Ron und die Maus

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Es war einmal eine kleine weiße Maus. Sie war im verbotenen Wald auf der Suche nach Beeren, als sie von einem Einhorn angehalten wurde. Das Einhorn war überrascht, denn es hatte noch nie eine weiße Maus gesehen. Die Maus erwiderte die Überraschung; sie hatte nämlich noch nie ein Einhorn gesehen.

"Lass uns gemeinsam überrascht sein", meinte das Einhorn.
"Nein", sagte die Maus, "Ich muss zurück ins Schloss. Dort werde ich gegessen."

"Wie?", fragte das Einhorn.
"Wieso solltest du zurück gehen, wenn du gegessen wirst?"

"Weil ich nur deswegen entstanden bin", antwortete die Maus und lief zurück zum Schloss. Doch die Worte des Einhorns gaben ihr zu denken. Eigentlich war es ein trauriges Leben. Sie wurde nur erschaffen, um gegessen zu werden.

"Hey!", hörte sie eine Stimme schreien. Dann fühlte sie, wie jemand sie aufhob und in den Mund steckte.

"Ihhhhhh!", ertönte eine zweite Stimme.
"Hast du gerade wirklich eine Maus gegessen, Ron?"

"Noiin", mampfte die angesprochene Person, "Nur eine Zuckermaus."

Die Maus fühlte sich unwohl. Dieser Ron, der sie verschluckt hatte, kaute sein Essen nicht und deswegen rumorte sie jetzt in seinem Magen. Da sie ein Zauberwesen war, tat ihr die Magensäure nichts an. Sie war immun dagegen. In dem Mageninhalt schwimmend überlegte sie, wie sie sich aus dieser Situation retten konnte, denn sie wollte ja nicht bei vollem Bewusstsein wieder rauskommen. Das war ihr dann doch zu viel des Guten.

Stattdessen wollte sie ihr Gehirn erweitern. Ein Versuch war es jedenfalls wert. Sie spreitzte ihre kleinen Krallen und schlug diese gewaltvoll in die Wände des Magens. Glücklicherweise schien Rons Magen einiges auszuhalten, bei dem Essen, was er zu sich nahm.

Mithilfe ihrer Krallen kletterte sie bis nach oben. Als sie in seinem Rachen angekommen war, merkte sie, wie sich Rons Körper versteifte. Die Maus verstand schnell, dass sie der Grund dafür war, denn sie, in seinem Rachen, verursachte ein Gefühl der Übelkeit. Schnell hievte die weiße Maus sich weiter nach oben, bevor Ron die Möglichkeit hätte, sich zu übergeben.

Im Kopf angelangt wollte sie von seiner Gehirnmasse etwas klauen, um sich selbst klüger zu machen. Doch als sie sich umsah, bemerkte sie, dass hier zu viel Platz herrschte. Das Gehirn dieses Rons war so winzig, dass sie es nicht über ihr kleines Mäuseherz brachte, ihm davon etwas zu klauen. Sie bekam Mitleid mit diesem Jungen. Er konnte ja nichts für seine unausgereifte Gehirnmasse.

Kurz dachte die Maus darüber nach, wieder nach unten zu klettern, doch sie entschied sich dagegen. Hier oben war es ziemlich bequem, sie würde nie wieder gegessen werden und sie würde auch nie die ekelhafte Erfahrung machen, ausgeschieden zu werden. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr schlecht und sie machte es sich automatisch noch gemütlicher auf dem Gehirn. Es war ziemlich bequem; nicht zu weich und nicht zu hart.

Nach einigen Tagen gemütlichen Hausens in Rons Kopf bildete sich in ihrem eigenen Kopf ein Wunsch: Sie möchte diesem Ron einen Gefallen tun, denn er trug sie täglich mit sich rum und kümmerte sich gut um sie. Nun ja, er wusste nichts von der Zuckermaus in seinem Kopf, aber dennoch war er ein gutes Zuhause. Sie würde sich gerne revanchieren. Nur fiel ihr nichts ein, was sie für ihn tun konnte. Trotzdem versprach sie sich innerlich, dass sie nicht aufgeben würde. Dieser Ron war ein guter Mensch und verdiente eine Gegenleistung.

Die nächsten Tage wurde sie aufmerksamer: Die Maus studierte seine Gewohnheiten, beobachtete ihn im Umgang mit seinen Freunden und passte im Unterricht auf. Sie lernte schnell Rons Stundenplan auswendig und freute sich auch auf einige Fächer. Am meisten mochte sie Verteidigung gegen die dunklen Künste. Zaubereigeschichte fand sie auch interessant, nur schien Ron die Angewohnheit zu haben, während dieses Unterrichts zu schlafen und da sie sich in seinem Kopf befand, konnte sie nicht aufpassen und der interessanten Geschichte folgen. Es hatte sie schon immer interessiert, wie die Zauberer gelebt hatten oder wann welches wichtige Ereignis war. Nur dank dieses Rons würde sie es nie mitbekommen.

Aber damit hielt sie sich nicht lange auf. Es gab noch so viele andere interessante Fächer, bei denen sie ihre kleinen Gehirnzellen aktivieren konnte.

Wissbegierig saugte sie jede Einzelheit auf, die sie erwischen konnte. Im Gegensatz zu Ron. Er strengte seine Zellen an, aber er konnte einfach nicht so viel aufnehmen. Die Zuckermaus bekam Mitleid mit ihm. Sie merkte, dass es ihn wirklich wurmte, dass er nicht so viel aufnehmen konnte. Auch seine Freunde zogen ihn ab und zu damit auf. Äußerlich zeigte er es nicht, er lachte mit ihnen, aber innerlich verletzte es ihn doch. Deswegen aß er auch so viel. Er wollte die fehlende Gehirnmasse mit Nahrung ausgleichen. Doch es funktionierte nicht.

Irgendwann wurde es der Maus zu viel. Als Ron wieder einmal nicht aufhörte zu essen, obwohl er eigentlich schon satt war, beschloss die Maus einzugreifen. Sie hantierte an dem Gehirn ihres neuen Hauses und sendete die nötigen Signale, die Ron dazu brachten, mit dem Essen aufzuhören. In dieser Nacht schlief sie nicht wie Ron, sondern überlegte weiter. Was sie heute getan hatte, fand sie beeindruckend. Konnte sie ihn einfach steuern? Morgen, versprach sie sich, würde sie es ausprobieren.

Und das tat sie auch. Im Unterricht, als die Lehrerin eine Frage an Ron stellte und er an ihr verzweifelte, weil er die Antwort nicht wusste, griff sie ein. Sie fummelte wieder an dem Gehirn rum und beantwortete die Frage mit ihm zusammen. Es machte sie wütend, dass alle Ron so überrascht anstarrten, weil er die Frage richtig beantwortet hatte. War es wirklich so erstaunlich? Nein, beschloss sie. Ab heute würde sich das ändern.

Und ab diesem Tag arbeiteten die Maus und Ron zusammen - ohne dass er überhaupt davon wusste. Er lieferte ihr ein Zuhause, auf das sie wirklich stolz war, und sie war für ihn die fehlende Gehirnmasse.

Seit diesem Zeitpunkt war Ron der beste Freund der Maus. Sie hatten ein schönes Leben zusammen. Doch bei den intimen Berührungen mit seiner Freundin und späteren Ehefrau sah die Maus weg. Es schickte sich nicht, dabei zuzusehen.

Und außerdem wollte sie ihren besten Freund gar nicht dabei beobachten. Immerhin musste sie täglich mit ihm klarkommen.

ENDE

A/N
Das entstand am 23.05. und 24.05., als meine Freundin Langeweile hatte und ich sie mit einer kleinen, ausgedachten Geschichte bei Laune halten wollte. Das ist für dich, Mondkruemel
Ich hoffe, du bist von der kleinen Zuckermaus immer noch angetan ^-^

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