Versteckte Gabe

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Fionn sieht mich einen Moment fragend an, dann sieht er weg, scheint angestrengt über etwas nachzudenken, dann erhellt sich seine Miene.

»Was soll das? Du siehst aus wie ein Honigkuchenpferd«, murre ich genervt über seine merkwürdige Mimik.

»Ha ha«, erwidert er sarkastisch, dann steht er auf und geht im Salon herum. An den Wänden stehen unzählige Bücherregale, selbstverständlich nichts im Vergleich zur Bibliothek, aber trotzdem. Fionn zieht einen dicken Wälzer heraus, blättert ihn suchend durch und hält dann auf einer Seite inne. Er markiert die gelesene Stelle mit seinem Zeigefinger und kommt so zu mir zurück.

»Ich erinnere mich doch an jemanden, der dieselbe Fähigkeit besaß«, sagt er dann schliesslich und liest ganz abwesend die kleingeschriebene Textpassage durch.

»Was redest du denn da von wegen Fähigkeit?«, frage ich irritiert. »Wie kommst du darauf? Nur weil ich ganz offensichtlich ein einziges Mal in die Vergangenheit gesprungen bin... durch vermutlich puren Zufall und Überlebensdrang, heisst das doch wohl noch lange nicht, dass ich es wieder tun werde. Mit Absicht. Voll kontrolliert. Oder?«

Fionn sieht zu mir rüber, als wäre ich nicht ganz dicht. Nun, inzwischen müssen ihm meine Anfälle wohl bekannt sein. Aber ich kann klarer denken, wenn alle Gedanken, mögen sie noch so scheußlich sein, aus meinem Kopf dürfen und ich wirklich alle Theorien ausgesprochen habe.

»Es ist eine Fähigkeit, Emma, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass du es kontrollieren kannst, wenn du willst«, versichert er mir mit seiner besserwisserischen, komplett ruhigen Stimme.

Seine Zuversicht verursacht beinahe Übelkeit in mir. Wie kann es denn sein, dass er immer so verdammt motiviert ist?

Ich schnaufe laut aus. »Das erscheint mir unlogisch.«

Fionn schmunzelt und wirft mir erneut einen amüsierten Blick zu. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, überrascht es mich immer wieder, wie ungläubig zu sein kannst, obwohl du selber ein Objekt von Gesetzlosigkeit darstellst.«

Ich verdrehe die Augen. »Wen kennst du nun, der ebenfalls diese Fähigkeit besitzen soll?«

Fionn sieht mich prüfend an, bevor er das dicke Buch zu mir umdreht. Auf der Abbildung, die die eine Seite der Doppelseite ziert, ist mir eine durchaus bekannte Person abgebildet.

Ich bin nicht nur erstaunt als ich das sehe, stattdessen läuft mir ein eisiger, ängstlicher Schauer über den Rücken. Auch wenn ich ganz ehrlich zugeben muss, dass ich nicht sonderlich überrascht bin, immerhin muss in meinem Leben ja regelmässig etwas passieren, dass keinen Sinn ergibt.

»Freya Sinclair«, sage ich und sehe Fionn mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue an. »Du willst mich verarschen, oder?«

»Nein, und ganz genau«, meint dieser halb grinsend.

»Was ist denn so lustig daran?«

»Irgendwie ist es verblüffend mit wie vielen komplizierten Zufällen ich in letzter Zeit so überhäuft wurde, oder etwa nicht?«

Ich sehe ihn mit hoch erhobenen Augenbrauen an, als wollte ich ihn fragen, ob er mich in einer solchen Situation tatsächlich provozieren will. »Ja, na klar, du Genie.«

Dieses Mal lacht er herzlich und klappt dann das Buch mit einem ebenso herzlichen Schlag zu, sodass staubige Wolken in die Luft katapultiert werden. »Ich denke es wird Zeit für einen weiteren Besuch bei deiner Lieblingsverwandten.«

Ich seufze, obwohl es mehr wie ein verzweifeltes Schnauben klingt.

Na wunderbar.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt