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3: Doppelter Besuch mit Folgen

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Geradezu panisch krabbelte ich rückwärts und knallte unterwegs gegen einen Karton, den ich noch immer nicht weggeschmissen hatte. Vor mir saß ein Junge. Nackt, um es nochmals zu bemerken, was mir die Röte ins Gesicht trieb, obwohl er gerade einmal zwölf und damit mein kleiner Bruder hätte sein können. War er jedoch nicht. Vor wenigen Sekunden war er noch ein riesiger Hund auf meinem Sofa gewesen.

Wieder wollte er auf mich zukommen und ich versuchte instinktiv zurückzuweichen. Er verharrte in seiner Bewegung und ich in meiner. Wir starrten uns an. Ich wagte es nicht zu blinzeln. Was geschah hier? Das war doch ein schlechter Scherz oder im besten Fall ein komischer Traum. Ich schüttelte den Kopf, der von der langen Nacht schmerzte. Nein, das hier war real und gleichzeitig surreal.

„Bitte", flehte er und ich wartete ab. „Nicht weggehen und keinen rufen."

So richtig verstand ich nicht, was er von mir wollte. Mal davon abgesehen, dass mir niemand glauben würde, dass dieser kleine Junge eigentlich ein Hund war. Oder war der Hund ein Junge? Ich konnte eindeutig keinen klaren Gedanken mehr fassen.

„Ich ..." Meine Stimme versagte auf halbem Wege und zwang mir ein Räuspern auf. Dabei beobachtete ich, wie er zusammenzuckte. „Okay, ich werde hier bleiben und niemandem von dir erzählen. Aber du schuldest mir eine Erklärung." Er wirkte nicht, als wollte er mir jetzt und auf der Stelle seine Lebensgeschichte erzählen. „Na schön." Langsam und bedacht, ihn nicht zu erschrecken, richtete ich mich auf. Kurz vor dem Sofa ging ich wieder in die Hocke und platzierte eine Hand auf dem Polster nahe seiner Knie. „Ich würde vorschlagen, du schläfst heute hier und morgen sehen wir weiter. Irgendjemand wird dich schließlich vermissen. Wie heißt du denn?"

Er zog das Kinn an die Brust und igelte sich ein. Das verletzte Bein zitterte, die Naht hielt aber noch, was mich erst einmal beruhigte. Für eine neue Naht reichten weder meine Kenntnisse im Sockenstopfen noch in Erster Hilfe aus. Als ich über ihn griff, duckte er sich ruckartig und schrie auf.

„Alles in Ordnung", wisperte ich und zerrte an der Decke, die ich hinter die Lehne gestopft hatte. Dann deckte ich ihn damit zu, sodass nur noch seine Nasenspitze und die Augen zu sehen waren. „Wenn du was brauchst, klopf einfach an die Tür da." Ich deutete auf meine Schlafzimmertür, die gegenüber vom Wohnzimmer lag. „Und jetzt ruh dich aus. Du bist hier sicher."

In meinem Zimmer lehnte ich mich gegen die geschlossene Tür und rutschte an ihr entlang zu Boden. Was war hier nur los? Und der Abend hatte so gut angefangen. Ich wäre richtig produktiv gewesen, wäre früh ins Bett gegangen und morgen ausgeruht aufgestanden. Aber das hier war verrückt! Wie konnte so etwas überhaupt im Bereich des Möglichen liegen? Was sollten denn meine Freunde, meine Familie von mir denken, würden sie davon erfahren? Oder ich träumte wirklich. Diese Erklärung erschien selbst mir zu einfach. Das hier musste einen komplizierteren Ursprung haben.

Trotz der ganzen Aufregung und skurrilen Geschehnissen schlief ich recht schnell ein. Schneller sogar als an einem ganz gewöhnlichen Tag. Die Kissen rochen noch frisch von dem neuen Waschmittel und nach der Dusche fühlte ich mich – vergaß man den Schock danach – beinahe erholt. Ein leises Knarzen meiner Bodendielen, gefolgt von einem noch viel sanfteren Klopfen weckte mich wieder auf.

„Ja?", bat ich ihn herein, doch er stand weiterhin vor der Tür, also öffnete ich selbst. „Was ist denn?"

Ich rieb mir die Augen, ehe ich ihn erkennen konnte. Der Junge verlagerte sein Gewicht vom rechten auf den linken Fuß. Sein kleiner Körper war in der Decke, die ich ihm gegeben hatte, eingewickelt. Ich legte den Kopf schief, allerdings schienen ihn meine musternden Blicke zu verunsichern.

„Ich ...", sagte er und brach gleich wieder ab, schaute auf seine nackten Füßchen.

„Hast du Schmerzen?"

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