🌺 SIEBEN *

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Nach der Dusche fühlte ich mich nicht wirklich besser, aber stark genug wieder in den Robotermodus zu verfallen und die Mama-Maske aufrecht zu erhalten. Tristan und Sophie durften nichts mitbekommen. Gerade die beiden sollten nicht Hoffnungen haben, die nachher zerstört werden könnten. Und so versuchte ich beim Frühstück so normal wie möglich zu sein. Nachdem ich die Kids in den Kindergarten und in die Schule gebracht hatte, schrieb ich Ty schnell noch eine Nachricht:
*Kein Wort zu niemandem. Ich will nicht das Tristan und Sophie sich Hoffnungen machen*
Ein kurzes OK seinerseits gab mir die Bestätigung, das wir das richtige taten. Und so fuhr ich weiter zur Arbeit und versuchte alles andere in den Hintergrund zu drängen. Es fiel mir so viel schwerer als vorher.
Der Alltag war eine harte Probe und selbst in meinen Träumen bekam ich keine Ruhe mehr. Es war meistens ein und derselbe Traum - immer und immer wieder.

"Babygirl. Wir werden uns wiedersehen. Ich liebe dich..." Seine Stimme streichelte meine Seele mit jedem Wort welches seinen Mund verließ.
"Endlich bin ich wieder da. Endlich sind wir wieder vereint."
Nate lief auf mich zu und als ich ihn in die Arme schließen wollte, verschwamm er und verschwand.

Und ich wachte mal wieder, wie sooft in der letzten Zeit, schweißgebadet auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es mal wieder erst 3 Uhr nachts war - wie sooft.
Ich stand auf und ging in den Fitnessraum, malträtierte den Boxsack und nahm nichts um mich herum wahr. Ich wollte mich auspowern, um den Schmerz zu betäuben. Abrupt hielt ich inne als Ty hinter dem Boxsack zum Vorschein kam. Wie lange war er schon hier?
"Leyla, es ist genug. Wir haben 5 Uhr und du prügelst seit fast 2 Stunden auf den Sack ein. Es reicht." Seine Stimme klang verschlafen, aber auch bestimmend. Ich hatte gar nicht gemerkt wie erschöpft ich war, kraftlos ließ ich meine Arme an mir herunterbaumeln. Ty schob mich aus dem Raum und ins Bad. Als er sich gerade zum Gehen abgewandt hatte, ertönte meine Stimme:
"Ty, wann hört dieser dumpfe Schmerz endlich auf? Wann?" Meine Stimme war nur ein Flüstern und am Ende war sie noch nicht mal mehr das.
"Leyla, ich weiß es nicht. Es tut mir so leid."
Ty sah so hilflos und verloren aus und ich drückte ihn an mich. Plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen. Er zuckte zusammen und wich zurück. Auch ich stolperte einen Schritt zurück.
"Stopp, Leyla."
Oh shit. Was hatte ich getan? Was lief gerade falsch? Ich betrog Nathan mit seinem besten Kumpel. Wie konnte ich? Wie konnte ich Ty küssen?
"Sorry. Ty. Ich... tut mir leid", stotterte ich und stolperte Abstand suchend noch weiter nach hinten und hätte Ty mich nicht am Arm gepackt, ich hätte dem Boden kostenlos die Stirn geboten. Zitternd vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen.
"Schon okay. Alles gut. Ich geh wieder schlafen und das solltest du gleich auch tun. Gute Nacht."
Er stellte mich wieder aufrecht hin, wartete bis ich wieder festen Stand hatte und verschwand, ließ mich mit dem Chaos im Kopf alleine.
Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Was war nur in mich gefahren?
An Schlaf war nicht zu denken und so saß ich morgens um 6.30 Uhr vor dem gedeckten Frühstückstisch und trank meinen 2ten Kaffee. Oder war es sogar schon der dritte?
Ich war fertig geduscht und angezogen. Eigentlich war ich schon lange fertig zum Aufbruch oder besser gesagt zur Flucht.
Als Ty in die Küche kam, zuckte ich zusammen und hätte am liebsten Reißaus genommen.
"Morgen...Leyla, wegen des Kusses: Mach dir keine Gedanken. Es ist alles okay. Es hat sich nichts zwischen uns geändert."
Er hörte sich an wie immer. Also als ob wirklich nie ein Kuss stattgefunden hätte.
"Ty, es tut mir so leid. Ich hätte dich beinah noch mehr ausgenutzt als ich es eh schon tue und ich hätte beinah Nathan betrogen mit seinem besten Freund." Wieder vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Meine Stimme klang verzweifelt und das war ich auch. Mit zwei schnellen Schritten stand Ty vor mir und zog mich in seine Arme.
"Stopp, Leyla. Hör auf so einen Scheiß zu denken. Du nutzt mich nicht aus und wenn es so wäre, lasse ich mich gerne benutzen. Ich habe Nate damals mein Versprechen gegeben und das würde ich niemals brechen. Du hast Nate nicht betrogen und wirst es auch nicht tun. Vergiss diesen Kuss einfach und gut ist. Es ist unwichtig. Er ist passiert, weil die letzten Tage einfach wieder zu viel waren und du verzweifelt bist und das ist doch auch mehr als verständlich, schließlich lebt Nate und muss nur noch den Weg nach Hause finden."
Die letzten Worte waren nur ein Flüstern und sie gingen mir durch und durch. Ich nickte stumm. Ty ließ mich los und machte sich dann selber einen Kaffee. Damit war das Thema für ihn erledigt. Ich straffte die Schultern und ging Tristan und Sophie wecken und fertig machen.

Für mich war das Thema nicht so schnell vom Tisch, denn ich hatte ein schlechtes Gewissen Ty und natürlich Nate gegenüber. Somit brauchte ich ein paar Tage, um den Vorfall abzuhaken und so wie vorher mit Ty umzugehen. Ty hatte da keine Probleme mit, aber mich fraß es auf.

Unaufhaltsam kam Weihnachten auf uns zu und auch diesmal hätte ich es zu gerne abgesagt. Doch das konnte ich Tristan und Sophie nicht antun. Sie sollten Weihnachten feiern so wie es sich gehörte.
Aus dem Grund fuhr ich freitags nach der Arbeit in die Stadt die restlichen Sachen kaufen. Die Geschenke hatte ich ja schon längst zusammen und das würde sich wohl nie ändern. Es wäre das 2. Weihnachten ohne Nathan. Ich wusste immer noch nicht wo er war, ob er überhaupt noch lebte. Es war seit den zwei Anrufen nichts mehr gekommen. Kein weiteres Lebenszeichen mehr. Die Anrufe waren jetzt 2 Wochen her. Würde ich ihn jemals wiedersehen?
Ich stürzte mich ins Getümmel, um die aufkommenden schwarzen Gedanken abzuschütteln. Es hatte nicht den gewünschten Effekt, aber ich war völlig erledigt und kam erst gegen 18 Uhr zu Hause an. Ich war fast 6 Stunden shoppen gewesen. Ich mochte einkaufen nie, wie hatte ich nur die letzten 6 Stunden geschafft? Dabei brauchte ich doch nur noch Kleinigkeiten. Die 6 Stunden spürte ich nur zu gut in meinen Knochen. Erschöpft schob ich mir schnell eine Lasagne in den Ofen und räumte die Kleinigkeiten weg. Tristan und Sophie waren bei meinen Eltern zur Pyjama-Party und Ty hatte ein Geschäftsessen, Weihnachtsessen oder so etwas. Während die Lasagne im Ofen brutschelte ließ ich mir Badewasser ein und dann verschlang ich die Lasagne förmlich. Ich hatte gar nicht gemerkt wie hungrig ich war. Okay verständlich, denn viel gegessen hatte ich den Tag über mal wieder nicht. Irgendwie vergaß ich das öfters.
Ich räumte meinen Teller weg und schüttete mir noch ein Glas Wein ein, Nathans und meinen Lieblingswein. Ach Nathan, wann würde es nicht mehr so verdammt weh tun?
Mit dem Weinglas ging ich Richtung Bad, um nach meinem Wasser zu schauen und um mich endlich in den Schaum zu legen und zu entspannen. Genau das brauchte ich jetzt. Musik und eine Badewanne.
Ich hatte gerade zwei Stufen erklommen, da hallte die Klingel durch unser Haus.
KNOCK KNOCK KNOCK
Wir hatten 19.30 Uhr, wer konnte das sein? Ich erwartete niemanden, schon lange nicht mehr.
Vielleicht hatte Ty seinen Schlüssel vergessen?
Aber der war doch bei einem Geschäftsessen. Vielleicht ein Paketbote?
Noch einmal KNOCK KNOCK KNOCK
Da war jemand aber hartnäckig. Sicher ein Paketbote, die meisten waren so frech.
Der konnte sich auf was gefasst machen.
Mit meinem Weinglas in der Hand steuerte ich die Tür an und riss diese schwungvoll auf. Ich funkelte den Störenfried angriffslustig an. Doch als ich ihm in die Augen sah, glitt mir das Glas aus der Hand und alles verschwamm.
Ich hörte auf zu atmen...

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