28 - ... und geschrieben

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Dana

Seufzend ließ ich mich in das warme Wasser gleiten und schloss entspannt die Augen. Mira setzte sich sogleich an das eine Ende der Badewanne, wo sich mein Kopf befand, und begann wohlriechende Lotionen in mein Haar zu massieren. Eigentlich hatte ich ihr mitgeteilt, dass ich mich selbst baden konnte, doch sie bestand darauf mir die Haare zu waschen. Auch wenn es mir anfangs etwas unangenehm war nackt in einer Wanne zu sein, während mir jemand anderes die Haare wäscht, gewöhnte ich mich relativ schnell daran und genoss diese Behandlung nun.
»Ich hoffe, Ihr wisst, dass die ganze Dienerschaft Euch schon als ihre neue Prinzessin aufgenommen hat«, meinte die Schwarzhaarige auf einmal.
Auf der Stelle öffnete ich meine Augen wieder. Das Gesagte überraschte mich. Ich hatte mir nicht einen Gedanken darum gemacht wie mich die Angestellten im Palast aufnehmen würden. Dennoch tat es gut zu hören, dass wenigstens sie mich akzeptierten.
Lächelnd begegnete ich Miras Blick im Spiegel, der zu meinen Füßen lag. Stets wenn ich das junge Mädchen, das kaum älter als ich, wenn nicht sogar jünger, sein konnte, musste ich mir ausmalen, was sie wohl erleben musste, dass diese grausame Narbe ihr schönes Gesicht zierte.
Während sie mir weiterhin die Haare wusch, meinte sie leise: »Eines Tages werde ich Euch meine Geschichte erzählen, aber nur wenn Ihr mir im Gegenzug Eure erzählt.«
Ich nickte um ihr meine Zustimmung zu zeigen. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass sie ein ebenso großes Päckchen zu tragen hatte wie ich. Doch auch wenn ich vieles erlebt hatte, das man nicht unbedingt erleben möchte, trug ich diese Last meiner Vergangenheit nicht mehr alleine. Ich hatte Nicolas. Ich hoffte nur, dass Mira bald ihren Seelengefährten fand. Mir hatte die Begegnung mit meinem Gefährten geholfen, auch wenn ich mich vielleicht nie von meiner Vergangenheit befreien konnte, so musste ich wenigstens die Alpträume nicht mehr alleine durchstehen. Diese Begegnung, von der ich im ersten Moment solche Angst hatte, hatte wahrlich mein Leben verändert. Und das sowohl im positivem wie auch im negativem Sinne.

»Dana, du siehst so schön aus«, staunte Lina. Sie hatte Tränen in den Augen, als wäre dies meine Brautkleid und ich würde gleich vor den Altar treten.
Seit die Männer dort waren, hatte ich mich hauptsächlich in der Gesellschaft von Lina, Dominik und meinen Zofen aufgehalten. Jedoch musste ich auch oft die Anwesenheit der Königin erdulden. Ich war bloß froh, dass sie nicht zu der Anprobe meines Ballkleides gekommen war. Ihre beleidigenden Bemerkungen würde ich nicht mehr ertragen können.
»Lady Lina, wenn ich wünscht, können wir auch Euch ein Kleid nähen«, meldete sich Elaine. Hilfsbereit wie eh und je.
Schluchzend winkte diese jedoch ab. Zu aufgewühlt von meinem Anblick.
Anfangs hatte ich angenommen, dass Lina nur eine sehr emotionale Person war, doch mittlerweile vermutete ich, dass etwas anderes schuld an ihren Gefühlsausbrüchen war.
Senay zauberte ein Taschentuch hervor und hielt es der weinenden Blonden still hin.
»Danke«, brachte sie unter den Schluchzern hervor.
Während Lina sich allmählich fasste, wandte ich mich dem Spiegel zu. Vor mir sah ich eine junge, schöne Frau in einem noch schöneren Kleid. Um mir zu verdeutlichen wie ich, wenn es mir gefiel, beim Ball aussehen würde, hatten sie mir noch die Haare hochgesteckt. Einzelne Strähnen umrahmten von vorne mein Gesicht. Selbst die Augen hatten sie mir getuscht und dezenten Lidschatten im selben Ton wie auch mein Kleid war aufgetragen. Auf meine Lippen hatten sie eine Creme oder Lotion — ich kannte mich damit nicht wirklich aus — aufgetragen, damit sie weich waren und leicht glänzten. Wie wir schon oft festgestellt hatten, bräuchte ich kein Rouge, wenn Nicolas in meiner Nähe war und wenn ich dieses Kleid trug, dann würde er mich wahrscheinlich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.
»Viele Damen des Adels wagen es nicht in besonderen Farben auf einem Ball zu erscheinen«, erklärte mir Elaine, meine oberste Zofe, ruhig, während sie mir ein paar nicht vorhandene Falten im Kleid glättete, »sie tragen immer wieder dieselben Farben. Vor allem im Winter. Blau, dunkles Grün, Rot, doch nur, wenn sie einen der Männer verführen wollen. Eine vergebene Frau darf niemals Rot auf solch einer Veranstaltung tragen, zumindest nicht helles.«
»Die meisten tragen schwarz«, fügte Senay hinzu, derweil steckte sie mir den goldenen Haarreif, den Nicolas mir geschenkt hatte, in die Haare. »Als gehen sie zu einer Beerdigung und nicht zu einer Feier.«
»Doch niemand trägt ein Kleid wie Eures, Dana«, endete Mira und lächelte mich durch den Spiegel hindurch an, wie zuvor im Bad.
Die Worte meiner Zofen machten mich stolz und beklemmt zugleich. Ich freute mich, dass meine Zofen, die ich schon längst als meine Freundinnen betrachtete, sich solche Mühe und so viele Gedanken gemacht hatten. Ich fühlte mich stolz, als starke Frau vor die übrigen Adeligen zu treten. Zu zeigen, dass Nicolas keinen Bauerntölpel als Gefährtin vom Schicksal zu geteilt bekommen hatte. Jedoch nagte ebenfalls die Angst an mir. Ich würde auffallen. Mehr als das. Ich würde der Mittelpunkt des Balls sein, obwohl dieser primär für die Prinzessin von Luyelie veranstaltet wurde. Schließlich musste sie ihren Gefährten finden, sonst könnten Nicolas und ich niemals richtig zusammen sein. Allerdings beklemmte es mich, dass diese Feier ebenfalls dazu diente mich vorzuführen. Schließlich wollte jeder die Gefährtin von unseren Prinzen und zukünftigen König sehen und beurteilen, ob sie für diese Stelle geeignet war. Es würde mich nicht wundern, wenn einige der Adelsdamen versuchten Nicolas zu verführen. Bestimmt würde der Ballsaal morgen leuchtend rot sein.
Meines war golden. Jedoch nicht so ein übertriebenes, pompöses Gold, sondern ein dezentes, majestätisches Gold, das, wie mir meine Freundinnen eben versichert hatten, jedoch auf jeden Fall auffallen würde aufgrund seiner ungewöhnlichen Farbe.
Es reichte noch bis zum Boden, aber wenn ich die hohen Schuhe trug, die ich morgen den ganzen Abend tragen werde müssen, würde es diesen nicht mehr berühren. Es war schulterfrei, ein Herzausschnitt betonte mein Dekolleté, das mir recht freizügig vorkam, doch wunderschön aussah. Das Mieder war eng geschnürt, womit meine tiefe Taille, die das Kleid mit seinem Schnitt erzeugte, betont wurde. Ab der Hüfte ging das eng betonte Oberteil in einen weiten, frei fließenden Rock über, der sich um meine Beine bauschte. Außerdem bemerkte ich, dass das Gold in den Falten des Rockes dunkler, satter erschien. Am Dekolleté grenzte das dort wesentlich hellere Gold fast ins Weiße. Doch was mich am meisten ins Staunen versetzte war nicht das Kleid selbst, sondern die filigranen Handschuhe, die mir meine Zofen dazu kombinierten. Sie waren in denselben Goldton wie das Oberteil des Kleides. Helles fast weißes Gold, das leicht glitzerte. Es waren keine gewöhnlichen Handschuhe, die die Finger und den Unterarm bis über des Ellenbogen verdeckten. Sie bestanden hauptsächlich aus zarter Spitze. Ein dünnes Band umschloss meinen Mittelfinger und reichte bis zur Mitte meines Handrückens, wo es in die meine Hand und Arm umschmeichelnde Spitze überging. Diese verband sich auf der Innenseite meines Unterarms mit glänzendem Satin, der schließlich bis zur Hälfte meines Oberarmes reichte. Die Spitze reichte nur bis etwas unter dem Ellenbogen.
Lächelnd drehte ich mich vor dem Spiegel.
»Gefällt es Euch?«, fragte Senay.
Ich nickte wie wild. Auch mir stiegen die Tränen in die Augen vor Rührung. Sie hatten sich solche Mühe gemacht mir ein schönes Kleid zu nähen. Und sie hatten sich selbst übertroffen.
»Das freut uns«, lächelte Elaine.
Plötzlich wurde die Tür zu meinem Gemach aufgestoßen und die Königin trat ein.
»Eure Majestät«, sagten die Zofen sogleich und knicksten. Lina und ich knicksten kurz darauf.
Diese nickte nur abwesend. Ihr Blick schweifte durch den Rau, und blieb auf mir hängen. Ich stand auf einem kleinen Podest, auf das mich Elaine dirigiert hatte, damit sich das Kleid nicht am Boden bauschte.
Die Königin kniff ihre Augen zusammen. »Gold«, verzog sie ihren Mund.
Elaine sah mich kurz an. Ich erwiderte ihren Blick nicht, sah stattdessen auf die Falten meines Kleides, mit denen meine Finger spielten.
Kurz räusperte sich meine oberste Zofe und blickte dann mutig die Königin an. »Eure Majestät, verzeiht mir bitte mein unaufgefordertes Sprechen, doch ich wollte Euch nur den Grund für diese Farbe erklären, wenn Ihr es wünscht.«
Meine Augen wurden groß, als ich dies hörte. Wieso tat Elaine so etwas? Wollte sie sich ihr eigenes Grab schaufeln? Die Königin konnte sie auf die Straße setzen, nur weil sie es gewagt hatte unerlaubt zu sprechen.
Erwartungsvoll blickten nun alle die Königin an. Diese hob ihr spitzes Kinn leicht an und musterte die große Blondine aus eisblauen Augen. »Sprich«, war das Einzige, das sie dazu sagte.
Obwohl die Königin noch sehr ruhig und besonnen wirkte, bangte ich dennoch um Elaine. Was wenn der Königin der sogenannte Grund nicht gefiel? Was war eigentlich der Grund? Dass ich nicht in der Menge untergehen konnte?
»Eure Hoheit, würdet Ihr Euch bitte der Königin zuwenden?«, bat mich die Blonde höflich.
Vorsichtig drehte ich mich ganz zur Tür, in dessen Rahmen immer noch Nicolas Mutter stand. Diese musterte mich kritisch. Ich wusste nicht, ob sie etwas am Kleid auszusetzen hatte oder an mir. Nun ja, an mir hatte sie immerhin stets etwas auszusetzen.
»Seht Ihr wie das Gold am Dekolleté heller und femininer ist. Wir haben es mit etwas weiß vermischt um es aufzuhellen. Ab dem Satin-Rock ist das Gold dunkler. Die Falten bewirken, dass es so aussieht als ob das Gold an manchen Stellen dunkler beziehungsweise heller ist als an anderen Stellen. Damit Prinz Nicolas sich nicht möglicherweise wegen den entblößten Schultern seiner Gefährtin aufregt, haben wir noch diese zarten Spitzenhandschuhe angefertigt. Weiß gemischt mit Gold so wie am Dekolleté.«
Elaine erklärte ausführlich die einzelnen Parteien des Kleides als würde sie es verkaufen wollen, allerdings sah die Königin eher weniger beeindruckt aus.
»Und was ist nun der Grund, weshalb das Kleid nicht eine andere Farbe hat?«
Elaine lächelte professionell. »Gold ist eine machtvolle Farbe. Gold strahlt und macht aufmerksam. Wieso sonst sind Goldstücke mehr wert als Silberstücke? Wir möchten schließlich, dass unsere Prinzessin auffällt wie ein Stern am Sternenhimmel. Sie soll unter all den Menschen herausstechen. Deswegen die Farbe Gold«, schloss Elaine mit einem echten Lächeln.
»Und wenn die Menschen sie ansprechen?«, fragte die Königin nach einer Weile, in der niemand sprach.
Elaine runzelte verwirrt die Stirn. »Verzeiht mir, Eure Majestät, doch ich verstehe Eure Frage nicht.«
»Wenn sie auffällt, dann werden viele Menschen, viele wichtige und machtvolle Persönlichkeiten mit ihr sprechen wollen. Wie soll sie denn antworten, wenn sie nicht spricht? Wie soll sie denn jemals von anderen als Prinzessin oder Königin akzeptiert werden«, die Königin blickte mir geradewegs in die Augen, »wenn sie nicht spricht?«

Ich wusste nicht, ob ich dieser Frau jemals etwas getan hatte. Wahrscheinlich mochte sie mich einfach nicht. Wollte lieber die luyeliesche Prinzessin als Schwiegertochter haben. Oder sie kam mit meiner Stummheit nicht zurecht. Möglicherweise widerte in sie an, weil ich nicht sprach. Sie fand das wahrscheinlich abartig oder abstoßend.
Ich wusste nicht, was es war. Doch ich wüsste es gerne.
Nachdem sie diese vernichtenden Worte gesagt hatte, verschwand sie so plötzlich wie sie aufgetaucht war. Wie die Flut, die schnell und effektiv alles verwüstete, das an Land war. Alles mit sich riss, das Freude bereitete.
Sah ich das vielleicht zu düster? Lina und meine Zofen hatten versucht mich zu trösten, beteuerten mir immer wieder, dass Nicolas nicht zu lassen würde, dass mich deswegen jemand beleidigte. Doch ich wollte nicht auf ihn angewiesen sein. Nicolas war mein Gefährte, der Mann, der für mich bestimmt und auserwählt worden war. Ich hatte ihn zwar noch neue in meinen Träumen gesehen, weil ich erst sechzehn war und man erst mir achtzehn diese Träume bekam, doch ich wusste es ohnehin schon. Es war so klar für mich wie die Sterne am Nachthimmel.
Der König hatte mir erklärt, dass die Königin stark sein muss. Für ihren König, ihr Land und ihre Leute. Das Volk wollte bestimmt keine schwache Königin, die nicht einmal für sich selbst einstehen konnte. Sie wollten nicht eine Königin, die niemals sprach ...
Erschöpft setzte ich mich auf die Kante meines Bettes. Ich wollte es zwar nicht, aber die Worte der Königin setzten mir mehr zu als sie sollten. Ich hatte schon Angst, dass ich als Prinzessin und zukünftige Königin versagte. Ich hatte Angst als Nicolas Gefährtin zu versagen, obwohl ich dabei nicht einmal etwas tun musste! Wie sollte ich jemals Königin eines ganzen Reiches sein ...
Mein Blick schweifte betrübt im Zimmer herum, als er plötzlich auf eine schöne Schreibfeder auf meinem kleinen Schreibtisch fiel. Wenn ich mich schon nicht mit gesagten Worten ausdrücken konnte ..., wieso es dann nicht mit geschriebenen versuchen?
Mit diesem Gedanken setzte ich mich in den weichen Sessel vor dem Schreibtisch. Sogleich fiel mir auf, dass nicht nur eine Feder bereit lag, sondern auch mehrere Bögen Pergamentpapier. Ehrfürchtig strich ich über die leicht raue Oberfläche. Pergament war teuer und nur der Adel besaß Bücher aus Pergament und verschickte Briefe aus Pergament. Ich hatte bisher nur einmal Pergament zu Gesicht bekommen und das war als Nicolas mir einen Brief zukommen ließ, doch damals war ich zu sehr damit beschäftigt mir über meine Gefühle klar zu werden.
Vorsichtig um das schöne Pergament nicht zu beschmutzen, tunkte ich die Spitze der Feder in die Tinte.
Kurz stockte ich, wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Dann atmetet ich tief durch, dachte daran wie stolz Nicolas und vielleicht sogar der König auf mich sein würden, wenn ich mich mit der Königin vertragen würde, und setzte die Feder an.
Sehr geehrte Königin von Ilona, ...

Die stumme Prinzessin (alte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt