10 - Ein Stück Heimat

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„Hey, zappel nicht so. Es gibt keinen Grund nervös zu sein." Kian legte eine Hand auf Royas Knie, das unablässig auf und ab wippte. Seine Berührung bewirkte das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte. Sie beruhigte sie nicht, sondern brachte obendrein ihr Herz zum Rasen. Wenn sie ihm nur sagen könnte, was sie für ihn empfand, dass sie sich rettungslos in ihren besten Freund verliebt hatte. Sie riss sich am Riemen und versuchte zumindest äußerlich ruhig zu wirken, obwohl ihre Eingeweide Twister spielten.

„Du hättest ihnen sagen sollen, dass ich mitkomme", wandte sie sein.

„Aber dann würden wir ihre überraschten Gesichter verpassen und die will ich mir um keinen Preis der Welt entgehen lassen."

Kian lachte zufrieden und stellte sich vermutlich gerade die Mienen seiner Familie vor, wenn sie Roya erblicken würden.

Gestern hatten sie telefoniert und zur Abwechslung hatte er tatsächlich Zeit für ein langes Gespräch gehabt, bei dem er konzentriert, geradezu ausgelassen war. Doch als Roya vorgeschlagen hatte, am Sonntag zusammen Kaffee trinken zu gehen, hatte er eine Weile geschwiegen. Sie dachte, dass er nach einer Ausrede suchte, vielleicht nahm sie ihn nach all den Jahren zu sehr in Beschlag, und warf bemüht gleichgültig ein: „Ist okay, wenn du etwas anderes vorhast. Du musst nicht deine ganze Zeit mit mir verbringen, nur weil wir uns zufällig wieder begegnet sind."

„Dummkopf, ich möchte jede Menge Zeit mit dir verbringen. Ich habe nur Morgen tatsächlich schon was vor, aber ich hatte gerade eine grandiose Idee. Du kommst mit!"

„Mit wohin?"

„Nach Oxford zu meinen Eltern. Sie werden sich so freuen, dich zu sehen! Dass ich da nicht eher drauf gekommen bin!"

„Oh ja, ich würde sie schrecklich gerne sehen!", hatte Roya begeistert zugestimmt. „Was haben sie eigentlich gesagt, als du ihnen erzählt hast, dass wir uns wiedergetroffen haben?"

„Genau genommen hatte ich noch keine Zeit dazu. Das wird sie umhauen und Soraya erst!"

„Erde an Roya!" Kian legte seine zweite Hand auf ihr anderes Knie und blickte ihr tief in die Augen. Ihr wurde unter Berührung unerträglich warm und sie wandte sich ab. Dieses warme Eisblau, das ein Gegensatz in sich war, würde sie eines Tages noch um den Verstand bringen.

„Was, wenn sie mich nicht mehr mögen? Oder vor lauter Schreck umfallen?", warf sie besorgt ein.

„Roya, komm runter. Sie werden dich genauso lieben wie früher und niemand fällt vor Schreck um." Lachend schüttelte er mit dem Kopf, ließ endlich ihre Knie los und lehnte sich in seinem Sitz zurück.

Roya stand auf und öffnete das Fenster des Zugabteils, in dem sie saßen. Eine Weile betrachtete sie die Landschaft, die an ihnen im Eiltempo vorbeizog und stellte sich vor, wie es wäre, zugleich in der Zeit zurückzureisen. Sie würde als Elfjährige ohne Probleme aussteigen, ihren besten Freund neben sich und seine und ihre Eltern würden sie am Bahnsteig freudig erwarten. Doch nichts davon würde passieren. Sie fuhren nicht mal in die Stadt, in der sie aufgewachsen waren, sondern nach Oxford, in ein Leben, das Kian ohne sie gelebt hatte und in dem nur seine Familie auf sie wartete. Wobei nicht einmal das stimmte. Sie erwartete dort niemand, sie war die große Überraschung, das Kaninchen, das aus dem Hut gezaubert wurde.

„Roya, was ist los mit dir?" Kian hatte sich unbemerkt hinter sie gestellt, legte seinen Arm um ihre Taille. Seine Stimme war viel zu dicht an ihrem Ohr. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und er sah die Tränen, die unbemerkt in ihre Augen getreten waren.

„Ich musste an früher denken. Habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn wir zusammen nach Hause, also in unser altes Zuhause, fahren könnten", gab Roya mit brüchiger Stimme zu und Kian verstand.

Die Krieger von Arash  (pausiert)Where stories live. Discover now