🌺 SECHSZEHN *

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Nathan

Ich fickte sie schon wieder. Ja ein anderes Wort hätte einfach nicht gepasst, denn es war ein Fick, auch wenn es diesmal so viel mehr war. Sie sah in meine Seele und trotzdem fühlte ich mich schuldig, weil ich sie doch schon wieder benutzt hatte, um meine Mauern aufrecht zu halten. Was hatte ich auch erwartet nach der Nacht? Das ich auf einmal wieder der Alte war und die letzten Monate, Jahre einfach ausgelöscht hatte? Schön wäre es gewesen.
Ich ergoss mich in meiner Frau und zog sie an mich. Sie strich mir vorsichtig über den Rücken. Dann löste sie sich von mir und ging erneut unter die Dusche und machte sich fertig. Ich blieb noch in der Küche, unfähig mich zu bewegen. Irgendwann setzte ich mich doch in Bewegung und ging Richtung Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Gerade als ich wieder auf dem Weg nach unten war, kam Ley aus dem Bad und ich hörte ihr Schluchzen. Was war ich nur für ein Monster? Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich hier nicht mehr aufgetaucht wäre, denn der Schmerz, den ich Ley zumutete war das Letzte. Wie konnte ich nur so verdammt egoistisch sein? Es wäre besser gewesen fernzubleiben. Ley wäre irgendwann über mich hinweggekommen.
Ich musste mit Herrn Adams sprechen. Er musste mir helfen. Ich wollte meine Frau nicht verlieren, aber wenn ich sie nur benutzte, wäre es besser zu gehen, damit sie ihren Frieden finden könnte.
Schnell wählte ich die Nummer und nach dem dritten Klingeln ging seine Sekretärin dran: "Praxis Adams. Was kann ich für Sie tun?" Sie klang wie ein Hausdrachen und sah auch so aus. "Roberts. Ich brauche heute noch einen Termin." "Hallo Herr Roberts. Einen Moment ich schaue mal nach..." Ungeduldig tippte ich mit meinen Fingern auf der Arbeitsplatte rum. "Herr Roberts, es tut mir leid..." "Nein", fuhr ich dazwischen. "Ich brauche heute einen Termin. Sofort und es ist mir egal wie sie das anstellen. Wir haben jetzt 8.30 Uhr. Ich werde um 10 Uhr da sein." Ich wartete erst gar nicht die Antwort ab, sondern drückte den roten Knopf und knallte das Handy auf die Arbeitsplatte.
Als ich mich herumdrehte und mir durch die wenigen Haare ging, sah ich geradewegs in Leylas Augen.
"Ich werde dann mal los zur Arbeit. Wir sehen uns heute Abend. Ciao." Ihre Stimme zitterte und ehe ich etwas sagen konnte war sie schon verschwunden und ich hörte die Haustür ins Schloss fallen. Die Panik kletterte meine Kehle hoch. Ich war alleine im Haus, im Käfig.
Hatte Leyla eingesehen, dass wir keine Chance mehr hatten? Sie sah so resigniert aus. Hätte ich ihr nichts von den Geschehnissen erzählen dürfen?
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste hier raus. Überstürzt zog ich mir meine Schuhe an und verließ das Haus.
Im Auto drehte ich das Radio auf volle Lautstärke, um meine Panikgedanken zu übertönen. Dann raste ich durch die Stadt.
Um 9.15 Uhr parkte ich vor dem Gebäude und sprintete hinein. Die Hexe am Empfang ignorierte ich und stürmte einfach in den Raum. Herr Adams riss kurz die Augen auf und sein Kunde schrak auch zusammen. Der Hausdrache wollte gerade ansetzen, da ergriff Herr Adams das Wort: "Olivia, bitte geben Sie Herr Baluts einen neuen Termin. Herr Baluts, es tut mir leid, aber das hier ist ein Notfall...Herr Roberts, nehmen Sie Platz."
Ich ließ mich in den schwarzen Ledersessel fallen, vergrub das Gesicht in meinen Händen und raufte mir die wenigen Haare. Fest biss ich die Zähne zusammen und krallte meine Finger in meine Kopfhaut, damit ich nicht losschrie oder alles kurz und klein schlug.
Weit weg hörte ich die Stimme von Herrn Adams. Langsam drang sie zu mir durch. "Herr Roberts, wollen Sie mir erzählen was passiert ist? Warum sind Sie so aufgewühlt? Ist etwas mit Ihrer Frau oder Ihren Kindern?"
Die Worte brauchten lange, um in meinem Gehirn Fuß zu fassen. Und es brauchte noch länger bis ich mich, meine Gefühle und meine Stimme so weit unter Kontrolle hatte, um zu sprechen. Stockend verließen all die Wörter meinen Mund. Ich erzählte Herrn Adams von den Ereignissen an Tristans Geburtstag. Während meiner Erzählung war ich aufgesprungen und wie ein wildes Tier im Käfig hin und her gelaufen. Ich konnte einfach nicht still sitzen bleiben.
Diesmal verließen auch Worte meinen Mund, für die ich mich mehr als schämte und die ich eigentlich für mich behalten wollte. Nun war es zu spät, denn nun wusste Herr Adams, dass ich Leyla, meine eigene Ehefrau, benutzte.
Doch entgegen meiner Vermutung machte er mir keine Vorwürfe oder erklärte mich für verrückt. Nein er war sogar zufrieden mit mir. Also jetzt nicht wegen des Verhaltens meiner Frau gegenüber, aber das ich mich ihr geöffnet hatte und sie an mich ran gelassen hatte. Dass ich ihr nicht nur meine seelischen, sondern auch meine körperlichen Verletzungen gezeigt hatte und dass ich eingesehen hatte, dass ich etwas ändern musste um sie und meine Kinder, meine Familie nicht zu verlieren.
Natürlich war es inakzeptabel sie so zu behandeln, aber auch da war ein Fortschritt vonstattengegangen, denn ich hatte ihr meine Seele auf dem Silbertablett präsentiert.
Lange redeten wir noch und ich kam mir nicht mehr ganz so wie das Monster von vor ein paar Stunden vor. Ja es würde noch ein langer Weg werden und sicher ein sehr sehr holpriger, aber der Anfang war gemacht. Und Leyla war eine starke Frau.
Nach diesem Seelenstrip fuhr ich nach Hause. Ich fühlte mich ausgelaugt und einfach fertig mit der Welt. An arbeiten war nicht zu denken, dafür hatte ich keinen Kopf und die Kraft fehlte auch. Ich ließ den Wagen einfach vor der Garage stehen und schleppte mich ins Haus, ließ mich in voller Montur ins Bett fallen und Ruck zuck war ich eingeschlafen.

Als ich wieder wach wurde, war es im Zimmer dunkel und ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, wo ich mich befand. Das weiche Bett unter mir ließ mich die aufkommende Panik im Keim ersticken und ich setzte mich auf. Verschlafen rieb ich mir über mein Gesicht und zuckte zusammen als ich Leylas Umriss am Bettende ausmachte. Sie lag zusammengerollt da und als ich näher zu ihr kroch, erkannte ich das sie schlief. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, das wir schon 22.30 Uhr hatten. Ich hatte über 10 Stunden geschlafen. Wie lange lag Leyla wohl schon da?
Vorsichtig richtete ich mich auf und hob sie hoch. Bei ihrer Bewegung hielt ich inne und den Atem an, aber sie kuschelte sich nur an meine Brust. Diese brannte unter ihrer Berührung wie Feuer, doch ich ignorierte es und legte Leyla ins Bett, deckte sie zu. Dann stand ich auf und ging runter in den Wohnbereich. Ty, der am Esstisch saß und anscheinend arbeitete, ignorierte ich vorerst. Ich holte mir stattdessen ein Glas Wasser. In einem Zug leerte ich das Glas und stellte es in die Spüle. Dann ging ich zu Ty und ohne das er fragte, berichtete ich ihm von dem Gespräch mit Herrn Adams. Ty hörte zu, fragte nichts und nickte nur, aber es reichte. Ich kannte ihn lange genug. Er würde mich nicht verurteilen oder? Ohne ein weiteres Wort ging ich wieder ins Schlafzimmer und legte mich vorsichtig hinter Leyla und zog sie an mich.
Das nächste Mal als ich wach wurde, war ich alleine im Bett. Es war 7.30 Uhr, Zeit zum Aufstehen. Gerädert rappelte ich mich auf und trottete ins Bad, um mich unter die Dusche zu stellen und um dann zu den anderen in die Küche zu gehen. Es wurde kein Wort über die letzten Tage verloren. Leylas Blick war glanzlos und ich konnte sie nicht anschauen. Es zerfraß mich innerlich, denn ich war Schuld daran. Wie sollte es nur weitergehen?
Bald hatte Sophie Geburtstag und wurde 4. Jeder hatte wahrscheinlich Angst, dass es so werden würde wie bei Tristan. Ich war eine Gefahr und ich wollte meiner Familie das nicht zumuten. Das hatten sie nicht verdient, nach allem. So teilte ich Leyla mit, dass Sophies Geburtstag gefeiert werden konnte, aber ich bei der Familienfeier nicht da sein würde. Sie versuchte mich umzustimmen, doch ich sah die Sorge in ihren Augen und so nickte sie irgendwann erschlagen. Ich würde in der Zeit arbeiten gehen. Es war für alle das Beste.
Morgens gratulierte ich meiner Tochter und spielte mit ihr. Dann verabschiedete ich mich. Ty schrieb mir abends als alle weg waren und ich machte mich auf den Heimweg. Viel gearbeitet hatte ich nicht, aber es war wenigstens die Katastrophe ausgeblieben.
Als ich die Tür aufschloss, war es still im Haus. Ich ging ins Schlafzimmer und fand Leyla weinend auf unserem Bett. Vorsichtig ging ich auf sie zu und nahm sie in den Arm. Kurz zuckte sie zusammen und wischte ihre Tränen weg. "Es tut mir so leid. Wenn ich könnte würde ich dir den Schmerz nehmen, nur damit wir wieder eine Familie sein können." Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus und diesmal zuckte ich zusammen. Sie würde alles für mich tun. Dabei müsste es doch umgekehrt sein. Ich müsste alles tun, um sie zu schützen.
Ich zog sie noch näher an mich und dann brach ich das Schweigen: "Als wir uns befreit hatten, dauerte es Ewigkeiten bis wir so etwas wie Zivilisation erreichten. Dort angekommen sagte man uns es wäre August 2022. Wir waren ein Jahr in Gefangenschaft. Ein Jahr. Sie gaben uns zu Essen und ein Dach über dem Kopf und behandelten unsere Verletzungen. Wir halfen ihnen bei der Arbeit und zogen nach einigen Tagen weiter. Wir brauchten Telefone, eine richtige Zivilisation. Zwei mussten wir zurücklassen. Sie waren zu geschwächt, lebten sicher schon nicht mehr."
Mir wurde kalt bei den Gedanken an diese Reise und doch musste ich sie zu Ende erzählen. Also zwang ich mich weiterzumachen. Ich erzählte ihr davon, dass wir Anfang September eine Stadt mit Telefon erreicht hatten und ich ihre Nummer wählte. Nur ein Wort verließ meine Lippen, denn mehr schaffte ich nicht. Mein Herz brach als ich ihre Stimme hörte und auch jetzt zog sich mein Herz zusammen. Ich berichtete ihr von der puren Erleichterung ihre Stimme zu hören und auch wenn beim nächsten Versuch die Verbindung so schlecht war, war ich mir sicher, dass sie mich verstanden hatte. Und mein Kampfgeist war wieder da. Ich musste zu ihr.
"Wir heuerten auf einem Schiff an und langsam ging es Richtung Heimat. Sie ließen uns nicht telefonieren. Wir wurden wie Dreck behandelt, aber das war uns egal. Wir hatten ein Ziel. Ich hatte ein Ziel...Endlich auf deutschem Boden glaubte uns niemand. Wir sahen aus wie Penner und wurden auch so behandelt. Mal wieder. Und dann bekam ich auch deine Nummer nicht mehr zusammen..."
Sie hörte geduldig zu und ich erzählte die letzten Etappen dieses Alptraumes. Wie ich per Anhalter durch Deutschland reiste und unter Brücken schlief. Das wenige, welches ich mir verdient hatte, wurde mir auf der Straße genommen. Dort galten nun mal die Gesetze der Straße, da ging es ums Überleben.
"Doch ich schaffte auch die letzten Meter und stand endlich vor unserem Haus und hielt dich in meinen Armen. Mein Babygirl. Deinetwegen lebe ich noch..."
Sie sagte nichts, kuschelte sich nur an mich und schlief ein.
Mehr brauchte sie auch nicht tun, damit zeigte sie mir alles.
Sie war für mich da, hörte geduldig zu und verurteilte mich nicht. Ich liebte diese Frau über alles und musste alles versuchen...

End or beginning? Don't despair ✔Where stories live. Discover now