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Der Wind peitscht mir entgegen, als ich hinter Dustin auf seiner Maschine sitze und wir gemeinsam auf Umwegen nach Hause fahren. Ich liebe dieses Gefühl, weil es sich wie anfühlt, als würde man fliegen. Meine Hände liegen an den Hüften meines Bruders, als ich die Augen schließe und mir vorstelle, wie schön es wäre, selbst zu fahren. Der Führerschein für ein Moped wäre mein einziger Wunsch zu meinem 16. Geburtstag gewesen, den meine Eltern mir jedoch nicht erfüllen wollten. Sobald ich 18 bin, werde ich allerdings sowieso einen Motorrad-Führerschein machen, bis dahin werde ich es hoffentlich überleben, nur Mitfahrer zu sein. Marvin und Dustin lassen mich immerhin ziemlich oft mit ihnen fahren. Zu ihrem Glück.
Viel zu schnell kommen wir in unserer Straße an, wo Dustin bereits bremst und schließlich in unserem Hof parkt. Ich lasse mich vom Sitz rutschen und öffne den Helm, bevor ich ihn absetze und mein Handy aus der Hosentasche ziehe. Als ich sehe, dass Liam mir geschrieben hat, fange ich an zu Grinsen, weshalb ich es schnell wieder hineinstecke. Wenn mein Bruder mich grinsen sieht will er sicher wissen weshalb und ich bin furchtbar schlecht darin, mir Lügen auszudenken. Also schlendere ich zur Tür und warte auf Dustin, der gerade das Garagentor schließt, hinter dem er sein Motorrad verstaut hat. Dann joggt er zu mir, drückt einen Kuss auf meine Stirn und schließt die Tür auf. Ich folge ihm in unser Haus, ziehe Schuhe und Jacke aus und tapse dann ins Wohnzimmer, wo mein Bruder an seinem Handy hängt. " Kinder? " Höre ich meine Mutter rufen, als ich gerade die Augen verdrehen will. Ich folge ihrem Ruf in die Küche, wo ich sie kochend auffinde. "Hey Mum." Ich umarme sie flüchtig von hinten, um sie nicht beim Kochen zu stören, woraufhin ich einen Luftkuss bekomme. "Hey Mila, alles okay? " Fragt sie, ohne sich von ihrem Essen abzuwenden. Meine Mum kocht für ihr Leben gerne. " Na klar, Mum!" Kurz überlege ich, meinen Führerschein nochmal anzusprechen, lasse es aber lieber sein. Dieses Thema hat schon für genug Streit in unserer Familie gesorgt. " Was kochst du denn schönes? " Frage ich , während ich mich unauffällig auf den Esstisch setze. " Ich habe Lasagne gemacht und natürlich dabei nicht an dich gedacht, deshalb bekommt du jetzt gebratenes Gemüse und Käsespätzle. " Erzählt sie und schiebt dabei die Auflaufform mit den Spätzle in den Backofen. In der weisen Vorraussicht, dass sie sich gleich umdrehen wird, rutsche ich möglichst leise vom Tisch und einige Sekunden später steht sie mir tatsächlich gegenüber und lehnt sich ans Küchentresen. Sie wirkt erschöpft, tut sie oft in letzter Zeit. Ich runzle die Stirn, irgendetwas stinkt hier gewaltig. Mein Bruder hängt ständig am Handy, wirkt nur scheinbar glücklich und letzte Nacht habe ich ihn das erste Mal betrunken erlebt. Meine Mum sieht erschöpft aus, redet weniger als sonst und vergisst Dinge, wie mein Vegetarier-Dasein, was sie sonst automatisch mit einplant. Meinen Dad habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen, dachte er hätte einfach Stress in der Arbeit, aber plötzlich scheint es mir, als würde das alles zusammenhängen. Wie konnte mir das nicht auffallen? War ich wirklich so auf meine eigenen Probleme fixiert, dass ich meine eigene Familie nicht mehr wahrgenommen habe? "Mum, was ist los? " Frage ich sie ohne Umschweife, sehe ihre Gesichtszüge entgleiten. Einige Sekunden später hat sie sie wieder unter Kontrolle, setzt eine verwirrte Miene auf. " Was soll denn los sein, Spätzchen? " Fragt sie. "Was los sein soll? Du siehst unglaublich erschöpft und müde aus. Vergisst Dinge, die du sonst immer im Kopf hast. Redest viel weniger als sonst. Dustin hängt den ganzen Tag an seinem Handy, alles was er sagt und zeigt wirkt gespielt. Und Dad habe ich seit - warte - vier Tagen nicht mehr gesehen. Ich frage dich jetzt nochmal. Was ist los?" Sie scheint kurz planlos, fängt an zu reden. "Dustin hat viel in der Schule zu tun und dein Vater und ich haben Stress in der Arbeit. Mach dir keine Sorgen, alles ist..." "Mum!" Meine Stimme ist lauter als geplant, als ich sie unterbreche, aber so hört sie wenigstens auf, an dieser lächerlichen Ausrede zu basteln. "Bitte sag mir jetzt die Wahrheit, Mum." Seufze ich und stütze mich auf die Tischplatte, höre sie tief Luft holen. Hoffentlich feilt sie nicht schon an der nächsten Lüge. "Warten wir bis zum Essen, Schatz." Verwirrt sehe ich ihr zu, wie sie sich umdreht und in einer Pfanne rührt, mich keines Blickes mehr würdigt. Was ist hier nur schief gelaufen? Grübelnd mache ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo ich hoffe, Dustin aufzufinden, aber er ist nicht mehr da. Ich würde wetten, dass er uns gehört hat und mir jetzt entkommen will. Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht. Mit allen Dreien stimmt etwas nicht und ich bin die einzige, die so vertieft in ihr eigenes Leben war, dass ich nichts davon mitbekommen habe. So sorge ich für meine Familie. Am liebsten würde ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn schlagen. Es hätte mir spätestens auffallen müssen, als meine Eltern immer seltener zuhause waren. Jetzt wo ich weiß, dass etwas nicht stimmt, fallen mir die ganzen Anzeichen auf. Dustins gespieltes Lachen, das schrumpfende Interesse an meinen schulischen Leistungen, wie selten meine Mutter in letzter Zeit für uns alle gekocht hat. Seit sicher einer Woche, wenn nicht länger, haben wir nicht mehr alle zusammen gegessen. Was ist hier so verdammt faul?

TeacherWhere stories live. Discover now