33 - Die drei Momente.

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E M I L I A

Way down we go - Kaleo

Tod, schwarz, und Schmerz, waren die einzigen Dinge die ich spürte oder sah.

Weder wusste ich wo oben war noch unten. Geschweige den rechts und links.Ich fühlte mich als würde ich gerade sterben. Ich sah nichts mehr, hörte nur in entfernter Ferne, verzerrte Stimmen. Ich spürte nichts, noch konnte ich bewegen oder gar sprechen. Ich fühlte mich leer, einfach Tod. Das Herz in meiner Brust gehörte nicht mir, das wusste ich, aber jetzt wusste ich das es Jacob gehörte und.... ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte.

Ein Teil von mir wollte es aus der Brust reißen und Jacob zurück geben. Der andere wollte es aus der Brust reißen und warten bis ich daran sterbe. Doch beides lief aufs gleiche hinaus, und zwar das ich am liebsten sterben wollen würde. 

Denn den Schmerz den ich durch Jacobs Verlust auf meinen Schultern trug, wuchs und ließ meinen Körper darunter zusammenbrechen. Denn nun kam auch die Schuld dazu. Ohne mich, hätte Jacob womöglich noch lange leben können und wenn es nur an Maschinen gewesen wäre. Doch nun wusste ich das ich Schuld an seinem Tod trug, auch wenn er es so gewollt hatte, ich hätte es nie. Ich hätte mich mit allen Mittel gewehrt und Jacob diese Dumme Idee womöglich solange ausgeprügelt bis er daran gestorben wäre. An meinen Schlägen.

Ich war taub, was meine Umwelt anging. Ich war taub was meine Gefühle anging.  Nur in meinem Kopf herrschte ein Hurrikan aus Schuld und Wut. Ich war wütend auf Jacob das er mir sein Herz gegeben hat. Ich war wütend darauf, das er das alleine entschieden hat. Er hätte verdammt noch mal mich fragen sollen! Doch gleichzeitig schrie die Schuld in mir um Anhörung. Hätte ich mehr an mich geglaubt, mehr auf mich gehofft, hätte ich Jacob vielleicht nie zu diesem Gedanken gebracht.

In mir zerfraßen Wut und Schuld sich gegenseitig während ich von außen starb. Auf einmal fühlte sich mein ganzer Körper fremd, all meine Erinnerungen, all meine Gefühle.  Ich hatte nicht mit meinem Herzen geliebt, sondern mit den von Jacob und es fühlte sich so falsch und... widerlich an.

Und dann gab es den Moment wo ich schreien wollte. Ich wollte die gesamte Welt zuschreien, jeden der zu mir gesagt hat, komm über Jacob hinweg, jeden der gesagt hat, ich werde wieder gesund. Jeden der Hoffnung in mich gesetzt hat. Jeden der wollte das ich am Leben bleibe. Doch vor allem wollte ich Jacob so sehr eine Scheuern das er von seiner Wolke runterfällt und  in der Hölle aufkommt.

Doch dieser Moment wich genauso schnell wie er kam und darauf folgte der Moment wo ich in die hinterste Ecke verschwinden wollte um zu weinen. Ich wollte niemanden mehr sehen, niemanden sprechen hören. Ich wollte mich in eine Kugel zusammenrollen, mich in tausend Decken vergraben und einfach weinen. Ich wollte jegliche Tränen weinen die sich seit Jacobs Tod angestaut hatten. Egal ob es Tränen für Jacob waren oder für meinen Vater. Tränen der Wut oder Tränen der Verzweiflung. Ich wollte einfach nur weinen, bis meine brannten und ich einfach nur einschlief.

Doch am schlimmsten war der letzte Moment. Der Moment wo ich einfach nicht mehr Leben wollte.
Ich wollte nicht mehr atmen. Ich wollte das mein Herz aufhörte zu schlagen. Ich hätte mich am liebsten von einer Brücke geworfen, oder vor einem Auto oder Zug. Ich hätte mich am Alkohol Tod getrunken  oder eine Überdosis von Drogen genommen, doch ich konnte nichts von allem und so wiederholte sich jeder Moment aufs neue.

Ich schrie. Ich weinte. Ich wollte sterben. Ich wollte meine Augen nie wieder öffnen. Ich fiel in eine Endlose Schleife die sich jeden Tag aufs neue wiederholte. Ich redete mit niemanden, ich wies jeden ab, der mir näher zu kommen versuchte. Ich aß nichts mehr oder trank etwas. Irgendwann, genau wann wusste ich nicht mehr. Vielleicht eins, zwei oder doch drei Tage nachdem ich den Brief gelesen hatte, brach ich nicht nur psychisch zusammen sondern physisch und wachte irgendwann im Krankenhaus auf.

Doch mir war alles egal. Ich sprach nicht mit den Ärzten, nicht mit meinen Eltern, nicht mit meinen Bruder, geschweige den mit Anjo und Damain. Ich schwieg einfach, doch eins lernte ich in dem Moment. Wenn es dir schlecht geht, sind die wahren Freunde vielleicht doch nicht immer die richtigen mit denen man reden sollte.

Genau wusste ich nicht, wann sie kam, aber sie brachte mich nach Tagen zum reden. Sie sorgte dafür das ich was aß und was trank. Sie zeigte mir eine Seite die ich nie bei ihr erwartet hätte und sie half mir.

Sie gab mir ein Seil, das mich aus der Spirale raus ziehen konnte, ich musste nur danach greifen. Sie zeigte mir das es vorrüber ging. Zuerst half sie mir den ersten Moment zu vernichten. Das Schreien versiegte. Dann half sie mir beim zweiten Moment. Das weinen ging vorrüber.

Nur beim dritten scheiterte sie und ich rutschte wieder ab, doch sorgte sie dafür das die anderen beiden Momenten nicht wieder kamen.

»Woran denkst du?« fragte sie leise und blickte aus dem Stuhl an meinem Bett auf. Sie nur in Jogginghose und übergroßen Pullover zusehen war anfangs merkwürdig, doch ich gewöhnte mich schnell daran. Auf ihrem Schoss ruhte eine Klatsch - Zeitung die es hier überall gab, ihre Haare waren unordentlich zu einem Dutt geknotet. Unter ihren Augen zeichneten sich Augenringe ab.

»Danke« flüsterte ich. Meine Stimme klang rau, das verzweifelte Schreien, weinen und dann wieder nichts sagen, hatten meine Stimmbänder überstrapaziert und es würde nur langsam wieder besser werden. 

Sie schenkte mir ein müdes Lächeln während ihr Kopf an mein Bett gebettet war. Ihre Augen hatten ein warmen braun Ton. Anders als sonst, war die Kälte aus ihnen entwichen, die Arroganz fort und Verständnis zeigte sich. Mitfühlend umschlang eine Hand von ihre eine die meine.

»Wieso bist du eigentlich gekommen?« krächzte ich und nahm mir das Wasserglas vom Nachttisch. Sie ließ ihre Mundwinkel etwas nach oben wandern und strich sich mit der  Hand durchs Haar.  Mit der anderen übte sie einen gewissen Druck auf meine aus und beruhigte damit mein aufgewühltes Gemüt.


»Weil ich meinen Bruder nicht weinen sehen kann.«


The Asperger Boy [✅] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt