Tanz im Mondlicht

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Tief atme ich ein. Aus. Dann erneut. Ich schliesse kurz die Augen, hebe die Hand um zwei Finger in meinen hochgesteckten Haaren zu versenken. Ich habe unzählige Haarnadeln darin, die alle kunstvoll mit hellblauen Steinen bestückt sind.

Das schwere Kleid, welches ich trage, ist cremefarben und über und über mit einem wunderbaren Blumenmuster bestickt, die sich romantisch ineinander verschlingen, sodass ich buchstäblich einen Teppich aus Blumen am Körper trage. Die Schnürbrust hingegen hebt sich markant mit ihrer dunkelblauen Farbe ab. Auch diese ist mit Stickereien geschmückt, allerdings mit einem dezenten ebenso dunkelblauen Faden gefertigt. Die Ärmel kommen mir bis zu den Ellbogen, während das Kleid an sich bis knapp über meine Schuhe reicht, sodass man dessen ebenso cremefarbigen Spitzen erkennen kann.

Ich werfe einen letzten Blick in den antiken Spiegel, der in dem Zimmer steht, dass inzwischen zu meinem geworden ist. Ich drehe den Kopf, unsicher, ob ich mit meinem Aussehen zufrieden bin. Früher hat es mich nicht gekümmert, doch jetzt scheint es mich nicht nur zu kümmern; tatsächlich mache ich mir ernsthafte Sorgen, ob ich gut genug aussehe.

Meine Güte, das wird langsam zur Gehirnwäsche, diese lästigen Gefühle.

Ich schnalze mit der Zunge und trete kopfschüttelnd aus dem Zimmer. Fionn wartet bereits, an der Wand lehnend auf mich. Er trägt einen traditionellen Kilt mit dem karierten Muster, was mich vermutlich zum Prusten gebracht hätte, wenn er nicht so verdammt gut darin aussehen würde. Dazu eine Art schwarze Weste unter einem weissen Hemd.

Ich reisse meinen Blick von seiner hochgewachsenen, umwerfenden Gestalt. Dann frage ich mich intuitiv, ob ich ihn genauso attraktiv finden würde, wenn ich kein durchgeknallter Geschichts-Freak wäre.

Die Antwort ist definitv ja!, denke ich durcheinander.

»Bereit?«

»Und du?«, stelle ich die Gegenfrage.

Er lächelt anstelle mir zu antworten, kommt dann auf mich zu und nimmt meine Hand mit einer beeindruckenden Zärtlichkeit in seine. Er sieht mir einen erschreckend langen und intensiven Moment in die Augen, der bei mir nicht nur Bauchkribbeln sondern auch Übelkeit verursacht, und küsst dann meine schmalen Finger.

Ich schlucke, nicke als Bestätigung und schliesse die Augen. Es fällt mir deutlich schwerer mich zu konzentrieren, während ich seine Hand in meiner fühle. Doch dann, nach endloser Vergeudung an Zeit, habe ich es schliesslich geschafft. Abgesehen von seiner unumgänglichen Präsenz, die es mir erschwerte, das gewollte Ziel anzupeilen, ist auch die Tatsache, dass wir heute gezielt reisen ebenso schwierig.


Scottish Highlands, Scotland 1898

Fionn wollte wissen, ob ich auch mit einer bestimmten Jahreszahl im Kopf springen kann. Nun, die Antwort lautet wohl: Ja, das kann ich. Wir stehen noch immer im Mckenzie Haus, doch von draussen her höre ich laute Stimmen, auf dem Dudelsack gespielte, wilde Lieder und so etwas wie Pistolenschüsse.

Fionn grinst über's ganze Gesicht, als ich ihn ansehe. Seine Augen funkeln wie verrückt und sein Griff um meine Hand hat sich um das Doppelte verstärkt. Er sieht beinahe aus wie ein kleiner Junge, der sich auf Weihnachten freut.

»Das mit Abstand coolste Fest: The Burns Night!«, sagt er, immer noch grinsend. Dann verwebt er seine Finger ganz vertraut mit meinen, als hätte er das schon hunderte Male getan, und zieht mich geschwind mit sich. Beinahe wäre ich über meine eigenen Füsse gefallen und das obwohl, ich wirklich nicht von mir behaupten kann, sonderlich tollpatschig zu sein.

Wir rennen die Treppenstufen hinab bis wir einer pummeligen Frau über den Weg laufen, die aus Richtung Küche zu kommen scheint, denn sie hält einen überdimensionalen Korb mit Bannocks darin in den Armen.

Ein Bannock ist eine Art Fladenbrot, das auf beiden Seiten gebacken wird. Früher, so erzählte mir Fionn, tat man dies ausschliesslich über der heissen Kohle, bis man es dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut in die Pfanne legte, bevor es zum Essen serviert wurde.

Eine Spezialität aus den Highlands. Und ich liebe sie über alles.

»Fionn!«, die Frau kreischt vor Freude. Sie lässt den Korb beinahe fallen, so aufgeregt scheint sie zu sein. Dann kommt sie auch schon auf uns zu und reisst Fionn in ihre Arme.

Fionn lacht, drückt die winzig kleine Frau ebenfalls an sich und redet bereits auf sie ein. Doch ich kann kein Wort verstehen, denn sie unterhalten sich auf gälisch miteinander. Er schiebt die Frau sanft von sich, noch immer mit ihr sprechend, und deutet dann auf mich.

»Maria«, sagt er. »Das ist Emma. Ich habe dir bereits viel von ihr berichtet.«

»Oh«, macht Maria, hebt eine Hand vor den Mund, als könnte sie nicht glauben, was sie da sieht. »Ich freue mich so, deine Bekanntschaft zu machen, junges Fräulein«, sagt sie mit diesem wunderbaren Akzent, den die Schotten haben. Er ist so hart und verwaschen, genau wie ihre Redner selbst.

»Ich freue mich auch«, erwidere ich mit einem breiten Lächeln. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wer du bist, füge ich in Gedanken hinzu.

»Wie hübsch du bist, Mädchen«, fährt sie fort. Dann nimmt Maria mich, wie auch Fionn an der Hand und führt uns nach draußen. Den Korb scheint sie vergessen zu haben. »Kommt mit, das Fest ist schon in vollem Gange.«

Wir treten gemeinsam nach draussen und laufen hinter's Haus, wo ein grosser Platz Ort eines freudigen Festes ist. Es sind eindeutig mehr Clanmitglieder, als ich erwartet habe. Sie lachen, trinken, essen, reden durcheinander und machen Musik.

Ein grosses Feuer brennt in der Mitte des Geschehens und umgibt die Feier mit einer wunderbar geheimnisvollen und mystischen Aura. Sofort beginne ich breit zu grinsen. Es ist wunderschön.

Maria verlässt uns ohne ein weiters Wort, da sie gerufen wird. Und niemand beachtet uns, also geht Fionn zu einigen hin und begrüsst sie flüchtig. Ich folge ihm, halte mich aber aus den Gesprächen raus, da ich nie persönlich angesprochen werde. Ausserdem unterhalten sie sich alle in ihrer Nationalsprache, sodass ich ohnehin nichts verstehen kann.

Fionn verabschiedet sich von ihnen und holt uns etwas zu trinken. Es ist eine gläserne Flüssigkeit, das kann ich erkennen, doch ich kann ihre Farbe wegen der Dunkelheit nicht bestimmen. Ohne nachzudenken, nehme ich einen Schluck. Ich huste. Whiskey.

Fionn lacht laut und noch bevor ich mich verteidigen kann, schnappt er sich erneut meine Hand und führt mich zu den Tanzenden, auf der anderen Seite des Feuers. Zuerst bin ich versucht, mich zu weigern, doch als die Spielenden einen neuen Rhythmus beginnen, lasse ich mich von Fionn mitziehen.

Wir springen, hüpfen, führen traditionelle Tänze durch, als täten wir im Leben nichts anderes. Es macht so Spass, dass ich einen unkontrollierbaren Lachanfall bekomme und kurz innehalten muss. Anstelle den Tanz jedoch aufzugeben, nimmt Fionn meine Hände, führt sie zu seiner Brust und legt seine um meine Taille. Er zieht mich an sich.

»Hast du gewusst, dass die Burns Night auf einen schottischen Dichter zurückgeht, der-«

Ich unterbreche ihn flüchtig: »Robert Burns, geboren 1759. Er ist der schottische Nationaldichter und hat einige seiner Gedichte im traditionellen Scots geschrieben.« Ich grinse. »Geschichtsfreak, schon vergessen?«

Fionn schüttelt lächelnd den Kopf. Sofort merke ich, dass die Stimmung umgeschlagen ist. Eben noch wild lachend, steht er jetzt irgendwie... wissend vor mir und sieht mich mit diesem durchdringenden Blick an.

Dann, ganz unvorsichtig, kommt sein Gesicht meinem näher. Dennoch beinahe stürmisch, aber dann hält er inne, bis unsere Lippen sich federleicht berühren...

Bis ein lauter Knall uns wie vom Blitz getroffen auseinander fahren lässt.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt