1 - Das Märchen beginnt ...

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Nicolas

Endlich hatte ich sie gefunden. Hier sah es genau so aus wie in meinen Träumen, in denen ich sie immer sah.
Ich war nervös. Meine Handflächen schwitzten wie bei einem Jüngling kurz vor seinem ersten Schwertkampf mit echten Klingen.
Jedoch hatte ich auch allen Grund dazu. Bisher hatte ich es zwar noch niemanden erzählt, aber jedes Mal, wenn ich meine wunderschöne Gefährtin in meinemTräumen begegnete, rannte sie vor mir davon. Ich zerbrach mir seit meinem achtzehnten Geburtstag, an dem die Träume begonnen hatten, darüber den Kopf, was das bedeuten sollte, ob ich was falsch machen würde im Bezug auf sie.
Vielleicht will sie dich einfach nicht, flüsterte eine leise, bösartige Stimme in meinem Kopf. Sofort vertrieb ich diesen unerwünschten Kommentar. Wie oft hatte mich dieser schlichte Satz zur Flasche greifen lassen? Ich wusste es nicht mehr, aber mittlerweile hatte ich die Zeit der Selbstzweifel, in der ich meine Sorgen im Alkohol ertränkt hatte, überwunden.
Ich stand nun hier. Am Hof meiner Zukünftigen. Meiner Prinzessin.
Ich seufzte wohlig auf. Wie schön das doch klang.
Endlich konnte ich sie in die Arme schließen. Sie mit Zuneigung und Liebe überschütten. Ich würde alles für meine Prinzessin tun.
Zwei lange Jahre hatte ich nur von ihr träumen können. Hatte sie nicht gefunden und war daran fast zu Grunde gegangen. Aber in diesem Moment, in dem ich meine Hand hob um den Türklopfer zu benutzen, war es vorbei. Hinter dieser Tür stand meine Prinzessin, meine Königin, mein Herz und meine Seele.
Schritte erklangen und die Tür wurde knarrend geöffnet. Es war so weit. Eine Person erschien im Türrahmen.
Sogleich überrollte mich Trauer und Enttäuschung um dann in Wut umzuschlagen. Es war doch dieses Haus! Es sah hier genau so aus wie in meinem Traum. Hier musste meine Prinzessin leben. Wo war sie?!
Mit geballten Fäusten um meinen Zorn unter Kontrolle zu halten musterte ich die Person vor mir. Warme braune Augen, die mich fragend und etwas verunsichert ansahen, früh ergrautes Haar, das von der harten Arbeit am Feld herrührte. Zu alt um die Mutter meines Mädchens zu sein und zu jung um ihre Großmutter zu sein. Herrgott nochmal meine Prinzessin war doch gerade einmal sechzehn. Jünger bestimmt nicht, da ich in meinen Träumen genug Zeit hatte sie mir anzuschauen. Schöne Kurven an den richtigen Stellen, kein solches Klappergestell wie die Damen des Hochadels. Ansehnliche, pralle Brüste und einen süßen, wohl geformten Hintern. Alles was ein Männerherz begehrt. Jedoch wollte ich mehr als nur ein hübsches Äußeres. Ich wollte eine Gefährtin für das Leben. Die mich beriet, wenn ich nicht weiter wusste. Mich unterstützte, wenn es darum ging das Land zu führen. Mich auffing, bevor ich am Boden ankam.
Ich wollte, dass sie mich liebte und sich von mir lieben ließ. Denn ich liebte sie schon jetzt, bevor ich sie überhaupt kennengelernt hatte. Ich hatte mich in das unschuldige Funkeln ihrer rehbraunen Augen verliebt. Sie war einfach perfekt. Perfekt für mich.
War es zu viel verlangt mein Gegenstück, mein Herz und meine Seele, endlich in den Armen halten zu dürfen?

"Wie kann ich Euch behilflich sein, Eure Hoheit?", fragte die Frau und knickste leicht vor mir.
Ach, sie wusste also wer ich war?
"Ich suche jemanden. Ein junges Mädchen um genau zu sein. Wohnt hier eines?"
Die Frau sah mich erschrocken an. Vielleicht lag ich ja doch nicht so falsch. "Ein junges Mädchen, Eure Hoheit? Darf ich fragen, wofür Ihr sie sucht?" Sie war recht blass geworden, als sie dies sagte.
Langsam löste sich meine Verspannung wieder, da es offensichtlich war, dass meine Prinzessin doch hier lebte. "Natürlich dürfen Sie das. Wenn Sie es erlauben würden ich und mein oberster Offizier das gerne drinnen mit Ihnen besprechen."
Eilig und etwas gehetzt nickte die Frau, dessen Namen ich immer noch nicht wusste und bat uns herein.
"Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten, meine Herren?", fragte sie höflich.
Charmant lächelnd nahm mein Offizier das Angebot dankend an. Ich lehnte ab, dafür war ich viel zu nervös. Ich wollte sie endlich sehen.
Als die Bauersfrau wiederkam, kam ich direkt auf unser Thema von vorhin zurück und erklärte ihr die Situation. "Wie Sie sicherlich wissen, hat jeder Mensch einen Seelengefährten, die seit der Geburt füreinander bestimmt sind. Man kann seinen jeweiligen Gefährten erst ab dem achtzehnten Geburtstag finden, da erst dann die Träume über den Gefährten beginnen. So weiß man wie der Gefährte oder die Gefährtin aussieht und in welchen Umfeld er oder sie ungefähr lebt. Nach jahrelangem Suchen habe ich endlich den Ort aus meinen Träumen gefunden. Und dieser Ort ist hier. Da ich mich schon sehr lange nach meiner Prinzessin sehne, würde ich nun gerne von Ihnen wissen, ob meine Suche hier endlich zu Ende ist. Nun, ist sie das?"
Die Frau vor mir sah mich geschockt an. "Ihr wollt mir also sagen, dass ... Ihr der Seelengefährte meiner Tochter seid?"
Also war sie doch die Mutter. Ernst nickte ich.
Die Frau nahm einen kleinen Schluck von ihrem Getränk und straffte dann ihre Schultern. Mit unnachgiebigen Blick sah sie mir direkt in die Augen. "Ich werde mich nicht gegen das Schicksal stellen. Das würde ich gewiss niemals wagen, jedoch werde ich Euch lieber gleich vorwarnen. Meine Tochter hat mit ihren jungen Jahren schon einiges durchstehen müssen und wird Euch nicht sofort freudig in die Arme springen. Sie wird Euch gegenüber misstrauisch sein und sich erst recht dagegen wehren Eure Seelengefährtin zu sein, sobald sie es erfährt. Ihr müsst verstehen, dass sie nicht wie die Frauen ist, die Ihr bis jetzt kennengelernt habt. Und wenn Ihr ihr wehtut, dann vergesse ich, dass Ihr der zukünftige König seid."
Ich musste leicht schmunzeln. Nicht nur, dass diese Frau es wagte mir zu drohen, nein, sie tat dies noch ohne Scham und das vor dem obersten Offizier meiner Leibgarde. Andererseits musste ich sie bewundern. Sie war, wie es schien, ein Witwe, hatte aus eigener Kraft den Hof geführt und ihr Kind großgezogen und laut meinen Träumen hatte sie dies gut gemacht. Sie war eine starke, eigenständige Frau, das musste man ihr lassen. Deshalb stand ich auch auf und sank vor ihr auf ein Knie, mit meiner rechten Hand auf dem Herzen und neigte respektvoll den Kopf, brachte mich damit in eine unterwürfige Stellung, und versprach ihr, für immer und ewig für ihre Tochter zu sorgen, sie zu lieben, und ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen bis über den Tod hinaus, ich sagte ihr, dass ich sie vor jedem Übel der Welt beschützen würde und alles was ich in diesem Moment gelobte, meinte ich auch mit meinem ganzen Herzen.
Als ich wieder aufstand, entfielen mir nicht die Tränen in den Augen der Mutter meiner Angebeteten. Sie nickte mir lächelnd zu. "Das hast du schön gesagt, mein Junge. Warte am Waldrand vor dem Haus auf sie. Ich vertraue darauf, dass du sie gut behandelst und ihr Herz eroberst", plötzlich legte sich ein Schatten um das Gesicht der Frau und sie sah mich traurig an, "Sie ist nicht wie die anderen Mädchen. Dennoch will sie wie diese behandelt werden, du musst selbst herausfinden wie du mit ihr umgehen musst, wenn du dies herausgefunden hast, dann hast du eine Chance."
Verwirrt über diesen rätselhaften Rat, verabschiedete ich mich von ihr um draußen auf meine Prinzessin zu warten. Henrik, mein oberster Offizier, blieb und leistete der Mutter Gesellschaft. Es war nicht zu übersehen, dass er ein Auge auf die Frau geworfen hatte. Aber ich gönnte es ihm. Seit seine Frau und sein Sohn bei einem Feuer ums Leben gekommen waren, hatte es für ihn nur noch seine Arbeit als Offizier gegeben. Vielleicht würde aus den beiden ja was werden und James kam endlich von seinem Einsiedlerleben weg.

Draußen blickte ich in Richtung Wald und hoffte, dass meine Prinzessin endlich zu mir kam. Die Erleichterung, dass ich doch am richtigen Ort war, wurde von der immer größer werdenden Anspannung vertrieben. Wo war sie bloß? Möglicherweise hatte sie sich verlaufen und fand nicht mehr alleine nach Hause? Oder sie war über eine Wurzel gestolpert und hatte sich am Knöchel verletzt? Und jetzt wartete sie sicher verletzt, hungrig und durstig im Wald auf Hilfe, die niemals kommen würde, da alle dachten sie würde selbst zurückkommen. Die Schreckensszenarien in meinem Kopf wurden immer mehr, blutiger und furchteinflössender als die davor. Ich war kurz davor durch zu drehen oder selbst in den Wald zu laufen um meine Prinzessin zu retten, da wurde ich auf einmal von einer starken Hand auf meiner Schulter aufgehalten.
"Ihr geht es gut", sprach James genau das aus, was sich mein Verstand weigerte zu glauben.
Ich blickte zu meinem Freund seit Kindertagen. Seine beruhigende Art hatte auch Lina, seine Frau und Seelengefährtin, für sich überzeugt. Sie beide hatten keine Woche gebraucht um sich ineinander zu verlieben und zu verloben. Ob ich meine Prinzessin genauso schnell für mich überzeugen konnte? Der rätselhafte Rat ihrer Mutter ging mir wieder durch den Kopf. Ich sollte meine eigene Art und Weise finden mit ihr um zu gehen. Was sollte das bedeuten?
Während mein Freund mich weiterhin zu beruhigen versuchte, überlegte ich wie ich mich am besten bei meiner Prinzessin vorstellte. Sollte ich gleich herausposaunen, dass ich der Kronprinz dieses Reiches war? Ich schüttelte den Kopf. Nein. Ich wollte, dass sie mich um meiner selbst liebte, nicht wegen meinem Titel. Aber ich glaubte auch nicht, dass meine Angebetete sich davon beeindrucken ließe. Ihre Mutter war es auch nicht. Anfangs war sie zwar nervös, - wer wäre das nicht, wenn ein Prinz mit einer halben Armee vor der Tür auftauchte - jedoch hatte sie ihre Unsicherheit sogleich abgelegt, als sie hörte, dass es um ihre Tochter ging. Sie war misstrauisch, da sie ihre Tochter nicht irgendwelchen Fremden anvertrauen würde, aber ich konnte sie glücklicherweise überzeugen, mir zu vertrauen.

Plötzlich spürte ich ein Kribbeln im Nacken, das mich dazu veranlasste mich umzudrehen. Als ich sie sah, stockte mir der Atem. Sie war noch schöner als in meinen Träumen. Sie trug ein bodenlanges, beiges Sommerkleid. Es war an der Taille mit einem kleinen Band geschnürt und zarte Träger hielten es an ihren schmalen Schultern. Ihre hellbraunen, schimmernden Haare fielen glatt bis zu ihrer Hüfte. Und dann sah ich in ihre faszinierenden Augen. Manch einer würde sagen braune Augen seien nichts Besonderes, aber ihre braunen Augen waren für mich die ganze Welt. Sie war meine Welt, mein Herz und meine Seele. Die Luft, die ich zum Atmen brauchte. Alles. Einfach alles war sie für mich.
Vorsichtig um ihr keine Angst zu machen näherte ich mich ihr. Sie fesselte mich mit ihrem Blick, der unschuldig und doch so erfahren wirkte. Als hätte sie Dinge gesehen, die sie mit ihren jungen Jahren noch nicht hätte sehen sollen. Wer auch immer ihr etwas angetan hatte, würde dafür mit seinem Leben bezahlen, dachte ich wütend. Niemand durfte meiner Prinzessin etwas tun. Oder er würde die Konsequenzen dafür tragen.
Ich war so sehr in meine düsteren Gedanken gefangen, dass ich es zuerst gar nicht realisierte, dass mein Mädchen weglief. Aber als ich nicht mehr ihre rehbraunen Augen sah, blieb ich stocksteif stehen. Es passierte. Das wovor ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Sie lief weg. Sie lief vor mir weg. Das konnte doch wohl nicht war sein! Ich dachte immer, dass wäre nur ein Traum, ein Alptraum, der niemals wahr werden würde. Aber als ich das im Wind flatternde Haar meiner Prinzessin sah, stürzte die Realität brutal auf mich ein.
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Nein. Ich würde das nicht einfach so hinnehmen. Sie war meine Seelengefährtin. Sie gehörte zu mir! An meine Seite.
Ohne noch eine Sekunde zu verschwenden rannte ich meiner Prinzessin hinterher. Ich würde sie schon für mich gewinnen. Egal wie lange es dauern würde. Sie würde mir gehören.

Die stumme Prinzessin (alte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt