und hinterließen rote Tropfen. Ich weinte Blut.
Noch immer schrie ich mir die Seele aus dem Leib, und noch immer saß ich still auf dem Stuhl. Ich hörte Schritte hinter mir, sie wurden immer lauter. Noch weitere Schritte kamen dazu, ich meinte, sie kämen von zwei Personen. Sie traten vor mich, doch alles, was ich sehen konnte, waren ihre Augen. Zwei blaue auf meiner linken Seite und zwei braune zu meiner rechten.
„Ich habe dich gewarnt“, ertönte es von links, doch mein Blick war noch immer starr auf den leblosen Körper vor mir
gerichtet. Das einzige, das ich sehen konnte, war das schwache Bewegen seiner Brust. Die Bewegung war fast nicht zu sehen, doch es bedeutete, dass er lebte.
„Du warst so naiv“, kam es nun von rechts.
„Ich sagte, dass er lügt.“ Wieder hatten sich die blauen Augen zu Wort gemeldet.
„Und trotzdem hast du mir alles geglaubt.“ Zu wem gehörten die braunen Augen? Wem hatte ich geglaubt?
„Harry“, schluchzte ich ungewollt. Nun gehorchte mir meine Stimme auch nicht mehr.
Die blauen Augen verschwanden in der Dunkelheit, doch die braunen schauten mich noch immer an. Sie bewegten sich von mir weg, immer näher zu Harry.
„Sag auf Wiedersehen, Liebes.“
Innerlich schrie ich, rannte zu ihnen, doch ich saß noch immer ruhig auf dem Stuhl. Mein Blick heftete an Harry. Wie aus dem Nichts bäumte sich sein Körper auf, ein heiserer Schrei entfuhr seiner Kehle, bis er schließlich leblos zusammensackte.

Mein Herz zersprang in tausende Teile, von Innen schnitten mich die scharfen Kanten auf. Mein Kleid verfärbte sich rot, von der Stelle aus, an der der Riss war. Von meinem Herzen aus.
Mein Blick haftete auf den wunderschönen grünen Augen, die noch immer in meine starrten. Doch sie hatten jeglichen Glanz verloren. Noch immer weinte ich, noch immer waren meine Tränen blutrot. Das einzige Wort, das in meinem Kopf war, war
tot. Mein Engel war tot.

Und erneut begann ich mit aller Kraft zu schreien.

Mit einem heiseren Schrei fuhr ich zusammen und saß im nächsten Moment aufrecht in meinem Bett. Kleine Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet, ich fuhr mir über die Wangen und stellte erschrocken fest, dass Tränen diese herunter liefen. Ich saß keine zehn Sekunden in meinem Bett, als die Tür aufgerissen wurde. Sofort stürmte mein Bruder herein, gefolgt von Harry und Jade. Alle drei schauten mich teils besorgt, teils geschockt an.
„Oh Gott, Sarah! Ist alles in Ordnung?“, mein Bruder war der erste, der seine Stimme fand.
Noch etwas benommen nickte ich. Was hatte der Traum zu bedeuten? Oder war es nur eine von diesen Fieberfantasien gewesen? Ich hatte öfters Alpträume, wenn ich krank war, doch so skurril wie dieser, war noch keiner gewesen. Während Jade und Harry noch immer in der Tür standen, bahnte sich Jack seinen Weg zu meinem Bett. Zärtlich strich er mir die Haare aus dem Gesicht, platzierte einen sanften Kuss auf meiner Stirn. Sofort beruhigte sich meine Atmung und meine Gedanken klärten sich etwas. Es war vorbei, es war nur ein Traum gewesen. „Alptraum?“, fragte er leise, wie als hätte er Angst, ich würde zerbrechen, wenn er lauter spräche. Wieder nickte ich nur, atmete tief durch und erwiderte dann doch ein leises Ja. Seine Arme schlossen sich um mich und ich lehnte mich dankbar an seine Brust. Sanft fuhr er mir übers Haar, das hatte er schon immer gemacht, wenn ich einen Alptraum gehabt hatte. Als ich kleiner war, bin ich immer zu ihm gekommen, wenn ich schlecht geschlafen hatte, anstatt zu meinen Eltern. Nach einiger Zeit lösten wir uns wieder und auch Jade und Harry setzten sich zu uns aufs Bett. Harry legte besorgt einen Arm um mich, doch ich schenkte ihm ein Lächeln. „Es ist alles okay“, beruhigte ich ihn und schaute dann kurz zu Jade, die mein Lächeln erwiderte. „Ich hatte nur einen komischen Traum.“
„Nach einem komischen Traum hatte sich dein Schrei aber nicht gerade angehört“, bemerkte Harry. Es dauerte kurz, bis ich verstand, wovon er sprach. Ich hatte also nicht nur im Traum geschrien.
Ich zuckte leicht mit den Schultern. „Mir geht’s gut“, beharrte ich, doch sein skeptischer Blick blieb.
„Jetzt mach dir nicht zu viele Sorgen, Harry“, meldete sich zum ersten Mal Heute Jade zu Wort. Dankbar grinste ich sie an, während Harry sie beleidigt musterte. „Erst lachst du nicht über meine Witze und jetzt bist du auch noch auf ihrer Seite?“ Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. Lachend schüttelte ich meinen Kopf, als ich die zwei beobachtete.
„Sie ist meine beste Freundin, natürlich halte ich zu ihr“, erklärte Jade, woraufhin ich ihr eine Kusshand zu warf.
„Sorry, man. Gegen die zwei kommst du nicht an. Glaub mir, das hab ich oft genug versucht“, lachte Jack. Harrys beleidigte Fassade bröckelte kurz und wich einem kleinen Lächeln, doch sofort versteinerte sich seine Miene wieder. „Und ich bekomme keinen Kuss?“
„Das hatten wir heute Morgen doch schon.“ Tadelnd schüttelte ich meinen Kopf. „Ich kann dich nicht gebrauchen, wenn du krank bist“, fügte ich mit einem Grinsen hinzu.
„Wow, was habe ich gemacht, dass ihr alle gegen mich seid?“, fragte er, worauf Jade und ich gleichzeitig mit den Schultern zuckten. „Du bist süß, wenn du beleidigt bist“, grinste ich.

The day you left meWhere stories live. Discover now