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2: Nicht das, was es scheint zu sein

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„Beruhigen Sie sich erst einmal, Miss Doyle", erwiderte eine tiefenentspannte, männliche Stimme am anderen Ende. Sie hallte ein wenig nach. „Haben Sie irgendeinen Hinweis auf den Besitzer des verletzen Hundes?"

„Nein."

„In Ordnung. Können Sie das Tier transportieren?"

„Ja, ich habe ihn bereits in mein Auto bekommen." Mein Blick schweifte zum offen stehenden Kofferraum, aus dem mich zwei braune Knopfaugen anschauten.

„Sehr gut. Ich gebe Ihnen die Adresse der Praxis und Sie können gleich vorbeikommen."

„Vielen Dank." Ich atmete auf und spürte mein Herz wieder schlagen. „Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir – nein, dem armen Hund helfen und das, obwohl es mitten in der Nacht ist."

„Das ist mein Job." Der Mann beschrieb mir den schnellsten Weg zur Praxis und informierte sich nochmals über die Wunde des Hundes. „Fahren Sie vorsichtig. Wir sehen uns gleich."

Sachte fuhr ich los und orientierte mich an der Wegbeschreibung, die mir der Arzt gegeben hatte. Die Straßen waren leer, die Ampeln außerhalb teils sogar aus. Eine kleine Seitenstraße, an der schon ein Schild mit einem Hund und einer Katze auf die Tierarztpraxis aufmerksam machte, ließ meinen Puls an Geschwindigkeit zunehmen. Das Gebäude kam mir nicht bekannt vor, aber es brannte Licht und ein weiteres Auto parkte am Straßenrand. Ich war überrascht, dass der Hund mich immer noch begleitete – aus dem Auto, über den Parkplatz und in die Praxis hinein, ohne dass ich ihn an der Leine hatte. Er humpelte so stark, dass wir sehr langsam vorankamen, doch tragen konnte ich ihn wirklich nicht.

„Kathleen Doyle?", erkundigte sich ein ergrauter Mann, der in der Tür wartete. „Ich bin Dr. Mayhew. Wir haben telefoniert, richtig? Wegen des verletzten Hundes ..." Sein Blick fiel auf eben diesen. „Kommen Sie herein, wir sehen uns das einmal bei Licht an."

Die Praxis war recht klein und vom Erdgeschoss führte eine Treppe ins erste Stockwerk. Dr. Mayhew schleuste uns durch ein paar enge Gänge in einen Behandlungsraum. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Gummihandschuhen stieg mir in die Nase. Der Hund blieb plötzlich stehen, wollte auf schnellstem Wege wieder aus dem Gebäude, doch ich stellte mich vor ihn.

„Schon okay", sagte ich und hockte mich auf den Linoleumboden. Er winselte und drückte seinen schweren Körper gegen meinen. „Ich bin ja bei dir. Es wird nichts Schlimmes passieren, wir sind hier, damit es dir besser geht."

Mit einem Hund zu sprechen, erschien mir weniger verrückt als meine Selbstgespräche und auch der Doktor schwieg. Er bat uns lediglich mit einer Handbewegung in das Zimmer. Der Hund wehrte sich etwas, ich schliff ihn am Nackenfell hinter mir her, aber auf den Behandlungstisch würden wir ihn auch zu zweit nicht bekommen.

„Ich hole meinen Assistenten", kündigte Dr. Mayhew an und beäugte das Tier skeptisch. „Dieser Hund hat viel Blut verloren. Wir werden sehen, was wir tun können. Würden Sie vielleicht lieber im Wartezimmer Platz nehmen?"

„Nein, schon in Ordnung", entgegnete ich. Der metallische Geruch des Blutes zwang mich dazu, erst zu schlucken, bevor ich weiterreden konnte. „Ich bleibe bei ihm."

Der Mann nickte und schloss die Tür hinter sich. Ich legte meine Hand an die Seite des Hundes und er zuckte zusammen. Leise sprach ich ihm gut zu und streichelte ihn zur Beruhigung. Mehr konnte ich nicht für ihn tun. Kurz darauf sprang die Tür auf und Dr. Mayhew trat gemeinsam mit einem jüngeren Mann herein. Sie stritten schon eine Weile, wie ich feststellte. Erst als der zweite Arzt den Hund betrachtete, verstummte er für einen Augenblick.

„Ein prächtiges Tier", entgegnete er. „Sehr gut gebaut und kräftig. Er wird die Narkose überstehen."

„Dem widerspreche ich, Dr. Teger. Wir sollten ihn von seinem Leid erlösen. Der Blutverlust und die mögliche Infektion sind Grund genug, dass wir ein verwildertes Tier nicht weiter quälen."

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