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“Kommst du Mila?“ dringt die Stimme meiner Mutter in mein Gehör, woraufhin ich mich schwerfällig von meinem Bett aufrapple. Schlurfend mache ich mich auf den Weg nach unten, halte meinen Blick gesenkt, als ich bei meiner Familie ankomme. Besser gesagt bei meiner Mum und Dustin. Mein Vater ist zufällig auf Geschäftsreise. Zufällig. Dass ich nicht lache. Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit ich vor vier Wochen am Boden zerstört nach Hause kam. Zuerst hat er mich in den Arm genommen, doch als der Direktor meiner Schule in unser Haus trat und ihm die ganze Geschichte offenbarte, wurde sein Blick kalt.
“Du bist eine noch größere Enttäuschung als dein Bruder.“ waren die letzten Worte die ich noch von ihm hörte, bevor er seine Koffer packte und sich aus dem Staub machte.
Und jetzt stehen wir hier, weder Dustin noch ich haben von dem Mann der sich Vater nennt gehört, doch es ist mir egal. Alles ist mir egal, seit ich am Tag nach Liams Verhaftung aufgewacht bin. Ich fühle mich nur noch kraftlos, kalt, einsam. Unglaublich einsam. Obwohl Rosie mich jeden Tag besucht und Dustin mich keine zehn Minuten aus den Augen lässt, wünsche ich mir nur Liam an meiner Seite, doch ich weiß, dass das nicht möglich ist. Genau so wie ich weiß, dass der heutige Tag über Liams Leben entscheiden wird, denn heute ist die Gerichtsverhandlung. Ich bin nervös, nicht etwa weil ich aussagen muss, das erste Mal in Gericht sein werde, wohl meine Schule nicht fertig machen darf - nein. Ich bin nervös davor, dass ich Liam heute das letzte Mal sehen könnte. Nie habe ich jemanden so sehr geliebt wie ihn und doch wurden wir getrennt.
“Alles in Ordnung?“ fragt Dustin fürsorglich, doch ich schüttle lediglich den Kopf, schlüpfe in meine Jacke und meine Schuhe und drehe mich dann wieder zu ihm um. “Natürlich.“ Mein Bruder weiß genau so gut wie ich, dass das gelogen ist, aber er weiß wie es mir geht, was sollte ich ihm also erzählen?
Schweigend folge ich meiner Mum ins Auto, setze mich auf den Rücksitz und warte, bis das Auto sich bewegt, bevor ich meinen Kopf gegen das kalte Fenster lehne.

Schweigend folge ich meiner Familie ins Gericht, lasse meinen Blick den kompletten Weg über gesenkt. Selbst im Gerichtssaal sehe ich mich nicht um, ich werde noch früh genug ins Gesicht des Richters sehen, der heute über die Zukunft des Mannes den ich liebe entscheiden wird. Während ich die Hände an meine Schläfen lege versuche ich, das Gemurmel um mich herum auszublenden. Bereits vor sechs Tagen hatte ich eine Untersuchung beim Frauenarzt, aber ich habe mir bereits eine Geschichte zurechtgelegt, wieso ich keine Jungfrau mehr bin. Auf keinen Fall werde ich Liam in den Rücken fallen und aussagen, dass wir Sex hatten. Während ich in Gedanken noch einmal meine Aussage durchgehe wird es plötzlich still im Saal und der Richter mitsamt Gefolge betritt den Raum. Doch meine Aufmerksamkeit liegt nur auf der Tür am anderen Ende des Raums, durch die gerade zwei Polizisten kommen und zwischen ihnen Liam. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, sein Bart ist länger als bei seiner Verhaftung, tiefe Augenringe zieren sein schönes Gesicht und seine Haare fallen ihm in die Stirn. Sofort als er an den Zuschauern vorbeigeht, fängt erneut das Getuschel an, aber ich habe keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, da ich nur noch Augen für Liam habe. Die Handschellen werden ihm abgenommen und er lässt sich auf den Stuhl fallen. Jetzt bin ich verdammt aufgeregt. Schon gleich stellt sich heraus, dass Liams Anwalt für ihn spricht und ihm selbst der Mund verboten wurde, denn er hebt kein einziges Mal seinen Blick, während der Richter ihm Fragen stellt. Der Verteidiger schlägt sich gut, streitet jeden sexuellen Kontakt zwischen mir und Liam ab, verneint jede Frage, die seinem Klienten gefährlich werden könnte. Doch meine ganze Konzentration liegt darin, jede von Liams Bewegungen zu beobachten, mir jedes Detail an ihm genau einzuprägen. Wer weiß wann ich ihn wiedersehen werde. Plötzlich höre ich meinen Namen, springe reflexartig von meinem Stuhl auf. Der Richter winkt mich nach vorne zur Befragung und ich gehe mit wackligen Schritten auf den Stuhl und den kleinen Tisch zu. Kurz vor meinem Ziel spüre ich plötzlich einen Blick auf mir, den ich schon so lange nicht mehr gespürt habe. Schnell hebe ich meinen Kopf und sehe direkt in Liams Augen. Tränen sammeln sich darin und ich muss mir stark auf die Zunge beißen, damit nicht auch bei mir die Dämme brechen. Erstarrt bleibe ich stehen, höre mein Blut rauschen und mein Herz schlagen, mein Puls rast und ein stechender Schmerz zieht sich von meinem Kopf direkt in mein Herz. Es tat weh, so lange von ihm getrennt zu sein, aber diese Begegnung hier, in diesem schrecklichen Gebäude, unter diesen furchtbaren Umständen, mit Liam, der kaputt aussieht wie noch nie, hindert mich daran zu atmen. Sekundenlang sehen wir uns einfach nur an verlieren uns in unseren Augen, bis der Richter schließlich meinen Namen wiederholt und mich wieder in die Realität bringt. Tief und hörbar hohle ich Luft, bevor ich ruckartig die letzten beiden Schritte nach vorne mache und mich auf den Stuhl setze. Der Mann vor mir sieht bereits alt aus, aber ebenso streng. Erst fragt er mich nach meinem Alter, meinem Namen und belehrt mich über meine Rechte. Doch gerade als sich etwas Entspannung in meinem Körper breit macht, bittet er mich, die Beziehung von Liam und mir zusammenzufassen. Noch einmal hole ich tief Luft, bevor ich anfange zu reden. “Wir haben uns in der Schule kennnengelernt und ich bekam Nachhilfe von ihm, wir haben uns gut verstanden, schließlich eben Gefühle zueinander entwickelt.“ Meine Stimme klingt stärker als erwartet, mehr will ich von der Geschichte noch nicht preisgeben, der Richter soll ruhig direkt nach den Dingen fragen, zu denen er meine Aussage will. Und das tut er auch. “Gingen diese Gefühle von beiden Seiten aus oder wurden Sie zu etwas von Herr Keeth gezwungen?“ fragt er unverhohlen, während sein Blick starr auf mich gerichtet ist. “Es ging von beiden Seiten aus, ich wurde zu rein gar nichts gezwungen.“ Leichter Zorn schwingt in meiner Stimme mit. Als ob Liam mich zu etwas zwingen würde wenn er damit seinen Job aufs Spiel setzt. “Kam es während der Beziehung zu sexuellem Kontakt zwischen Ihnen beiden?“ Da ist sie also, die Frage auf die ich schon die ganze Zeit gewartet habe. “Nein.“ Ein Raunen geht durch die Reihen, als die Aussage meinen Mund verlässt. Als der Richter wieder anfängt zu reden, weiß ich bereits, was er sagen wird. “Die Untersuchung durch Doktor Mohrle ergab aber, dass ihr Jungfernhäutchen gerissen ist. Wie erklären Sie sich das, obwohl Herr Keeth laut Ihrer eigenen Aussage Ihr erster Freund war?“ skeptisch hebt der Mann eine Augenbraue. Jetzt kommt es darauf an, wie gut ich lügen kann. “Ich hatte schon Sex mit einem Jungen, bevor ich Liam kennengelernt habe.“ Wieder geht ein Raunen durch den Saal. “Und wer soll dieser Junge gewesen sein?“ Man merkt sofort, dass er mir nicht glaubt, aber das wird er schon wenn ich bei meiner Aussage bleibe. “Ich war auf einer Party und habe etwas tief ins Glas geschaut. Bei einem Spiel habe ich einen Jungen kennengelernt und später kam eins zum anderen.“ Noch immer glaubt er mir nicht. Wieso sieht dieser Mann mich so an? Kann er nicht einfach meiner Aussage Glauben schenken und mich zurück zu meinem Platz lassen? Plötzlich höre ich, wie die Tür ruckartig geöffnet wird. Gleichzeitig mit den anderen Personen im Saal drehe ich mich um und sehe Marvin und Rosie im Türrahmen. Ich habe mich schon gefragt, wieso meine beste Freundin nicht hier war, es dann aber einfach akzeptiert. Jedoch habe ich Marvin seit Liams Festnahme weder gesehen, noch gesprochen, weshalb ich ihn nun verwirrt mustere. “Entschuldigen Sie, Euer Ehren, aber ich glaube ich habe hier einen Zeugen der den Fall um einiges leichter machen wird.“ meint Rosie außer Atem und schiebt Marvin dabei leicht nach vorne. “Ähm ja. Mein Name ist Marvin Jehle und ich möchte gerne eine Aussage machen.“ Ganz sicher scheint er sich seiner Sache noch nicht zu sein, aber nachdem der Richter ihn in den Zeugenstand berufen hat und ich auf einem Stuhl weiter vorne Platz nehmen musste, strafft Marvin seine Schultern und setzt sich selbstsicher auf den Stuhl. Am Anfang werden wie bei mir Fakten und Rechte geklärt, bevor der Richter Marvin fragt, welche Aussage er machen will. Gespannte Stille herrscht im Saal, als er seinen Mund öffnet. “Ich hatte Sex mit Mila. Ich habe sie entjungfert und ich bin der Grund, warum die Untersuchung ergeben hat, dass ihr Jungfernhäutchen gerissen ist. Deshalb wollte sie nicht mit Liam schlafen, da er sehr eifersüchtig war und sie Angst hatte, dass er sie als Schlampe abstempeln würde. Jetzt wollte sie meinen Namen nicht erwähnen, um mich zu schützen. Sie müssen wissen, Dustin - Milas Bruder- hat einen ziemlich ausgeprägten Beschützer Instinkt und ich bin sein bester Freund, er hätte mich wahrscheinlich geschlagen und mir die Freundschaft gekündigt, wenn er davon erfahren hätte.“

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