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Rahelerwachte im ersten grauen Nebeldunst des heraufziehendenHerbstmorgens und seufzte leise auf.
Der Wecker - ihre Armbanduhr- piepste leise vor sich hin und sie streckte müde und mit noch halbgeschlossenen Augen die Hand zu dem kahlen kleinen Tischchen hin, umsie auszuschalten.
Seltsam wie trist und trostlos ihr hier allesvorkam.
Das war früher mal ganz anders gewesen. Da hatte sie sichauf das Leben gefreut, ihre Freundinnen, die Schule, die Kurse...
Aber hier in dieser neuen, kalten Umgebung am Ende der Weltwar sie nur noch eines ... verloren.
Still blieb sie liegen, alssie, so wie gestern, das Husten, Schimpfen, Knurren, Schnaufen unddas Geraschel, Lachen und Brüllen ihrer Mitschüler auf dem Korridorvernahm, die alle zugleich ins Bad stürmten.
Still sah sie übersich an die Decke und zählte die Sekunden, die Minuten, bliebeinfach nur liegen und genoss noch ein wenig die Wärme deswenigstens guten Federbettes, wenn schon nichts anderes hier andiesem Internat irgendwie gut war.
Schon mal gar nicht dieseltsamen Schüler.

Vorgestern war sie von denen auf ganzseltsame Weise abgecheckt worden, gleich nach ihrem erstenUnterricht, in der ersten Pause.
Die schienen da irgendwie einerbehämmerten Regel zu folgen. Die Typen gingen ganz nahe an ihrvorbei, sahen sie von oben bis unten an undschnüffeltendann an ihr. Ja, sie schnüffelten, ganz so, als ob sie stinkenwürde.
Und das tat nicht nur eine Clique der hiesigen Irren so,das taten sie alle, sogar einige der Lehrer.
Dann aber wandtensie sich einfach wieder kopfschüttelnd oder Achselzuckend von ihr abund stiefelten davon.
Echt seltsam.
Doch das Bescheuerte war,dass einige der Mädchen es ganz genau so hielten und sie dabei auchnoch so biestig und böse angrinsten, als wäre sie der nächste,vorbestimmte Putzlappen, der den Boden wischen würde.
Und genaudas würde heute auch wieder im Bad so laufen, wenn sie jetzt darüber ging. Genau so würden sie sie ansehen und versuchen zumobben.
Aber es gab immer zwei, die zum Mobben gehörten, hatteihr Vater immer gesagt. Jene die Täter waren und andere, die sichals Opfer fühlten und hergaben.
Rahel hatte bei Leibe keinen Bockdarauf, hier das Opfer zu spielen und wenn die sie heute noch mal soabchecken und beleidigen würden, würde sie mal eben ihre guteErziehung vergessen und ihren schwarzen Gürtel in Karateauspacken.
Die würden sie hier ganz sicher nicht auch noch kleinmachen wie einen Fingerhut. Eh-Eh! Nicht mit ihr!
Also hatte sieihren Plan heute Morgen etwas umgestellt und würde sich nun generellunberechenbar verhalten, damit die Typen auch garantiert keinenAnsatzpunkt finden würden.
Schließlich war das hier ja auch garnicht von Dauer.
Nur ein Jahr und zwei Monate musste sie hierbleiben, für sich bleiben und lernen, dann konnte sie wiederzurückgehen. Dann würde sie achtzehn sein, erwachsen ... dannkonnte sie ihr verdammtes Erbe antreten und würde alle anderen, diesie gerade grausam im Stich gelassen hatten, so was von fertigmachen.

Grollend stand sie schließlich auf, als die halbeStunde endlich um war, und warf die Bettdecke von sich. Sie hattesich gestern schon ihre Sachen bereitgelegt und schlüpfte nunlediglich schnell hinein, schnappte sich ihre Zahnbürste und ihreHaarbürste und ging mit schnellen Schritten ins Gemeinschaftsbad derMädchen.
Da standen nur noch zwei bescheuerte Trullas vor denbreiten Spiegeln, die sich gerade ihre zwei Pfund Schminke zu Endeauf die Backen kleisterten, ihre Augen wie Gothic-Girls schwarz undbreit umrandeten und sie mal wieder böse bis verächtlichanstarrten.
Danke,ihr mich auch,dachte sie nur ebenso verächtlich und kalt blickend, was zumindestbei der einen Trulla für ein überraschtes Brauenheben sorgte.Schnell also Zähne geputzt, Wasser ins Gesicht geklatscht und Haaredurchgerissen, schon stand sie wieder in ihrem Zimmer und schnapptesich ihre Bücher und den Kugelschreiber.
Tja ... die schönencoolen Schultaschenzeiten waren wohl erst mal um, solange ihreCousine mit ihrem beinahe nagelneuen Rucksack herumdüste und Geldhatte sie ja schließlich auch keines mitbekommen, um sich vielleichtnoch einen anderen zu kaufen ... ha!
Sie stürmte noch an denletzten Nachzüglern vorbei die Treppe herunter, wich dabei geschicktzwei schnell vorgestreckten Füßen aus und zeigte denMöchtegernmobbern mal eben kurz den Stinkefinger und ein kaltesLächeln, bevor sie in die Mensa hineinging, schlicht zum Buffetvordrängelte, sich dort nur einen Apfel und eines der bereitsgefüllten Gläser Wasser schnappte und damit zu einem derhintersten, am dunkelsten gelegenen Single-Tischchen fürAusgestoßene setzte, um gleich mal klar zu stellen, dass sie siealle mal kreuzweise konnten.
Wieder erntete es dafür einigeverblüffte Blicke der Schüler und ärgerliche von der Hausmutter,die auch gleich zu ihr marschierte.
„Du bist zu spät, Mädchen!Und man stellt sich gemeinhin hinten in der Schlange an!",schimpfte sie laut genug mit ihr, dass es natürlich die meistenmitbekamen.
Pädagogik6, setzen!,dachte sie nur grimmig und biss in ihren Apfel.
„Ja, willst dudenn hier bis zu deinem Schulabschluss alleine in der Ecke sitzenbleiben? Das wirst du nämlich, wenn du dich nicht an die Regelnhältst."
„Was denn ... den Schulabschluss? Hier?Also bitte...! Bei diesem Lernniveau und diesen bekloppten Lehrernwerde ich dann höchstens noch Aushilfskellnerin und nicht wie bishermit einem Suma cum laude-Zeugnis mein Abi machen.
Oh nein ... hiermache ich das ganz sicher nicht! Mit achtzehn bin ich ganz schnellund so was von weg, das können Sie aber glauben. Und dann gehe ichwieder an eine echteSchule, mit wirklichgutausgebildeten Lehrern, die ihren Lehrauftrag als solchen auchtatsächlich verstehenund zudem sogar auch noch Ahnung von den Grundzügen der Pädagogikhaben. Sie sehen also ... Es wird wohl kaum bis zum Schulabschlusssein, dass Sie mich werden ertragen müssen, Frau Danzig. Trotzdemdanke, für den extra laut gebrüllten Hinweis ...vor derversammelten Cafeteria", gab sie nur noch extra patzig von sich.Die Frau sah, wenn überhaupt möglich, nun noch empörter aus alszuvor und wackelte kopfschüttelnd und irgendetwas Zischelndesknurrend wieder davon. Auch gut.
Sollte sie doch.
Rahel aberverspeiste derweil erst einmal ihren Apfel und trank in Rekordzeitihr Wasser aus. Es dauerte alles in allem gerade mal zwei Minuten.Nicht genug Zeit für die vielen herumlungernden Halbstarken, um sichdafür zu entscheiden, noch mal kurz zu ihrem Tisch rüber zu kommenund ihr freundlichzusammenschlagendzu erklären, wie der Hase hier so lief.
Sie hatte nicht vorselbiger zu werden, also stand sie schon wieder auf, schnappte sichihre Tasche, brachte die Apfelgrütze weg und auch das Glas an dieDurchreiche, wo sie schon wieder so merkwürdig angesehen wurde.Diesmal von den Schulschönheiten, wer auch sonst?
Früher hattesie auch einmal zu so einer Gruppe gehört. Andere Zeit, anderer Ort,ganz andere Welt.
Doch diese alte Welt war tot. So tot wie ihreEltern. Also lang lebe die Ungerechtigkeit ... bah!

Seelenverwandt, Rahel - Die Mate des Alpha # DreamAward2018 (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt