8. Kapitel - Hitze

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Und so saßen wir da, auf dem Fußboden, ihre Hand auf meinem Arm.
  Vor meinem inneren Auge spielten sich    Bilder ab, Situationen, in denen ich mich selbst sehen konnte. Langsam kehrte mein Verstand wieder in die Realität zurück und ich atmete tief ein.
„Mir war so schwindelig.", behauptete ich mühsam. Fiona blickte mir noch immer in die Augen, doch die Falten der Sorge auf ihrer Stirn waren weg. Ich kannte dieses Mädchen gar nicht, wieso also sorgte sie sich so um mich?
„Herr Schwarz meinte, ich solle nach dir sehen.", sagte sie und ich war mir nicht sicher, ob ich gerade laut gedacht hatte, oder das einfach ein blöder Zufall gewesen war.
Ich nickte. „Herr Schwarz... wer?"
  „Der Lehrer."
Ich nickte erneut.
  „Kannst du aufstehen?"
Wieder nickte ich.
  „Und es ist wirklich alles in Ordnung?"
Mir entging ihr musternder Blick nicht.
Doch ich nickte, mal wieder.
Kurze Zeit später stand ich sicher auf beiden Beinen, war wieder voll da und lächelte Fiona an, die mich noch immer prüfend ansah.
  „Vielleicht solltest du dich abholen lassen. Nicht, dass dir wieder so schwindelig wird."
Ich nickte, diesmal unsicher.
  „Ruf du deine Eltern an, ich gib dem Schwarz Bescheid."
Ich blickte ihr hinterher und griff nach meinem Handy. Als ich die Nummer meiner Mutter wählte kaute ich nervös auf meiner Lippe. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wie das Verhältnis zwischen uns nun war und malte mir alle möglichen Reaktionen aus.
Das eintönige Tuten wechselte sich gegen die Stimme meiner Mutter aus.
  „Ja Ema, was gibt's?"
Ich räusperte mich. „Mom? Kannst du mich von der Schule abholen? Mir geht's nicht gut, mir ist total schwindelig."
Ich hielt den Atem an und konnte sie am anderen Ende der Leitung seufzen hören.
  „Natürlich. Ich fahre los."
Sie fährt los. Gut.
Als sie aufgelegt hatte, atmete ich hörbar aus.
Ich ging zurück zum Klassenzimmer und öffnete ohne Klopfen die Tür. Alle Augen hafteten auf meinem Körper, als ich durch die Reihen ging und meine Tasche nahm. Beim Verlassen des Raumes wünschte mir jemand eine gute Besserung. Es versetzte meinem Herz einen Stich, weil ich wusste, dass es so schnell nicht besser werden würde, doch ich bedankte mich und gleichzeitig freute es mich, dass meine Klasse so nett war.
Ich verließ das Schulgebäude und damit schlug mir auch die Hitze ungezügelt entgegen. Die Luft war drückend und ich war mir sicher, dass es heute noch gewittern würde. Vielleicht kommt damit meine lang ersehnte Abkühlung.

Ich sah das Auto meiner Mutter um die Ecke biegen und löste mich aus dem Schatten, den mir die Bäume neben dem Eingang der Schule gespendet hatten.
Das Auto war klimatisiert und ich wischte mir unauffällig den Schweiß von der Oberlippe.
  „Wenn ich bei diesen Temperaturen so angezogen wäre wie du, würde ich auch schwitzen.", bemerkte meine Mutter kurz nachdem sie losgefahren war.
Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg und drehte meinen Kopf zum Fenster.
  „Mal ehrlich Ema. Zumindest bei uns zuhause, kannst du doch die lange Kleidung weglassen. Wir wissen es doch sowieso und... und wir wollen einfach nur ein Kind, dass sich wohl fühlt. Wir wollen, dass unsere Tochter sich kleiden kann, wie sie möchte."
  „Ich weiß, Mom. Aber ich möchte lange Kleidung tragen, weil ich mich nur so wohlfühlen kann.", entgegnete ich.
Ein Seufzen ging durch das Auto, dann Stille, eisernes Schweigen. Sie wollten eine Tochter, die sich wohl fühlt. Fühlte ich mich wirklich wohl? Nein. Und woran lag das? Keine Ahnung. Im Prinzip fehlte es mir an nichts. Ich hatte vieles, wovon andere nur träumen konnten, ich hatte definitiv genug, um zu überleben. Warum war ich dann so krank? Ja, ich war krank. Ich weiß, dass ich krank war. Aber oftmals wollte ich es nicht wahrhaben, nicht aussprechen, weil meine Definition von krank nicht auf mich zutraf. Ich meine, ich bin gesund. Sozusagen gesund und krank. Ich bin beides. Ich habe einen gesunden Körper, jedoch eine kranke Mentalität. Und beides als Zusammenspiel war mehr als verwirrend.
Plötzlich wurde es mir klar. Wie ein Geistesblitz.
Natürlich schien es mir an nichts zu fehlen, wenn ich immer und immer wieder aufzählte, was mein Körper brauchte, wonach er verlangte um funktionieren zu können. Allerdings machte ich mir nie Gedanken darüber, was mein Kopf brauchte, um gesund zu sein. Das war aber auch gar nicht so leicht, ich meine... was braucht ein Kopf schon?
Meine Gedanken, die ich persönlich als sehr geordnet und weniger durcheinander als sonst empfand, wurden durch die Tatsache unterbrochen, dass wir zuhause angekommen waren. Ich stieg schweren Herzens aus, darauf gefasst, gegen eine Wand aus Hitze zu laufen. Es war wirklich furchtbar warm und ich hatte das Gefühl, mit jedem Schritt den ich von der Garage Richtung Haustür mache, wurde es noch ein paar Grad wärmer.
Als ich im gekühlten Haus stand und meine Tasche neben mir auf den Boden fallen ließ, schnaufte ich erleichtert auf. War das eigentlich gesund für den Körper? Ständig von heißen Umgebungen zu kühlen Umgebungen zu wechseln? Machte es dem Körper überhaupt etwas aus?
Fragen über Fragen und mein Kopf brummte.
Ich ging in die Küche und griff nach einer Wasserflasche, die ich gierig in einem Zug leerte. Die kühle Flüssigkeit erfrischte meinen Körper von innen und ich genoss die wenigen Sekunden, in denen der kühlende Effekt anhielt. Dann nahm ich meine Tasche und stieg die Treppe hinauf in mein Zimmer.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich von der Schule gegangen war, schließlich wollte ich dieses Jahr gute Leistungen vollbringen und so viel Fehlzeit direkt am Anfang der Schule war kein gutes Omen. Ich konnte nichtmal nachfragen, ob es schon etwas zum Lernen oder selbstständig nachholen gibt, da ich von niemandem aus der Klasse eine Telefonnummer hatte. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schlug eines der Bücher auf, die ich letztes Schuljahr zusätzlich gekauft hatte. Es war Biologie, normalerweise ein Fach, das mir immer Spaß gemacht hat. Ich stöberte mich durch die einzelnen Themen, die das Buch aufgriff und befasste mich vor allem mit denen, die mir vom letzten Schuljahr noch bekannt vorkamen. All zu viele waren das leider nicht.
Als ich mich vor Müdigkeit ins Bett legte, fühlte ich mich unglaublich gut. Ich war stolz auf mich, dass ich mich aus eigener Motivation mit der Schule beschäftigt hatte und war überzeugt, dass diese Motivation anhalten würde.

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