Vereinigung

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Ich hetze zum Bus, denn dieser kommt in zwei Minuten. Als ich aus der Eingangstür der High School stürme, sehe ich gerade noch, wie der Bus los fährt. Ich seufze, nachlaufen bringt's nicht, das weiß ich aus Erfahrung. Mürrisch trete ich den Heimweg an. Ich überlege, ob mich jemand abholen kann, aber meine Schwester ist bestimmt bei Jared und meine Eltern arbeiten noch.

In den folgenden fünfundvierzig Minuten habe ich genügend Zeit, mir über das Treffen Gedanken zu machen. Und es wird mir klar, dass alles schief gehen kann. Wenn ich jetzt unsere Beziehung gänzlich zerstöre, werde ich mir das nie verzeihen können. Aber andererseits ist sie doch schon am A***, ich kann also genauso gut hingehen und versuchen, zu retten, was noch zu retten ist. Wir werden wohl nie ein Paar werden, das hat mir Scotts Reaktion auf meinen ‚unabsichtlichen Liebesbrief' gezeigt, aber vielleicht kann ich Scott wenigstens als meinen besten Freund zurück erobern.

Als ich endlich in den Heathrow Court einbiege, in dem Scott wohnt, hoffe ich, dass alles gut geht und ich in Kürze meinen besten Freund wieder an meiner Seite habe. Ich klingele an seinem Haus, was von vorne eine türkise Fassade hat, aber zum See romantischerweise mit roten Backsteinen gebaut ist.

Ich muss nicht lange warten, bis Scott mir die Tür aufmacht. In der Zeit kontrolliere ich schnell, ob ich irgendwie unangenehm rieche und ob meine Haare sitzen. Die Tür öffnet sich und in der Tür steht Scott, der eigentlich ganz gut aussieht. Ich hatte irgendwie erwartet, dass man ihm seine Krankheit mehr ansieht, denn als ich Mary die gestern besucht habe, war sie aschfahl mit tiefen Augenringen.

Hey Scott." Wortlos hält Scott mir die Tür auf und ich denke an das letzte Mal, als ich hier war. Ich hatte seine Cousine fälschlicherweise für seine Freundin und deren Kind für sein Kind gehalten – hoffentlich würden mich heute nicht solche Erlebnisse erwarten.

Scott führt mich zu seinem Zimmer. Man sieht, dass er die letzten drei Tage hier verbracht haben muss. Sein Bett ist ein einziger Kissenberg; Bücher, sein Laptop, Spiele seiner Konsole, und Schokolade liegen in unmittelbarer Umgebung. Armer Scott. Irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, wenn man dank Magen-Darm praktisch ans Bett gefesselt ist. Warte –Schokolade?! Bei Magendarm.. Irgendwas stimmt hier nicht.

Mrs Blythe hat mich darüber informiert, dass du Magen-Darm hast, Scott. Wie geht es dir?" Scott guckt mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht deuten kann: „Wie, das interessiert dich? Du musst doch mitbekommen haben, dass ich seit Montag nicht in der Schule war. Aber du hattest wohl nicht den A*** in der Hose, mir mal kurz zu schreiben, und nachzufragen, ob ich krank bin. Das ist dir unsere Freundschaft anscheinend noch wert.", schreit er mir ins Gesicht.

Das hatte ich nicht erwartet. Seine Anklagen treffen mich wie Peitschenschläge ins Gesicht, und ich setze mich auf sein Bett. „Scott, ich hab das nicht mitbekommen." Ich setze zu einer Erklärung an, aber Scott unterbricht mich: „Wie? Du hast das nicht mitbekommen? Das ist ja noch besser. Da machen wir in der letzten Zeit jeden Tag etwas zusammen, und wenn ich drei Tage lang nicht in der Schule bin, bekommst du das noch nicht einmal mit?". Er wendet sich von mir ab und geht zum Balkon, der zum See hinausgeht. Er öffnet die Tür und tritt aus dem Zimmer.

Das läuft ja super. Von wegen, dass ich es nicht mehr schlimmer machen kann. Seufzend stehe ich auf und folge Scott leise auf den Balkon. Er steht dort, mit den Händen umklammert er das Geländer des Balkons, als wenn er es zerdrücken wolle. Er ist anscheinend sehr wütend und so wie er da steht, ist er einfach total attraktiv.

Mitch – konzentrier dich! Ich räuspere mich und sage leise: „Scott, ich habe das nicht mitbekommen, weil ich selbst nicht in der Schule war. Ich hatte mal wieder eine Panikattacke, bei der ich mir den Kopf angestoßen habe und deshalb hat mich meine Mutter für drei Tage ins Bett gesteckt. Heute war ich das erste Mal wieder in der Schule. Und ich hätte mich ja bei Mary über dich erkundigt, aber sie liegt selber mit Magen-Darm im Bett. Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht weh tun."

Mehrere Sekunden herrscht Stille zwischen uns und wir schauen beide stumm auf den See hinaus. Als ich mich langsam neben Scott stelle und mich auch auf dem Geländer abstütze, dreht sich Scott mit dem Kopf zu mir. Leise sagt er: „Du hast mir schon weh getan. Damit, dass du nach dem Kuss einfach aus dem Haus gestürmt bist. Ich dachte, dass sich endlich etwas zwischen uns entwickelt und du, du stürmst einfach davon."

Jetzt drehe auch ich mich zu ihm: „Aber ich dachte, dass du nichts von mir willst. Weißt du, als du meinen Brief an mich selbst gelesen hast, in dem ich zugegeben habe, dass ich mich in dich verliebt habe?" Scott nickt. „Da hast du geweint. Ich dachte, weil du so enttäuscht von mir bist, dass ich damit jetzt unsere Freundschaft zerstöre." Ich drehe den Kopf von ihm weg, und gucke wieder auf den See. Die Erinnerung ist so präsent, dass der Schmerz mir die Luft zum Atmen nimmt. Ich schließe die Augen, und versuche, ihn irgendwie zu bändigen.

Erschrocken reiße ich die Augen auf, als ich merke, dass Scott seine Hand auf meine gelegt hat. „Mitch, ich wusste nicht, dass du das so interpretiert hast. Ich war nicht krank. Ich konnte nicht in die Schule gehen, weil ich dir auf keinen Fall begegnen konnte. Dann hätte ich mich nicht mehr beherrschen können. Ich hätte dich einfach noch mal küssen müssen." Er macht eine kurze Pause, bevor er wieder anfängt, zu sprechen: „Mitch, ich.. Ich hab mich in dich verliebt."

Ich keuche auf. Er hat sich in mich verliebt. Ich gucke ihn an. Er steht mir unsicher gegenüber und lächelt mich an wie ein Vollidiot. Mein Vollidiot.

Scott, ich hab mich auch in dich verliebt." Seine Augen blitzen auf, und das wunderschöne türkis kommt zum Vorschein. Aber das ist es nicht, was in diesem Moment zählt. In diesem Moment zählen nur Scott und ich. Seine Lippen legen sich auf meine, und vor in mir bricht das Feuer aus, dass ich schon bei unserem ersten Kuss gespürt habe. Auch dieser Kuss fühlt sich an wie ein Versprechen für die Zukunft, und ich glaube daran, dass es diesmal auch wirklich ein Versprechen ist. Besiegelt vom blauen See, der schon jetzt unser See zu sein scheint.


Ein Abschlussjahr ≠ 08/15 - Sup3rfruit FanfictionWhere stories live. Discover now