Kapitel 6

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Fünf Monate waren seit dem Überfall vergangen. Steve war aus der Untersuchungshaft entlassen worden und hatte die Stadt verlassen. Seine Mutter Olivia war mehrere Male vorbeigekommen und hatte sich für ihren Sohn entschuldig. Niemand konnte verstehen, warum er so durchgedreht war.

Geld verändert Leute.

Ihr Vorhaben mit den Geldumschlägen hatte sich als zu riskant erwiesen. Schnell war ihr jedoch eine andere Idee gekommen, um unauffällig Geld zu spenden.

Sie verkaufte ihre Bilder. Diese wurden von Tag zu Tag mehr und fanden großen Zuspruch bei den Tierheimen, in denen sie sie aufgehängt hatte.

Vierzig Bilder hingen nun im Haus ihrer Eltern, das sie zu einer Galerie umgebaut hatte. An die hundert Gäste tummelten sich auf den drei Etagen und sahen sich ihre Werke an, manche kauften sie sogar. Die Erlöse gingen an ausgewählte Tierheime.

Meine Bilder!, dachte Linda. Ihre Hände zitterten vor Aufregung und Freude.

Gerade hatte sie das erste Bild, das sie von Teddy gemalt hatte, verkauft, als sich jemand hinter ihr räusperte. Sie drehte sich um und stand einem jungen Mann gegenüber. Zwei hellbraune Augen blickten sie auf seltsam vertraute Weise an.

Er trug eine Jeans und ein schlichtes graues Shirt. Darunter konnte man einen sportlichen Körper erahnen. Kein Muskelprotz, eher drahtig wie ein Läufer. Sein Haar war so braun wie die Augen und benötigten dringend einen vernünftigen Haarschnitt.

»Schade, da bin ich wohl zu spät.« Er deutete auf den älteren Herren, der das Bild gekauft hatte.

»Oh, das tut mir leid. Sie hätten es reservieren können.«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich wusste ja nicht, dass Sie es wirklich verkaufen.«

Verwirrt runzelte sie die Stirn. »Alle Bilder in diesem Haus sind verkäuflich.«

»Na ja«, er zuckte wieder mit den Schultern. »Vielleicht kann ich es dem reichen Sack ja abkaufen.«

Schnell hielt sie die Hand vor dem Mund, damit er ihr Grinsen nicht sah. »Das sollten Sie nicht so laut sagen, sonst bekommen Sie das Bild nie von dem alten Sack.«

Er schenkte Linda ein jugendhaftes Lächeln. »Da haben Sie wohl recht. Übrigens, das sind alles wirklich schöne Bilder, Miss Stirling.«

»Linda bitte. Und vielen Dank, Mr. ...?«

»Fletcher, Adam Fletcher.« Er reichte ihr die Hand.

»Schön Sie kennenzulernen, Adam.«

»Die Freude ist ganz meinerseits.« Nur langsam löste er seine raue Hand von ihrer. Seine Augen glitzerten amüsiert. Sie verstand nur nicht warum.

Adam verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich mehr gelangweilt als interessiert um. Bis auf das Eine schienen ihn die Bilder nicht zu interessieren.

»Wenn ihre Eltern davon wüssten.«

Überrascht sah sie ihn an. »Sie kannten meine Eltern?«

»Nicht wirklich, aber ich habe viele Geschichten von Ihnen gehört.« Er zwinkerte ihr zu und begann, zu einer Wand mit vier Bildern zu schlendern. Sie zeigten Teddy mitten im Wald. Er musste die gesamte Zeit stehen und böse wirken. Es war ein witziger Tag gewesen. Seit dem Vorfall mit Steve war er ihr kaum von der Seite gewichen. Es war schwierig ihm zu erklären, dass sie ihn nicht im alten Golf mit in die Stadt nehmen konnte. Das arme Gefährt wäre unter der Last zusammengebrochen.

»Wie haben Sie es geschafft so nahe an den Wolf heranzukommen?«

Linda war nicht bewusst gewesen, dass sie Adam gefolgt war. »Wer sagt, dass ich nah an ihm dran war?«

Er fuhr sich durch das wilde Haar und schmunzelte. »Wie sonst konnten Sie die ganzen kleinen Details einfangen?«

Nun betrachtete sie ihn genauer. Wer war dieser Mann? Nicht sein Aussehen kam ihr bekannt vor, sondern seine Art sich zu bewegen.

»Vielleicht bin ich ja in den Zoo gegangen und habe ihn durch die Gitterstäbe gemalt.«

Er lachte auf. »So einen Wolf habe ich noch nie in einem Zoo gesehen. So einen Wolf hätte man gar nicht erst fangen können.«

»Ach, sind Sie etwa ein Wolfsexperte?«

»So etwas in der Art.« Er ging weiter und betrachtete ein Bild, auf dem sie Teddy im Profil gemalt hatte.

»Sie müssen die Brust pompöser malen.« Um zu verdeutlichen, was er meinte, streckte er seine eigene vor, als wäre er ein stolzer Ritter.

Nun musste sie lachen. »Wenn Sie es sagen.«

Er drehte sich um und betrachtete sie wieder mit diesem Blick, der ihr so unglaublich bekannt vorkam. Nur dieses Mal kam er einen Schritt auf sie zu und umfing ihr Gesicht sanft mit seinen Händen. Überrascht holte sie Luft.

»Eines noch Linda.« Seine Augen wurden heller. Atemlos sah sie ihn an, bevor er fortfuhr. »Bitte, bitte, nenn ihn nicht mehr Teddy. Das passt nicht zu einem großen bösen Wolf.«

Ihr fiel die Kinnlade herunter. Sie hatte niemandem von Teddy erzählt! Bevor sie reagieren konnte, gab Adam ihr einen federleichten Kuss auf die Wange und ließ sie los.

Während in ihrem Kopf ein Wirbelsturm aus Gedanken tobte, verschwand er aus der Tür.

Nein! Das konnte nicht sein. Er konnte doch nicht ... Teddy sein.

»Oh mein Gott!« Ohne auf die übrigen Gäste zu achten, rannte Linda Adam hinterher.

»Warten Sie!« Sie stürmte hinaus in den Vorgarten und sah sich hektisch um. »Adam? Teddy?«

Zwischen den dutzenden Autos der Gäste konnte sie niemanden entdecken. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust, während sie aus dem Tor hastete. Wieder rief sie nach Teddy, aber er tauchte nicht auf.

~ Ende ~

Vielen Dank, dass ihr die Geschichte bis zum Ende gelesen habt. Ich hoffe sie hat euch gefallen, wenn ja freue ich mich über einen Stern von euch =)

Kommentare und Kritik sind ebenfalls willkommen =)

Der Wolf und das MeerOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz