Kapitel 27 - Das mit dem vernachlässigen

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Wie ich schon befürchtet hatte, erwachte ich am nächsten Morgen mit einem mordsmäßigen Kater. Jeder Lichtstrahl war zu viel, sodass ich mir grummelnd meine Bettdecke über die Augen zog. Trotzdem bereute ich es nicht, so viel getrunken zu haben. Der Abend mit meiner besten Freundin war wundervoll gewesen und auch als Donny zu uns stieß, wurde unsere Stimmung nur noch ausgelassener. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir drei noch zusammengesessen haben. Die Zeit hatte plötzlich keinerlei Bedeutung mehr, einzig und allein die Gesellschaft meiner zwei besten Freunde zählte für mich.

Da ich allerdings doch irgendwann aus dem Bett musste, schaffte ich es zu allererst in die Küche, um mir eine große Kanne Kaffee aufzusetzen. Danach schlurfte ich á la „The Walking Dead"-Beißer unter die Dusche. Das heiße Wasser entspannte meine Muskeln und während ich mich wieder abtrocknete, fühlte ich mich gleich etwas besser. Jetzt nur noch ein ausgelassenes Kater-Frühstück und schon war ich ganz die Alte. Gerade als ich Speck und Eier in einer Pfanne briet, klingelte das Telefon. Meine Mutter. Wollte ich mich dem an diesem Morgen wirklich stellen? Andererseits hatte ich seit der Hochzeit meiner Schwester nicht mehr mit ihr gesprochen. Wenn ich jetzt nicht ranginge, stünde sie später vielleicht noch vor der Tür – und darauf hatte ich erst recht keinen Nerv!

»Hallo Mum« ergab ich mich also meinem Schicksal. »Marie, liebes. Wie geht es dir?« säuselte sie in den Hörer. »Ganz gut soweit, danke. Und wie geht es dir und Dad?« »Bestens Schätzchen, bestens. Deine Schwester hat sich auch kurz aus ihren Flitterwochen gemeldet. Hawaii soll zu dieser Jahreszeit einfach atemberaubend sein. Und John trägt sie auf Händen. Er ist so ein guter Ehemann ...« Ich ließ mich auf den kleinen Hocker zu meiner rechten nieder und versuchte so gut ich konnte dem Gespräch zu folgen. Meine Mutter konnte manchmal ziemlich anstrengend sein. Egal ob man es wollte oder nicht, man wurde immer auf den neusten Stand der Klatsch,- und Tratschdinge gebracht.

»Übrigens hast du mir gar nicht erzählt, dass du Matthew McCormick bereits kennst« kam sie also zum eigentlichen Grund für ihren Anruf. Ich hatte es mir schon fast gedacht. »Wir kennen uns auch noch nicht so lange Mum. Ich habe Matt erst vor ein paar Wochen kennengelernt. Donny hat uns einander vorgestellt. Die beiden sind Kollegen.« Wie immer schnaubte sie bei Donalds Namen. Ich hasste es, wenn sie das tat. »Ihr müsst unbedingt zum Essen kommen. Wie wäre es nächsten Samstag? Ich mache meinen berühmten Schmorbraten.« Die Einladung hatte meine Mutter schon am Tag nach der Hochzeit ausgesprochen. Ich wäre ein Narr, wenn ich denken würde, sie hätte es vergessen. Zumal ich nicht mal richtig weiß, was das zwischen Matt und mir wirklich war. »Ich weiß nicht so recht. Er ist momentan nicht in der Stadt und ich habe keine Ahnung, wann genau er wieder zurück ist.« Leider. »Sag mir einfach Bescheid, wann du mehr weißt und ich lasse alles ausrichten.« Das war wieder mal typisch. Seufzend ergab ich mich ihr, weil es einfach keinen Sinn hatte mit ihr weiter zu diskutieren.

Den restlichen Samstag machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich. Wobei es das nicht ganz traf. Ich dachte die ganze Zeit an Matt, stopfte Schokolade und Eis in mich hinein und sah mir einen Liebesfilm nach dem anderen an. Ja, ich war ganz schön zu bemitleiden. Mein Kopf zierte ein wirres Nest aus Haaren, mein T-Shirt war bekleckert, überall lagen Taschentücher und Müll herum. Selbst die Joga-Hose hatte einen Fleck abbekommen. Seit dem Morgen hatte ich nicht mehr in den Spiegel geschaut – und das war vermutlich auch gut so. Gerade lief „Ein ganzes halbes Jahr", kurz vor dem Ende, als Lou in die Schweiz fliegt, um Will ein letztes Mal vor seinem Tod sehen zu können und die Tränen liefen wieder in Sturzbächen über meine Wangen. Geräuschvoll schnäuzte ich in mein Taschentuch, als es an der Tür klingelte. Welcher Idiot versaute mir gerade die emotionalste Stelle in diesem wundervollen Film? Wo war bloß diese blöde Fernbedienung? Es klingelte ein zweites Mal. »Jaaa... schon gut. Ich bin schon unterwegs!!!« brüllte ich fast dem unangekündigten Besucher entgegen. »Meine Güte, was ist?« zog ich auch schon schwungvoll die Wohnungstür auf – und wollte sie am liebsten gleich wieder zu schlagen. Dort, auf meiner Türschwelle, stand niemand geringeres als Matt. OH MEIN GOTT!


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Für die, die den Film "Ein ganzes halbes Jahr" vielleicht nicht kennen einmal der Trailer ;) 


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