26 - ... und für eine bestimmt

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Dana

»Dana, nicht trödeln! Du kannst später vor dich hin träumen, aber jetzt müssen wir alles für den Ball vorbereiten!«, schrie die Königin vom anderen Ende des Raumes.
    Obwohl ich durch Nicolas viel selbstbewusster geworden war, hatte ich mich bisher noch nicht getraut mich gegen die Königin und ihre unerschöpflichen Aufgaben zu stellen. Wenn ich Nicolas eines Tages heiratete — falls er mich überhaupt heiraten wollte —, würde sie meine Schwiegermutter werden und spätestens dann müssten wir einen Weg finden miteinander auszukommen. Deswegen versuchte ich alles um ihren Wünschen gerecht zu werden, auch wenn ich kurz davor war zu platzen. Oder besser gesagt mein Kopf, denn ich hatte noch nie in meinem Leben dermaßen heftige Kopfschmerzen.
    »Dana, wie lange brauchst du denn noch?«, hörte ich erneut die Stimme, die mir mittlerweile in den Ohren schmerzte.
    Sogleich ließ ich das Band, womit ich die Vase auf dem kleinen Beistelltisch schmücken wollte, sinken und wandte mich ihr zu. Sie stand mit verschränkten Armen vor mir und beäugte meine Arbeit.
    »Was soll das werden?«, kritisierte sie mich auch schon eine Sekunde später, »Ich sagte, die weißen Bänder sollst du an die Vasen mit den rosafarbenen Orchideen machen, nicht an die weißen! Muss man denn alles alleine machen?!«
    Erzürnt riss sie mir das Band aus der Hand und machte sich mit hektischen Bewegungen daran eine Schleife an die Vase daneben zu binden. Ich sagte nichts dazu — nicht, dass ich jemals etwas sagte —, doch selbst wenn ich wie jeder andere sprechen würde, würde ich vor lauter Ärger kein Wort herausbekommen.
    Ich verstand nicht, was ich dieser Frau getan hatte, dass sie mich dermaßen hasste! Mittlerweile hatte sie mir oft genug deutlich gemacht, dass sie an meiner Stelle jemand anderen sehen wollte, allerdings war es nicht meine Schuld, dass das Schicksal uns füreinander bestimmt und zusammengeführt hatte.
    Leise seufzend nahm ich ihr Gemecker deswegen einfach hin. Schließlich war sie die Mutter meines Gefährten und nicht zu vergessen die Königin meines Landes. Vielleicht würde sie irgendwann damit aufhören ... schließlich konnte ich trotz allem nichts dafür, dass Nicolas und ich füreinander bestimmt waren.
    »Hältst du es aus oder soll ich dich entschuldigen?«, fragte Dominik, der wie aus dem Nichts hinter mir auftauchte.
    Ich hatte meine Mühe damit mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen, auch wenn ihm dies wahrscheinlich bereits aufgefallen war. Als ich jedoch seine Worte realisierte, konnte ich nicht anders als gerührt zu lächeln. Zwar hatte Nicolas ihm aufgetragen auf mich aufzupassen, aber dass er so aufmerksam war, hatte ich nicht erwartet. Allerdings sollte mich das nach unseren gemeinsamen Tanzstunden nicht wundern, denn schon da hatte er mich vor Lady Blosos und der Königin beschützt, sofern es für ihn möglich war.
    Trotz der Tatsache, dass ich mich am liebsten bis ans Ende meiner Tage in irgendeinem Loch verkriechen wollte um der Königin zu entfliehen, schüttelte ich als Antwort auf Dominiks Frage den Kopf. Ich musste lernen mit ihr umzugehen und dies würde ich nur schaffen, indem ich mich ihr stellte und versuchte mich nicht unterkriegen zu lassen.
    »Dana, wo bist du jetzt schon wieder?!«, rief die Königin erneut von irgendwoher.
    Bevor ich mich auch nur umdrehen konnte, vernahm ich laute Schritte hinter mir. Plötzlich stand die Königin neben mir, doch ehe sie mich anschnauzen konnte, fiel ihr Blick auf den Soldaten auf meiner anderen Seite.
    Ihre fein säuberlich gezupften Augenbrauen zogen sich zusammen, sodass eine nicht sehr ansehnliche, senkrechte Falte dazwischen entstand. Doch so schnell diese erschienen war, verschwand sie auch schon wieder. Stattdessen machte sich ein unglaubwürdiges Lächeln auf ihren geschminkten Lippen breit.
    »Was verschafft uns die Ehre, Sir Dominik?«, sprach sie diesen überraschend freundlich an.
    Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich dies hörte. Die letzte Begegnung zwischen den beiden, ging nicht sehr erfreulich aus, deswegen irritierte mich diese höfliche Anrede der Königin.
    »Majestät«, verbeugte sich Dominik sogleich, »ich wurde von Eurem Sohn dazu beauftragt ein wachsames Auge auf seine Gefährtin zu haben und zur Stelle zu sein, falls sie etwas benötigte. Ich wollte nur sichergehen, dass es der Lady gut geht, da sie mir etwas blass erscheint.«
    Auf seine Worte hin, verließ tatsächlich sämtliche Farbe mein Gesicht. Nicht etwa, weil mir nicht wohl war, sondern weil mir dieses gefährliche Spiel, dass die beiden spielten, nicht sonderlich gefiel. Ich hatte Angst vor dieser bedrohlichen Seite von Dominik und die Anwesenheit der Königin, die dies verursachte hatte, machte es nicht besser. Stattdessen musste ich mir unwillkürlich vorstellen, dass Nicolas ebenfalls so sein könnte. So furchteinflößend und unberechenbar, wie diese beiden vor mir im Moment.
    Bei der Vorstellung, dass tief im Inneren auch in Nicolas so etwas ... Böses stecken konnte, begann meine Wunde am Unterarm zu jucken. Die Peitsche, die auf Nicolas Geheiß geschwenkt wurde und eigentlich für jemand anderen bestimmt war, jedoch mich traf, da ich dies verhindern wollte, erschien in meinen Erinnerungen. Die Wunde war mittlerweile gut verheilt, man sah nur noch leicht einen roten Striemen, der aber auch ein Kratzer sein könnte. Ich hatte Nicolas für seine Tat bereits längst verziehen, doch hatte ich immer noch Angst davor, dass er erneut blind vor Zorn oder Eifersucht einen anderen Menschen verletzten könnte. Ich wollte nicht, dass er jemanden verletzte, auch wenn dieser Wunsch naiv und dumm war, da er mich bloß beschützen wollte und sein Schwert niemals zum Spaß benutzen würde. Er war schließlich ein Prinz. Es war seine Aufgabe sein Volk zu beschützen. Doch hoffte ich, dass ich niemals diesen kalten Blick, den sich die Königin und Dominik gegenseitig zu warfen, in seinen Augen sehen musste.
    »Ach, Dana, wieso sagst du denn nichts?«, wandte sich die Königin plötzlich bestürzt mir zu. »Ach ja, ich vergaß, das kannst du nicht.«
    Ich spürte einen dicken Kloß in meinem Hals, aber ich würde ihr nicht den Triumph gönnen, mich weinen zu sehen. Normalerweise hatte ich keine Probleme damit auf meine Stummheit angesprochen zu werden. Es war ungewöhnlich, das war mir bewusst, doch würde ich nur deshalb nicht wieder anfangen zu sprechen. Mich verletzte eher die Tatsache, dass sie es so abwertend sagte und bewusst um mich zu verletzten.
    »Ich bringe Dana, dann in ihr Gemach, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, meinte Dominik harsch.
    Ohne auf eine Antwort zu warten, packte er mich am Arm und zog mich aus dem Raum. Ich war ihm dankbar, dass er mich aus dieser unangenehmen Situation befreite.
    Als wir die Treppe hochstiegen, ließ er von meinem Arm ab und fuhr sich gestresst durch die braunen Haare. »Verzeih mir, ich wollte dich nichts so anpacken. Das war nicht meine Absicht, ich bin nur so unfassbar wütend auf diese Frau«, gestand er mir zähneknirschend.
    Ich nickte verständnisvoll. Mein Oberarm schmerzte auch nicht besonders. Wie könnte ich auch auf jemanden böse sein, wenn dieser jemand mich gerade aus den Fängen eines wahren Drachens befreit hatte? Deswegen lächelte ich ihn leicht an.
    Er erwiderte es, doch durch seine zusammengebissenen Zähne, sah es ziemlich grotesk aus.
    Kurz vor meinem Gemach, fing uns schließlich einer der Palastwachen ab. Der junge Mann sah uns mit seinen dunkelblauen, äußerst wachen Augen entgegen.
    »Verzeiht, Eure Hoheit, aber der König möchte Euch sprechen. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, ich geleite Euch in sein Büro. Ihr werdet bereits erwartet«, verbeugte er sich mit einem freundlichen Lächeln.
    Überrascht schaute ich ihn an. Anschließend wandte ich meinen Blick zu Dominik. Der zuckte jedoch bloß mit seinen Schultern. »Ich warte dann vor der Tür.«
    Zusammen gingen wir zum Büro des Königs.
    »Herein«, erscholl die Stimme des Königs, als der Soldat an der massivem Eichentür klopfte.
    Zögernd betrat ich das Zimmer. Ich schaute mich unbewusst nach Dominik um, nachdem ich über die Schwelle getreten war. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. Ich wusste, dass er sich zu diesem Lächeln zwingen musste, da er schließlich immer noch Groll gegen die Königin hegte, doch er wollte mir meine Angst vor diesem Treffen nehmen und tatsächlich half mir dieses kleine, erzwungene Lächeln.
    Tief durchatmend trat ich in die Mitte des Raumes und wartete geduldig bis der König einige Dokumente zur Seite legte.
    Er verschränkte seine Hände miteinander und lehnte sich etwas nach vor. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass meine Frau dich erneut ziemlich«, er gestikulierte mit einer Hand, während er nach Worten suchte, »hart rangenommen hat.«
    Beschämt sah ich auf den Boden. Hatte Lina ihm dies berichtet oder sprach sich so etwas einfach schnell herum? Ich wusste nicht, was ich von dieser Art der Blöße halten sollte, schließlich war es mir ohnehin schon peinlich genug, dass mich alle als schwach und hilflos hielten.
    »Dein Blick sagt mir, dass es wahr ist, was man mir erzählt hat«, fuhr der König oder, wie ich ihn nennen sollte, Samuel fort. »Nun das ist keine schöne Nachricht. Ich dachte, dass wenigstens bei Nicolas Eleonore nicht denselben Fehler macht, doch offenbar hat sie nichts dazugelernt.« Seine Stimme war leise, sein Blick auf einen Punkt hinter mir gewandt. Er dachte anscheinend an etwas, dass er lieber vergessen würde.
    »Setz dich doch, Dana. Ich war in Gedanken und habe mal wieder meine Manieren vergessen. Verzeih mir, bitte«, sprach er nach einer Weile erneut.
    Nachdem ich mich auf den gepolsterten Stuhl vor seinem Schreibtisch niedergesetzt hatte, nahm er das Gespräch wieder auf.
    »Dana, du musst wissen, für mich bist du schon ein Teil dieser Familie. Ein Reich zu führen ist nicht leicht, deshalb brauchen wir einander, wir müssen einander unterstützen und Streit in der Familie ist in keiner Familie gut. Bei uns kann es jedoch verheerende Folgen haben. Die Bürde, die wir tragen, ist zwar schwer, schließlich dürfen wir nie lediglich an uns denken, sondern müssen uns um das gesamte Königreich sorgen, doch wir sind dazu auserkoren sie zu tragen. Und bisher haben wir dies meiner Meinung nach ziemlich gut gemeistert. Was meinst du?«
    Ich lächelte nickend. In Ilona herrschte Frieden und das war für mich das Entscheidende.
    »Das freut mich«, erwiderte er mein Lächeln. Dann runzelt Samuel die Stirn. »Das Einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, dass du dem Druck nicht standhältst. Nicolas versucht dich von allem und jedem zu beschützen. Das ist ehrenhaft von ihm und ich bin stolz, darauf einen so guten Jungen meinen Sohn nennen zu dürfen. Allerdings könnte dir das irgendwann mal zum Problem werden.«
    Er machte eine kurze Redepause um mich ausführlich zu mustern. Bisher hatte ich mich noch gut unter Kontrolle, aber innerlich fürchtete ich mich vor dem weiteren Verlauf des Gesprächs.
    »Als Königin musst du schwere Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die du nicht treffen möchtest. Aber du musst.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Leider«, meinte er seufzend, »wird das Amt der Königin unterschätzt. Viele denken die einzige Aufgaben, die ihr zustehen, sind einen Erben auf die Welt bringen und dem König zur Seite zu stehen, wenn dieser etwas brauchte. Dinge, die jede andere Hausherrin auch tun muss, aber das ist nicht wahr. Die Königin hat zwar nicht dieselbe Macht wie der König, doch nach ihm ist sie die nächst größere Macht. Sollte dem König etwas zustoßen, würde sie seinen Platz einnehmen bis der Erbe, wenn er alt genug ist, ihren Platz einnimmt. Verstehst du, was ich dir damit sagen möchte, Dana?«
    Der König schaute mir eindringlich in die Augen. Mir fiel in diesem Moment erst richtig auf, dass er anders als seine Frau und sein Sohn braune Augen mit grünen Sprenkeln hatte.
    Ehe ich ausführlich über seine Frage nachdenken konnte, sprach er schon weiter. »Ich möchte dir damit sagen, dass hübsch aussehen und Kinder gebären nicht ausreicht. Du musst lernen wie eine Prinzessin und später Königin zu denken. Nicolas kann dich nicht immer beschützen und gewisse Voraussetzungen musst du erfüllen, damit dich die anderen Adeligen akzeptieren. Ich denke, dass meine Frau dir das vor allem mitteilen wollte, auch wenn sie es auf die falsche Weise versucht. Sie weiß nämlich, wie ungerecht und voreingenommen manche der Adeligen sein können. Das musste sie schmerzlich am eigenen Leibe erfahren. Deswegen bitte ich dich, es nochmal mit ihr zu versuchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie dir eigentlich nur helfen möchte. Und das nächste Mal, wenn sie dich mit der Prinzessin von Luyelie oder irgendeiner anderen Adeligen vergleicht, hör nicht hin. Diesen wurden schließlich ihr gesamtes Leben lang beigebracht, wie sie sich zu benehmen haben. Dir nicht. Und trotzdem machst du deine Sache bisher mehr als gut.« Samuel beugte sich über den Tisch und legte seine Hand auf meine, die in meinem Schoß ruhten. »Du bist eine wundervolle Prinzessin und wirst eine noch bessere Königin sein.«

Die stumme Prinzessin (alte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt