afthermath

665 43 2
                                    

   Mein Herz bleibt stehen.
Ihre Worte treffen mich so hart gegen die Brust, dass es aufhört zu schlagen.
Im ersten Moment bin ich geschockt und ich lasse mich neben der Tür zu Boden sinken. Meine Hände beginnen zu zittern und ich lege sie nah an mein Herz. Meine eigene Mutter soll mich so hintergangen haben? Wieso?
Dann beginnt es wieder zu schlagen. Langsam aber stetig.
   Das Gerede von ihr uns Steve höre ich nur leise im Hintergrund, dazu ist das Pochen in meinem Herzen einfach zu laut. Meine Welt viel zu verschwommen durch die Tränen, die sich einen Weg aus meinen Augen bahnen.
Wie kann meine eigene Mutter mir mein ganzes Leben zerstören? Wie konnte ich nur so dumm sein, ihr zu vertrauen. Natürlich vertraut man seiner eigenen Mutter. Sie ist immer für einen da und manchmal auch die einzige Person, die zu einem steht. Nur bei mir muss wohl etwas falsch gelaufen sein. Sie ist die einzige Person, die gegen mich ist. Dalias Schritte höre ich gar nicht, als sie kommt um nach mir zu sehen.
   „Die heiße Schokolade braucht aber schon ganz schön lange... Oh mein Gott, Bine. Was ist passiert?"
   Das Lächeln schwindet sofort aus ihrem Gesicht und es macht sich Sorge darin breit. Die heiße Schokolade ist längst vergessen. Ich schüttle den Kopf, weil ich es selbst noch nicht begreifen kann. Wenn ich es jetzt ausspreche, dann ist es wahr und dann weiß ich nicht mehr ob ich jemals noch irgendjemanden vertrauen kann, wenn ich es nicht mal bei meiner Mutter kann. Ich will es nicht wahrhaben. Es ist alles nur ein großer Traum, der so real ist, dass ich glaube darin gefangen zu sein und nie wieder aufzuwachen.
   Dalias zierliche Hand greift an die Türschnalle über mir, die in die Küche führt. Zu der Person, die mir das angetan hat. Ich kann sie jetzt nicht sehen. Meine Hand schließt sich um Dalias Handgelenk und ich schüttle verzweifelt den Kopf. Sie versteht und zerrt mich daher an den Händen nach oben. Ich falle ihr sofort in die Arme und meine Tränen beginnen wieder zu fließen. Mehr als zuvor.
   „Hey, alles wird gut. Wir gehen jetzt in dein Zimmer und dann erzählst du mir was passiert ist, ok?", sagt sie sanft und streichelt meinen Rücken. Gut, dass meine beste Freundin bei mir ist. Bei ihr kann ich mir wenigstens sicher sein, dass sie immer zu mir steht und nur Gutes für mich will.
   „Meine Mutter war's.", sage ich mit gebrochener Stimme und versuche mich zusammen zu reißen als wir uns auf meinem Bett niederlassen. Dalia legt sofort einen Arm um meine Schulter und versucht mich zu trösten. Ihr verwirrter Gesichtsausdruck trifft meinen und ich vergrabe mein Gesicht wieder in meinen Händen. Ich kann es nicht zurückhalten. Die Tränen wollen einfach nicht stoppen und ich lasse alles raus. Lehne meinen Kopf an die Schulter von Dalia, die mir sanft übers Haar streicht und beruhige mich nach einer Weile wieder.
   „Was war deine Mutter?"
   „Sie hat..."
   „Hat sie dich geschlagen? Mensch, jetzt sag doch was los ist."
   „Als sie mein Handy in Beschlag genommen hat, da hat sie Jasper...sie hat ihm eine SMS geschrieben mit gemeinen Sachen und...er dachte sie sei von mir. Dann hat er mir geantwortet, du weißt schon, dass was ich heimlich gelesen habe. Er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Er... ich. Er war wahrscheinlich genauso enttäuscht und zerbrochen wie ich."

Ich dachte immer Mütter wollen das Beste für ihr Kind. Dessen bin ich mir nicht mehr so sicher, denn was sie getan hat war Verrat und ich weiß nicht ob ich ihr das jemals verzeihen kann. Sie ist mein Fleisch und Blut.
   Dalia versucht mich so gut es geht aufzumuntern. Ihre Witze bringen mich sogar zum Kichern. Wir verlassen das Haus nachdem ich mich etwas frisch gemacht habe und gehen in die frische Natur. Mein Herz schmerzt noch immer doch ich versuche es im Zaum zu halten. Ich kann ja doch nichts dagegen tun. Ich versuche einfach an etwas Anderes zu denken und Enten mit meiner besten Freundin zu füttern tut das ein bisschen. Es ist zwar schon so kalt draußen, dass ich meinen Atem sehen kann aber ich würde gerade nichts lieber machen.
   Wenn die Phase erst einmal vorbei ist, dann kann sie sich auf etwas gefasst machen. Ich werde das so einfach nicht hinnehmen.
   Das Brot geht zur Neige und ich komme unweigerlich wieder auf das Thema zurück. Ich muss an Jasper denken und mahle mir aus wie es für ihn gewesen sein muss.
   „Ich muss ihn unbedingt erreichen. Er weiß doch gar nicht was los ist. Er glaubt, dass ich nichts mehr von ihm will. Oh mein Gott." Die Panik fährt wieder in mich und ich fühle mich so hilflos. Irgendetwas muss ich tun können um Jasper die Wahrheit zu sagen. Seine Nummer ist gesperrt und er hat mich geblockt. Dalia nimmt mich am Arm und dreht mich zu sich um.
   „Aber was hast du denn vor?", fragt sie besorgt. Ich schüttle den Kopf.
   „Ich muss wieder zu ihm fliegen und ihm alles erklären." Eine Schnapsidee, aber das ist das einzige was mir in den Sinn kommt. So kann ich alles so schnell wie möglich wieder klären. Ich bin so aufgeregt, dass ich Schnappatmung bekomme und Dalia mich beruhigen muss.
   „Aber doch nicht jetzt. Bine, bitte beruhige dich. Langsam ein und aus atmen. Bine, lass doch erst einmal alles sacken. Wir haben Schule." Ich sehe in ihre ruhigen Augen und versuche mich wieder abzureagieren indem ich langsamer atme und meine Gedanken ordne. Ihre Worte machen Sinn.
   „Du hast ja recht. Aber jede Zelle meines Körpers zieht mich zu ihm hin."
   „Ich weiß. Und wenn ihr wieder zusammen seid, dann stellst du ihn mir vor. Ich wollte immer schon einen Star kennenlernen."

Ihr Optimismus gefällt mir.

***

Ich kann nicht glauben, dass die erste Schneeflocke ihren Weg in mein Haar findet. Der Winter steht vor der Tür und zeigt mir, wie viel Zeit bereits wieder vergangen war seit dem Vorfall mit Jasper. Die Blätter haben sich ohne ihn verfärbt und sind auch ohne ihn auf dem kalten Boden gelandet. Die Nächte wurden ohne ihn länger und es fing auch ohne ihn an zu schneien. Dabei hätte ich nichts lieber gehabt, als all diese Dinge mit ihm zu erleben auch wenn es nur über den Bildschirm gewesen wäre. Mir wäre es egal gewesen, auch wenn wir vielleicht herausgefunden hätten, dass uns eine Fernbeziehung nur weiter auseinanderbrächte. Aber so weit kam es dank meiner geliebten Mutter nicht. Findet den Sarkasmus.
   Ich kann es immer noch nicht glauben. Der Verrat lässt mich innerlich zerfallen. Dennoch gehe ich gefasst ins Haus, stelle mich direkt vor sie und sehe ihr in die Augen.
   „Kann ich mit dir reden?", frage ich meine Mutter. Ich habe mich gefasst. Ich werde nicht ausflippen. Denn all meine Gefühle sind weit weg gesperrt. Wenn ich es mir oft genug vorsage, wird es auch wahr. Es ist fast zum Lachen, wie sie mich besorgt ansieht und nickt. Wie sie so tut als hätte sie nicht gerade mein Leben sabotiert.
   „Aber natürlich, Schatz." Wir gehen ins Wohnzimmer und setzen uns auf die Couch. Dann beginne ich mein Spiel. Ich will es von ihr selbst hören. Vielleicht gibt es dann noch eine kleine Chance mit uns. Vielleicht können wir anfangen alles wieder gerade zu rücken, denn obwohl ich sie zugrunde gehen sehen will, ist sie doch meine Mutter.

   „Ich vermisse Jasper so sehr."
   „Es gibt noch andere Mütter mit schönen Söhnen. Das geht vorbei."
   „Aber es ist als ob ich nichts mehr fühle... Ich bin so leer und ausgelaugt." Dabei schiebe ich meinen Pulli weiter nach oben und entblöße meine Handgelenke. Dalia hat mir dabei geholfen falsche Wunden aufzukleben und zu malen. Sie soll denken, dass ich mich ritze. Ihr Blick wandert zu meinem Handgelenk aber sie verzieht nur den Mund.
   „Ach, Bine. Es tut mir so leid..."
   „Was tut dir denn leid? Du kannst ja nichts dafür. Ich möchte doch nur wissen warum er mich so plötzlich nicht mehr will."
   „Er hat bestimmt eine andere." Es hat keinen Zweck. Ich sehe ein, dass sie uns keine Chance geben will. Ich sehe ein, dass ich ihr einfach nichts mehr bedeute. Ich habe ihr eine letzte Chance gegeben alles wieder gut zu machen. Sie sollte nur mit mir reden, sollte die Wahrheit sagen über ihre grausame Tat, sollte mich nicht so leiden lassen und sich tausendmal entschuldigen. Sie sollte sagen, dass es ihr leidtut. Aber sie macht einfach mit ihren Intrigen weiter. Es schmerzt so sehr in meiner Brust, dass ich es kaum aushalte. Der Druck in meiner Brust wandelt sich in Wut um und ich beiße die Zähne zusammen.
   „Weißt du was? Ich hätte wenigstens gedacht, dass du es zugibst. Du siehst zu wie ich am Boden liege und trittst einfach weiter zu." Ich kann nicht anders. Meine Augen beginnen zu brennen und mein Mund zieht sich nach unten. Der ersten Träne folgen zahlreich weitere.
   „Bine, wovon redest du. Ich versuche dir doch nur zu helfen." Die Worte kommen ihr so leicht über die Lippen. Wie kann sie nur? Gib es zu! Gib es zu!
   „Ich habe dich gehört, wie du mit Steve geredet hast. Ich weiß was du mir angetan hast." Ich rede leise und gefasst. Ihr Gesicht, dass von falscher Sorge eingenommen ist bleibt plötzlich stehen. Als würde sie an Ort und Stelle erfrieren. Die Realisation, dass ich über den Vorfall Bescheid weiß, schlägt zu wie eine Bombe und es vergehen qualvolle Sekunden in denen ich sie einfach nur enttäuscht mustere. Ich sehe wie ihr Gehirn arbeitet und sie verzweifelt nach Wegen sucht, alles wieder gut zu machen. Das Richtige zu sagen. Aber für mich gibt es keine richtigen Worte mehr.
   „Oh mein Gott. Es tut mir so leid."
   „Einen Scheiß tut es dir leid. Du bist meine Mutter und zerstörst die Beziehung deiner eigenen Tochter. Ich hasse dich. Das werde ich dir nie verzeihen." Ich lasse sie den ganzen Schmerz spüren, den sie in mir verursacht hat, dann drehe ich mich einfach weg, stehe auf und lasse sie verdutzt sitzen.

Mein Herz pocht wie wild.

Meine Gefühle sind ein einziges Wirrwarr.

Ich lehne mich in der Küche neben die Tür, lasse mich nach unten sinken und höre den Schluchzern meiner Mutter zu.

Youtube StarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt