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6: Unter Wölfen

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„Das ist der Grund, warum wir uns von ihnen fernhalten", bellte Ryan. Ich sah seine weißen Zähne hervorblitzen und zuckte zusammen. Er bemerkte meine Reaktion, beugte sich erst zu mir herab und schnalzte. „Sie hat Angst."

Oh ja, die hatte ich.

„Und was machen ängstliche Menschen, die womöglich noch verwirrt sind? Sie verraten uns, wie diese Frau es getan hat."

„Hat sie nicht", widersprach Joshua krächzend und krabbelte zu uns. „Du tust ihr weh!"

„Oh, das soll ihr bereits wehtun?", fragte er sarkastisch und quetschte meinen Arm so sehr, dass ich aufschrie. „Sehr bald wird sie gar nichts mehr spüren. Nie wieder."

„Nein!"

Mit einem gleißenden Lichtschwall verwandelte sich Joshua im Sprung in einen Wolf. Als seine Pfoten mit voller Wucht auf dem Boden vor Ryan aufkamen, jaulte er auf. Blut rann aus der frisch genähten Wunde. Im selben Moment, in dem er zusammenbrach, knallte ich zu Boden. Meine Sicht war noch verschwommen, aber mein Angreifer erst mal verschwunden und wie ich zu Joshua eilen wollte, stoppte ich. Ryan kniete neben ihm, presste seine Jacke gegen die blutende Wunde. Mir stockte der Atem.

„Das kommt davon, wenn du die Sache immer so impulsiv angehst", entgegnete der andere Mann ruhig. Damian, erinnerte ich mich. Er war so gelassen, obwohl hier das totale Chaos herrschte. „Josh, alles klar?"

Der Wolf winselte und ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um nicht zu ihm zu gehen. Allerdings hielt mich Ryans Anwesenheit davon ab. Allein sein Rücken flößte mir Angst ein. Durch den leichten Stoff des Shirts, das er unter der herunterrutschenden Kapuzenjacke trug, erkannte ich jede Muskelpartie. Und er besaß einige davon. Ihn nur ein kleines Bisschen mehr zu verärgern, würde meinen sicheren Tod bedeuten. Nein, eigentlich war es egal, was ich tat. Er wollte mich so oder so tot sehen.

Dennoch musste ich ihm zugestehen, dass ihm etwas an Joshua zu liegen schien. Er kümmerte sich um die Wunde und redete sanft auf den verschreckten Wolf ein. Kein Vergleich zu vorhin und der Art, wie er mich herumgeschleudert hatte. Ich kroch zurück in die Ecke zwischen Wand und Kühlschrank. Mein Arm pulsierte und ich wagte nicht, mir die Haut unter meinem Pullover genauer anzusehen.

Plötzlich drehte sich Ryan um, starrte in meine Richtung. Er mied jedoch Blickkontakt und baute sich auf. Selbst auf den Knien wirkte seine Erscheinung eindrucksvoll – eindrucksvoll in einem schlechten Sinne. Meine Panik kehrte auf der Stelle zurück und ich drängte mich dichter an die Wand, was ihn nicht davon abhielt, mir näher zu kommen. Die Erkenntnis, dass er unmaskiert war, traf mich erst jetzt. Seine kristallklaren, hellblauen Augen richteten sich kalt gegen mich. Eine Kälte, die ich nicht kannte und bereute, sie kennen gelernt zu haben. Seine Aura nahm den ganzen Raum ein, zwang mich zum Rückzug. Aber wohin, wenn nicht durch die Wand?

„Was jetzt? Was ist mit ihr?" Ryan sprach das letzte Wort mit so einem angewiderten Unterton in der Stimme aus, dass sich bei mir alle Nackenhaare sträubten. Seine Hand haschte nach meinem Arm, den ich ruckartig wegzog und dadurch mit dem Ellenbogen gegen die Wand knallte. Der Schmerz irritierte mich nur kurz, denn der Mann zerrte mich am Kragen meines Pullovers in die Höhe. „Wir müssen sie töten und zwar je schneller, desto besser für uns."

„Oder ..." Damian, dessen Gesicht noch immer gut verdeckt war, sprach ruhig und in einem geradezu melodischen Ton, wobei dieser seiner Stimme die Autorität nicht nahm. War er der Anführer? Gab es so etwas wie Alpha und Omega bei den Werwölfen überhaupt? „Oder wir nehmen sie mit. Für sie finden wir schon Verwendung."

Diese Wendung der Lage gefiel mir ganz und gar nicht. Ebenso wenig Ryan, dessen Griff sich um meinen Kragen festigte, dass der Stoff zwischen seinen Fingern knatschte. Ich wollte schreien, mich wehren und weglaufen, doch keiner meiner Muskeln reagierte auf mein Flehen. Das Einzige, wozu er in der Lage zu sein schien, war, wie ein Kartoffelsack herum zu baumeln.

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