„FräuleinDegenhard! Was denken Sie, wohin Sie jetzt schon gehen wollen?",rief die Hausmutter ihr noch verdutzt und im Vorbeilaufen zu.
„Alsohören Sie mal, meine Beste ... Siehaben doch gerade eben noch laut brüllend behauptet, ich sei viel zuspät!",drehte sie sich nur spöttisch und extra freundlich lächelnd zu derHausmutter um, „und selbstverständlich gehört es sich nicht, hierauch noch zu spät in den Unterricht zu kommen, also gehe ich dannjetzt und vielen Dank noch mal für die Info!", zwitscherte siesüßlich tuend und klimperte sogar noch übertrieben mit denWimpern, bevor sie sich umdrehte und nur genervt schnaubte.
Wofürhielt sich die Frau eigentlich? Den Master of the Universe, ihreMutter oder ihren verkackten Big-Boss?
Wie auch immer ... Siewürde diese generelle Mobbing-Tour hier nicht mitmachen. Sie standvon vornherein außen vor und es war gut so. Denn dann würde es ihrnächstes Jahr im November nur umso leichter fallen, dieser Schulemit einem verbalen Arschtritt (der sich gewaschen hatte) Goodbyzu sagen. Und zwar auf Nimmerwiedersehen!
Siekam eine halbe Stunde zu früh in ihre Klasse und setzte sich schonmal auf den absoluten Loser-Platz. Also gleich nach ganz vorne vordas Lehrerpult.
Doch so konnten ihre Lehrkräfte sie wenigstensnicht schon wieder den ganzen Tag lang übersehen, wenn sie sichdauerhaft meldete, aber doch nie drankam.
Und dann konnten siespäter auch nicht behaupten, sie hätten nie etwas von ihr gehört.Denn wenn es so war, dann nur, weil sie sie nicht drangenommenhatten, aber ihre Bereitschaft dazu war immerhin vorhanden.


GegenMittag waren ihre restlichen Illusionen von einer ordentlichen Schulemit ordentlichem Unterricht restlos erschöpft. In Geschichte war siesogar rausgeflogen, nur weil sie auf eine Frage des Lehrers hin undnach gefühlten hundertmal vergeblich Melden die Antwort einfachreingerufen hatte. Beim ersten Mal hatte ihr Lehrer sie nurangeknurrt, beim zweiten Mal angefaucht, was das sollte. Sie hättegefälligst zu warten, bis sie dran wäre. Beim dritten Mal war siedann aber nach dreimal vergeblichem Fragen seitens des Lehrers an dieSchüler und ihrer vergeblichen Melderei aufgestanden und hatte ihnangefaucht, warum er denn irgendjemanden fragen würde, wenn er dieAntwort doch eigentlich gar nicht wissen wollte, da er ja dieSchüler, die etwas auf dem Kasten hätten, generell und gerneübersehen würde. Den Rest der Stunde hatte sie also auf dem Flurverbracht, aber immerhin ihre Bücher dorthin mitgenommen, um schonmal ein bisschen für Chemie vorzulernen. Doch dort war es nurgenauso gewesen. Sie meldete sich, wohl als Einzige ... und wurdekomplett ignoriert. Selbst als sie später auf die Toilette musste,in Deutsch. Schließlich war sie wieder nur kopfschüttelndaufgestanden und hatte den sofort wütend auffahrenden Lehrer ebensowütend angefaucht, er hätte schlicht seinen Beruf als Lehrerverfehlt. Denn sonst würde er doch wenigstens ein Mal die neueSchülerin an dieser Schule gefragt haben, warum sie sich die ganzeZeit über meldete, selbst wenn er keine Frage zum Thema gestellthatte. Sie würde dann jetzt also unerlaubt aufs Klo gehen und dannden Rest der Stunde lieber wieder lesenderweise, mit dem Deutschbuchauf den Knien, draußen auf der Treppe verbringen, denn dadurch würdesie erheblich mehr lernen ... tja. Und genau das hatte sie dann auchgetan. Und dann anschließend in der Freistunde nachgesessen bis ebengerade und eine Abhandlung über den vergangenen Unterrichtgeschrieben. Thema: Eine Interpretation von Dantes Inferno inVerbindung mit dem tatsächlichen Glauben der katholischen Kirche.
Mann wie langweilig! Sie hatten das Buch schon vor zwei Jahren anihrer alten Schule gehabt, also schrieb sie ihre fünf Seiten voll,über alles, was ihre Professoren damals darüber gesagt hatten, dietatsächlich gute Lehrer gewesen waren und gab es dann bei demerstaunt glotzenden Herrn Meier ab, mit dem Kommentar, das wäre jawohl nur achte Klasse Niveau gewesen, nicht mehr. Der Arsch konntesie mal so was von kreuzweise ...!
Und weil sie ja nun ganzunberechenbar und abweisend und kühl sein wollte und würde, bis sieachtzehn war, saß sie nun im sonnenbeschienen Park in derMittagszeit, statt etwas in der Mensa essen zu gehen. Sie las lieberwieder in ihren Büchern über die mehr als nur bescheuertenPhysikthemen, die sie an ihrer alten Schule auch schon längstdurchgenommen hatten. Die Leute hier hatten wirklich alle einengewaltigen und geistig zurückgebliebenen Sockenschuss, aber okay.Sie musste mit denen ja tatsächlich nichts mehr weiter zu tun haben.
Kleine Erinnerung. Warum hatte ihr Onkel sie noch malausgerechnet hierher geschickt? Ts ..., weil es so spottbillig war.
Die schlechteste Schulbildung in ganz Deutschland, soweit sieerkennen konnte. Na sicher doch. Dabei waren ihre Eltern gerade erstdrei Monate tot und Dr. Peters, Papas Anwaltskollege, hatte ihr nochhoch und heilig versichert, dass wieder alles gut werden und sie ihrLeben beinahe ohne jede Änderung fortsetzen konnte. Im Internat ...Mit ihren Freunden und den guten Noten und doch viel freundlicherenZukunftsaussichten, wenn schon die Gegenwart beinahe unerträglichwar.
Klar doch! War ja nun alles bestens hier, oder? Es hattediesen beschissenen Dreckskerl am Ende auch tatsächlich ganz großgekümmert, wo sie nun hingesteckt worden war.
Scheiße, war das.Alles! Papa hätte besser daran getan sie nach Timbuktu oder nachEngland in ein Internat zu befehlen, statt ausgerechnet ihrembeschissenen Onkel die Vormundschaft zu überlassen. Der wolltenämlich einzig und alleine ihr Geld und sonst gar nichts.
Es warnur noch ihr Glück, dass das meiste Geld in einem Treuhandfondsfestlag und selbst ihr geldgeiler Onkel kam da nicht ran, auch wenner es natürlich schon versucht hatte. Er hatte also nur ihrjährliches Schulgeld zur Überweisung auf ihr Internat erhalten,eine stattliche Summe. Doch statt dann das zu tun, was er sollte,hatte ihr Onkel nur noch feist grinsend gemeint, dass er ihr diesenganzen tollen Schnickschnack nun ganz sicher nicht mehr längerbezahlen würde. Schon gar nicht, weil er mit seiner Familie diesesJahr von ihrem Schulgeld nach Amerika fliegen würde. Doch mitnehmenwollte er sie dabei ganz sicher nicht. Also hatte er gegoogelt, wo esdas billigste Internat überhaupt in Deutschland gab und sie, soschnell es ihm nur möglich war, hierher in den Schwarzwald, also ansEnde der Welt, verfrachtet. Arschloch! Und nun war sie schon seitdrei Tagen hier. Alles war schrecklich und es gab hier noch nicht maleinen Stall! - Ergo auch keine Pferde. Keine Schwimmhalle, keineKarategruppe, keine Handballmannschaften, kein Hockeyteam, keineMöglichkeiten mal irgendwie raus zu kommen, ja noch nicht mal einKino in der Nähe. Nur die verdammte, abgerissene Schule, mit denasbestverseuchten Fugen in den Wänden, die irgendjemand mitPanzerband notdürftig abgeklebt hatte. Es stank. Es war verrottet.Das Ende der Welt eben. Rahel schloss kurz die Augen, doch es warschon zu spät. Eine zornige Träne viel auf ihre Hand, während sieeinmal mehr tief durchatmete und trübsinnig auf ihre Bücherhinunter schaute. Wenn sie wenigstens noch ihre gute Swarovskiuhrgehabt hätte, eine Erinnerung an ihre Mutter, welche dieselbe inSilber besessen hatte. Gekauft vor erst zwei Jahren zu Weihnachten.Glückliche Weihnachten. Eine echt glückliche Zeit. Sie hatte damalsja gar nicht gewusst, wie glücklich sie tatsächlich noch gewesenwar. Doch ihre tolle Uhr in rosé-gold hatte sich nun ebenfalls ihreCousine geschnappt und ihr Cousin hatte sich ihr Handy genommen.Einfach alles gehörte nun den beiden. Ihre Schulsachen, dieMalsachen, die schönsten ihrer Klamotten, hach ...! Wenigstens hattesie den Beiden dafür noch ordentlich eins aufs Maul gegeben, bevorsie dann zwangsweise ins Auto geschafft und hierhergebracht wordenwar. Ihr alter Sensei wäre nun sicherlich schwer enttäuscht vonihr. Er war immer strikt dagegen gewesen, rein aus persönlichenGründen zu kämpfen und nicht nur zur Selbstverteidigung. Und ihrVater erst. Oh Gott ... Ihre Eltern fehlten ihr so sehr. Und wiederlandete eine Träne auf ihrer Hand.

Seelenverwandt, Rahel - Die Mate des Alpha # DreamAward2018 (Teil 1)Where stories live. Discover now