🌺 FÜNF *

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Der Herbst, nass, kalt und ungemütlich, hatte Einzug genommen - mit voller Wucht. Morgens früh war es eisig kalt und ein ums andere Mal musste ich mit Handschuhen bewaffnet die Scheiben meines Autos freikratzen.
Wir hatten eine Doppelgarage, aber da stand erstens, unberührt, Nathans SUV drin und zweitens hatte ich Ty dazu genötigt seinen Wagen dort abzustellen, wenn er schon im Gästezimmer hausierte, sollte er wenigstens nicht kratzen. Ich hätte auch Nathans Wagen auf den Hof stellen können, aber diesen Wagen würde ich im Leben nicht mehr anfassen. Da war mir kratzen lieber. Ein Körperteil mehr an mir, welcher eingefroren war, war auch nicht weiter schlimm. Mein Herz war es doch schon lange.
Der Tag im Büro war die reinste Katastrophe und auch wenn ich die Kälte begrüßte, war es doch eine harte Probe bei den Temperaturen ohne Heizung zu arbeiten. Es war ein Drahtseilakt in schwindelerregender Höhe und nicht nur die Launen aller Anwesenden waren bis zum Zerreißen gespannt, auch die technischen Geräte meinten ihren eigenen Willen haben zu müssen und den Dienst lieber ganz zu verweigern bei den Temperaturen. Warum auch nicht?
Die Mandanten am Telefon hatten wohl auch alle keine gut funktionierende Heizung oder aber sie fanden das Wetter und zusätzlich noch die Vorweihnachtszeit generell abscheulich.
Wo war der Sommer geblieben? Wir hatten wie so oft in den letzten Jahren Anfang September ein paar heiße Tage und sonst war es wie immer durchwachsen. An diesen heißen Tagen waren die Launen vieler genauso abscheulich gewesen. Komische Welt.
Tristan und Sophie fanden das Wetter prima und wir verbrachten die Nachmittage in und um unseren Pool. Zum Glück hatten wir uns ein Jahr zuvor ein Sonnensegel zu gelegt, sonst wäre es nicht auszuhalten gewesen. Unbeschwertes Kinderlachen jagte durch unseren Garten und Stunden später hörte ich nur noch zufriedenes, ruhiges Atmen von den beiden Rackern.
Jetzt bei dem nasskalten Wetter war es schon schwieriger die beiden Wirbelwinde platt zu kriegen, aber zum Glück war unser Haus groß genug und bei so einem Wetter war der Fitnessraum der ideale Spielplatz. Da war etwas zum Klettern, eine Rutsche, ein Bällebad und noch viel Spielzeug zum Entdecken. Und an Fantasie fehlte es unseren Kindern definitiv nicht. Ausgelassen tobte ich mit den Beiden und war selber erschöpft und müde als ich sie ins Land der Träume verabschiedete. Diese Normalität tat uns allen gut. Sie war viel zu selten.
Dick eingepackt machte ich mir ein Feuer im Kamin und ließ mich auf die Couch fallen. Die dampfende Tasse Tee vor mir wartete nur auf ihren Einsatz. Müde rieb ich mir über meine Augen und ließ meinen Blick durch das große Panoramafenster über unseren Garten schweifen. Es sah alles etwas unheimlich aus, denn es war schon stockfinster und nur die indirekte Beleuchtung um den leeren, bedeckten Pool erhellte die Dunkelheit.
Doch ich war zu erschöpft, um aufzustehen und die Rollladen runter zulassen. Dann schloss ich lieber für einen Moment die Augen...

...auch wenn dann der Schmerz wieder greifbar wäre, wie jeden Abend.
Doch heute war alles irgendwie anstrengender. Lag wohl an dem Wetter oder hatte ich eine Grippe in den Knochen?
"All of me" hallte durch den großen Wohnbereich und ließ mich zusammenschrecken und hochfahren. Da war es wieder das altbekannte, aufkeimende und vertraute Gefühl. Und es war doch nur ein Lied, aber es war unser Lied. Es erinnerte mich wieder schmerzlich an meinen Verlust und auch wenn ich wusste, dass ich mich selber quälte, konnte ich es nicht über mich bringen den Klingelton zu ändern. Er war ein Teil von mir, von uns...
Ich rappelte mich auf und ging zur Kücheninsel, denn genau da lag mein Handy und schrie mich förmlich an. Was war nur heute los?
Unbekannte Nummer sprang mir bedrohlich von meinem Handydisplay entgegen. Wie ich so etwas hasste, aber trotzdem würde die Neugier siegen, das wusste ich. Sie siegte jedes Mal.
Ich nahm mein Handy, lehnte mich an die Kücheninsel und drückte auf den grünen Knopf.
"Roberts?"
Meine Stimme klang total erschöpft. Ich brauchte dringend Schlaf und vorher noch ein heißes Bad.
Stille am anderen Ende der Leitung.
Auf so Spielchen hatte ich nun wirklich nicht auch noch Lust. Nachdem ich dreimal relativ ungehalten und frech, für meine Verhältnisse, "Hallo? Wer ist denn da?" von mir gegeben hatte, hatte ich den Finger schon auf dem roten Knopf, bereit aufzulegen und wen auch immer abzuwürgen. War ja dann anscheinend ein dummer Scherz und nicht wichtig.
Doch dann hörte ich ein Knacken in der Leitung und hielt in meiner Bewegung inne, lauschte dem Geräusch am anderen Ende und mein langsam heilendes Herz wurde durch eine winzige Kleinigkeit wieder in Stücke gerissen und meine Welt fiel wie mein Handy zu Boden und beides zersprang in tausend Teile.
Nur ein Wort wurde von der Person in den Hörer gehaucht und es war wirklich nur ein Hauchen. Erst hielt ich es für eine Finte meiner Ohren. Doch das konnte nicht sein. Es war real.
Ein Wort, welches meine Welt zum Einsturz brachte:

"Babygirl"

End or beginning? Don't despair ✔Where stories live. Discover now