Kapitel 9 / Tag 5

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Erschrocken reiße ich meine Augen auf und scanne den Raum. Alles ist unverändert bis auf eine kleine Flasche Wasser, welche zwischen meinen Füßen steht, sodass ich sie wie einst mein Handy hochhieven kann. Mit der Flasche in der linken Hand strecke ich meinen Kopf ihr soweit es geht entgegen. Gierig klemme ich den Deckel zwischen meine Zähne und drehe die Flasche bis sie offen ist. Durstig trinke ich die Hälfte des halben Liters und fühle mich allmählich besser. Ich bin durch den Schlaf relativ erholt und mein Wasserhaushalt ist vergleichsweise ausgeglichen. Fragt sich nur wie lange noch. So wie ich Logan kenne wird er mich dieses Mal nicht verschonen. Nachdenklich blicke ich die Kamera an. Sitzen da draußen Chin, Kono, Danny und Steve und schauen mich an. Haben sie alles gesehen? Lautlos forme ich mit meinen Lippen ein: „Es tut mir leid". Ich möchte kein Aufsehen erregen und deswegen ruht meine Stimme erst einmal. So eine zweite Spritze kann ich nicht unbedingt gebrauchen. Dann fällt mir ein, dass gestern meine Lippe aufgeplatzt war. Diese kleine Verletzung erscheint mir in dieser ganzen Situation so nebensächlich. Sie tut nur ein wenig weh, da Lippen ja schnell heilen. Mein Veilchen von der kleinen Auseinandersetzung beim Joggen wird wohl auch besser sein. Körperlich geht es mir also gut. „Aber geistig nicht!", flüstert mir die kleine Stimme in meinem Kopf. Die ganze Sache mit Jackson ist wieder so real wie nie und es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen. Der Schmerz ist wieder genau so präsent. Ich vermisse Steve, obwohl er noch nicht mal mein offizieller Freund ist. Ich habe definitiv Gefühle für ihn und ich hoffe er auch für mich. Auf jeden Fall hatte noch nie jemand so einen Einfluss auf mein Verhalten und meine Gedanken wie er. Es tut mir im Herzen weh meine neu gewonnenen Freunde zu belasten und sie unweigerlich verlassen zuhaben. Sie haben mir seit dem ersten Moment das Gefühl gegeben angekommen zu sein und vor allem gemocht zu werden wie ich bin. Meine Familie. Ich habe das Gefühl, dass mir all meine Gesichtszüge entgleiten. Schnell blicke ich zur Kamera und gucke in die kleine, dunkle Linse. Geht es ihnen gut? Bedroht Logan sie dieses Mal wieder. Sie müssen unbedingt in Sicherheit sein. Ich schaue auf und blicke erneut direkt in die Kamera. „Meine Familie", forme ich mit meinen Lippen und hoffe, dass es jemand am anderen Ende versteht. Sie müssen es verstehen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie wie letztes Mal ihr komplettes altes Leben aufgeben und wieder umziehen müssten. Es muss ihnen einfach gut gehen. Nachdenklich beiße ich auf meiner gerade so verheilten Lippe herum. Der Schmerz der davon ausgeht hält mich bei Sinnen. Nachdenklich trinke ich noch umständlich ein paar Schlucke Wasser.

Nach einer Weile öffnet sich die Tür wieder und die Frau betritt mit einem Koffer erneut den Raum. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen geht sie an mir vorbei und öffnet ihre Tasche. Dadurch dass ich gefesselt bin, kann ich wenig sehen, da es mir nicht möglich ist mich umzudrehen. Sie holt verschiedenste Spritzen aus ihrem Koffer und einen Stab von welchem Stromstöße ausgehen. Ich kenne diese Teile. Dann kommt sie mit klackernden Absätzen auf mich zu undrammt mir eine Spritze in den Nacken. Ich warte auf die Wirkung doch nichtspassiert. Ich spanne mich vollends an. „Liebe Grüße von Logan", berichtet sie mir mit einer desinteressierten Stimme. Da hat er ja eine engagiert. Eigentlich ist sie perfekt für diesen Job, da sie so nie Mitleid für mich entwickeln wird. Wieso ist er so verdammt clever und durchgeplant? Dann dreht sie sich wieder weg und fängt an ihre Foltergeräte vor mir fein säuberlich auf den Boden zu legen. Nachdem sie damit fertig ist, zieht sie mir meine Schuhe samt Socken aus. Die Kälte,welche von dem kargen Betonboden ausgeht, zuckt sofort durch meinen Körper. Angespannt fahre ich mit meinen Füßen in kaum merkbaren Bewegungen auf und ab.Ich spüre jede Ungleichheit dieses schrecklichen, rauen Bodens. Wieder fange ich an auf meiner Lippe herumzukauen. Dann zückt sie ein Messer. Ich verfolge mit jedem meiner Blicke ihre Bewegungen. Was hat sie vor? Schritt für Schritt kommt sie auf mich zu. Fängt erst an die Fessel von meinem linken Bein zu entfernen, dann wendet sie sich meinem rechten zu. Das kann doch nicht wahr sein. Denkt sie so mir mehr Schmerzen zufügen zu können, wenn unter den vermutlich kommenden Stromstößen meine Beine unkontrolliert gegen die Stuhlbeine knallen? Gemächlich setzt sie die Klinge an der Fessel meines rechten Beins an. Mit einem reißenden Geräusch schneidet sie durch das Material. Dann ist die Fessel gelöst und instinktiv schlinge ich meine Beine um die Kehle der immer noch hockenden Frau und drücke zu. Sie reißt ihre Augen auf. Damit hat sie wohl nicht gerechnet und mich ziemlich unterschätzt. Nach Luft schnappend krallt sie sich um meine Fußknöchel und kratzt mit ihren langen Fingernägeln. Sie versucht zu schreien doch scheinbar sind ihre Lungen wie leergepumpt. Langsam weicht ihr die Farbe aus dem Gesicht, aber ich lasse nicht nach, sondern verstärke den Druck um ihren Hals. Durch meinen Selbstrettungstrieb ist mein Körper voll mit Adrenalin gepumpt, sodass ich ungeahnte Kräfte zu scheinen habe. Mit einem letzten Blick verdrehen sich ihre Augen widerlich und ihr straffer Körper wird schlaff und ihre Muskeln erschlaffen. Sie ist tot. Ich habe sie getötet.Mit einer Waffe jemanden zu töten ist immer noch weitaus unpersönlicher, als das. Für einen kurzen Moment verharre ich. Doch dann handle ich unwillkürlich intuitiv. Da ich noch an Armen und Oberkörper gefesselt bin, muss ich mitmeinen Füßen an das Messer, das vor mir neben der Leiche auf dem Boden liegt,kommen. Ich strecke meine Beine so sehr, dass ich das Messer über den Boden zu mir her schleifen kann. Wie einst mein Handy und die Wasserflasche hieve ich es vorsichtig, aber trotzdem um ein gewisses Tempo bemüht, hoch und befreie mich anschließend. Kurz reibe ich mir sitzend die schmerzenden Handgelenke, packe mein Handy und sehe mich nochmal in diesem Raum um, während ich meine Schuhe wieder anziehe. Meine blutende Haut an den Fußknöchel nehme ich gar nicht richtig wahr. Ein letztes Mal schaue ich in die Kamera und stürme schon los.Hinter der Tür geht es nach rechts und links. Ich vermute die Frau ist von rechts gekommen also laufe ich in die Richtung. Der Flur ist leer. Niemand scheint Wache zu stehen.

Nach circa 200m unterirdischer, klammer Gänge sehe ich eine Wendeltreppe vor mir.Ganz behutsam gehe ich sie hoch und öffne nach etlichen Stufen, welche mir klarmachen wie tief unter der Erde ich war, erblicke ich ein Plattform und eine sehr massive Stahltür. Plötzlich höre ich Gebrüll aus dem Gang, aus dem ich kam, zu mir her dringen. Sie haben es entdeckt. Schwere Schritte toben heran und es sind viele. Mit all meiner Kraft schiebe ich den Stahlriegel nach hinten und drücke die Tür mit meinem ganzen Gewicht auf. Im hintern Augenwinkel kann ich erkennen, dass in etwa 15 schwer bewaffnete Männer am Fuß der Treppe angekommen sind und hochstürmen. Schnell trete ich in die frische Luft heraus und drücke die Tür wieder zu. Es ist dunkel. In Windeseile sehe ich mich so gut wie möglich um. Ich bin mitten auf einer riesigen Lichtung in einem Wald. Nach Deckung suchend sprinte ich los. Ich muss kurz telefonieren. Im Wald werdeich wieder kein Netz haben. Auf dem Weg hinter ein paar Ölfässer schalte ich mein Smartphone wieder ein. Dort angekommen kauere ich mich dahinter.          

Ich wähle hastig Steves Nummer. Nach einem Klingeln hebt er schon ab und ich höre eine weibliche Stimme, die ich aber nicht einschätzen kann. „Emma?", fragt er Bruchteile, nachdem er abgenommen hat und nachdem ich diese Frauenstimme gehört habe. „Steve!Wo bist du?", frage ich verzweifelt, aber bemüht nicht panisch zu klingen. „Zu Hause, aber ich bin nicht alleine. Was ist denn los? Wo bist du? Geht es dir gut?". Kraftlos sinke ich in mir zusammen. Ich hätte es besser wissen müssen.„Es tut mir leid, Steve", sage ich noch, bevor ich meinen Arm sinken lasse und mir das Handy aus der Hand in meinen Schoß gleitet und ich in ein tiefes, inneres Loch falle. Am Rand vernehme ich undefinierbare Wortfetzen von Steve,aber ich bin wie versteinert. Langsam laufen mir einzelne, lautlose Tränen die Wange herunter. Ich bemerke den Schein der Taschenlampen von meinen Verfolgern. Langsam stehe ich auf. Dass das Handy scheppernd auf den Boden fällt, bekomme ich nur halb mit. Ich gehe mit erhobenen Händen aus meiner Deckung. Jetzt ist es vorbei. „Das ist sie!", brüllt einer der Verfolger. Ich lasse mich mit immer noch erhobenen Händen auf die Knie fallen; bereit abgeführt zu werden. Rabiat schnürt mir einer der Männer mit Kabelbinder die Hände ab, aber verziehe keinen Muskel in meinem Gesicht. Ich könnte mich wehren, aber ich tu es nicht. Ich fühle mich unendlich leer und gleichgültig. Ich blicke auf den Boden, aber ich höre, dass jemand mein Handy zerstört, indem er es zertritt. Steve.        

Was mich zum Aufgeben meiner Selbst getrieben hat? Steve hat eine andere und scheint mir die Sorge nur vorgespielt zu haben. De facto geht es ihm gut und somit den anderen auch. Ich bin ihnen egal. Meine Gedanken verdrehen sich. Kurz werde ich wieder Herr meiner Selbst. Was tue ich hier? Was denke ich überhaupt? Das bin nicht ich. Alles dreht sich und ich kann nichts mehr erkennen. Die ganzen Männer um mich herum sind ein einziger Strudel. Der letzte klare Gedanke bevor ich umkippe ist: Was zur Hölle hat die Frau mir gespritzt? Dann lassen meine Sinne wieder nach und ich gebe mich der kommenden Halluzinationhin. 

'A'ohe loa i ka hana a ke aloha - Liebe kennt keine GrenzenUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum