Familien Meute

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Sobald ich Zuhause durch die Tür trete, stürzt die Meute bereits auf mich ein.

Meine Brüder, wie auch Ava reden alle durcheinander, wollen alles über den Besucher aus Schottland wissen. 

Wie kann es sein, dass die gesamte Londoner Elite Gesellschaft über diese Familie Bescheid weiss? So sehr, dass alle durchdrehen, wenn sich einer von ihnen hier blicken lässt.

»Verschwindet, verdammt noch Mal!«, rufe ich, als sie nicht aufhören mich zu bedrängen.

Ich renne beinahe von ihnen davon, denn der Tag heute war ohnehin schon scheisse genug, da muss ich mich jetzt nicht auch noch mit meiner nervig neugierigen Familie herumschlagen.

»Emma Louisa Sinclair, komm sofort her!«, schreit meine Mutter meinen eiligen Schritten hinterher, ebenso aufgebracht wie alle anderen in diesem Irrenhaus. Ihr geht es - im Gegensatz zu allen anderen, die nur scharf auf Info's sind - darum, mich für ungehobelte Umgangsformen zu scholten. Nicht, dass sie wissen kann, wie ich mich in der Öffentlichkeit verhalte, doch es entspricht ihrer Art, davon auszugehen, dass ich es vermasselt habe.

Doch noch bevor einer von denen mich erreicht, bin ich schon im Studierzimmer verschwunden, knalle die Tür zu und will mir  sinnbildlich die Haare raufen.

Ich laufe hinter die ersten Reihen von Bücherregalen, die im Grunde nur als Sichtsperre für das eigentlich Interessante in diesem Raum dienen.

Ich laufe auf die zwei zusammen geschobenen Tische zu, auf denen eine Unmenge an kleinen silbernen Schatullen stehen. Ich greife nach der, die ganz rechts steht, öffne sie und nehme die feine Silberkette heraus, die mir seit meinem ersten Zeitsprung gehört.

An deren Ende hängt ein Anhänger. Ein kleiner Rohedelstein, der meine Zeitsprünge kontrolliert und lenkt. Ohne den Anhänger kann ich nicht kontrollieren, wohin ich springe, noch kann ich zurück in die Gegenwart wenn ich ihn während des Sprungs und während des Aufenthalts in der Vergangenheit nicht trage.

Meine Mutter lässt mich niemals mit diesem Ding um den Hals aus dem Haus, aus Angst dass ich irgendetwas mache, was sie nicht kontrollieren kann. Sogesehen kontrolliert also nicht nur mein Amulett die Sprünge in der Zeit, sondern vor allen Dingen meine Mutter:

Jedenfalls ist das meine Version der Geschichte, sie hingegen behauptet, sie täte es um mich zu schützen. Was auch immer das bedeuten soll.

Einen Moment drehe ich den Stein zwischen meinen Fingern hin und her, dann lege ich ihn gewissenhaft um. Ich mag das feine Kribbeln, dass mir über den Körper läuft, sobald die Kette meine Haut berührt.

Die Einzige ausser mir in der Familie, die ebenfalls in der Zeit reisen kann, ist Ava, jedoch ist es ihr nicht möglich weiter als zehn Jahre zurückzuspringen. Und meine Eltern springen nicht, nicht solange ich auf der Welt bin.

Deshalb bin ich für alles verantwortlich in diesem Haus und genau deshalb flüchte ich mich oft in die Vergangenheit, da scheine ich immer meine Ruhe zu haben.

Ich ziehe ein Buch aus dem Regal, dass voll ist mit Artikeln aus den frühen 20ern. Mein absolutes Lieblingsjahrzehnt im 20. Jahrhundert.

Ich unterbreche mein wildes Blättern, als ich einen Artikel über ein Lokal finde, welches damals für grosses Aufsehen sorgte. Ich muss ein wenig lächeln, schliesse dann die Augen und konzentriere mich auf die bevorzugte Zeitspanne.

Wenn Zeitreisende ihren momentanen Standpunkt in der Zeit verlassen, um in eine andere zu reisen, verhält sich das so, als ob sich die Person in Luft auflösen würde, wortwörtlich.

Allerdings sehr langsam, zuerst sieht es wie Nebeldunst aus, dann verflüchtigt sich der Anblick, bis sich die Person vollkommen auflöst und schlussendlich verschwindet.

Für jemanden, der diese Reise tatsächlich erlebt, fühlt es sich ein wenig anders an. Als mir das im Alter von 11 Jahren zum ersten Mal passierte, hatte ich wahnsinnige Angst. Mir wurde speiübel, ich schwitze als hätte ich Fieber, meine Knie fühlten sich wie Pudding an und als es dann geschah, kribbelte es mich auf dem gesamten Körper, so stark, dass ich das Gefühl hatte, mein Körper würde jeden Augenblick explodieren. Vor allen Dingen und als erstes mein wild schlagendes Herz, dass sich auch nach dem Sprung kaum in den Griff kriegen liess.

Jetzt ist dieses Gefühl beinahe zur Gewohnheit geworden, wenn doch es sich jedes einzelne Mal mit viel Aufregung verbinden lässt, so ein Sprung. Meistens allerdings bestehend aus Vorfreude.

Ich mag den Gedanken in der Zeit verschwinden zu können, als würde das Universum mir vollkommen frei zur Verfügung stehen.

Vor allem für jemanden wie mich, der wie eine Süchtige das Geschichtsstudium hinter sich gebracht hat und an beinahe allen Jahrhunderten irgendetwas liebenswertes findet.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt